Milliardendefizit in der Pflege erwartet
Die jüngste Arbeit des wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung (WIP) erwartet im kommenden Jahr ein Defizit von 2,2 Milliarden Euro in der sozialen Pflegeversicherung (SVP). Bis 2030 würden dann zusammengerechnet 46 Milliarden Euro fehlen, heißt es. Selbst wenn die Leistungen unverändert blieben, müsste der Beitrag dafür von 3,05 auf knapp 4,7 Prozent steigen, rechnet das Institut vor. Das WIP hat seine Prognose zur Finanzentwicklung in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) als Beitrag zur Debatte rund um die geplante Pflegefinanzreform (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz PUEG) veröffentlicht. Die Reform soll in Kürze im Bundeskabinett diskutiert werden. Einen Referentenentwurf dazu hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Februar vorgelegt.
Schon der bisherige Leistungsumfang der Pflegeversicherung in dieser Legislatur würde ein Milliardendefizit verursachen, warnt das WIP. Bis 2029 könnte dies dann noch einmal enorm anwachsen. Die geplanten Leistungsausweitungen des aktuellen Reformentwurfs kämen dann noch zusätzlich hinzu.
Die wichtigsten Ergebnisse der WIP-Analyse:
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird laut der Prognose in der SPV bis 2040 um 27 Prozent auf 5,8 Millionen Personen steigen. Auch danach werde die Zahl der Betroffenen weiterwachsen.
In den vergangenen zehn Jahren seien die SPV-Ausgaben im Durchschnitt um 6,2 Prozentpunkte mehr angestiegen als die Einnahmen. In den vergangenen zwanzig Jahren habe die Differenz 4 Prozentpunkte betragen. Sollten sich derartige Dynamiken fortsetzen, läge die Beitragssatz in der SPV laut WIP im Jahr 2030 bei 6,3 Prozent (bei Fortschreibung der Entwicklung der vergangenen zehn Jahre) beziehungsweise bei 5,4 Prozent (Entwicklung der vergangenen 20 Jahre).
Selbst wenn die Ausgaben nur um zwei Prozentpunkte stärker als die Einnahmen wachsen würden, wäre im Jahr 2030 bereits ein Beitragssatz von 4,6 Prozent und im Jahr 2040 von 6,3 Prozent notwendig.
Eine Umsetzung der geplanten Pflegefinanzreform würde den SPV-Beitragssatz weiter anheben. Der SPV-Beitragssatz läge dann bis 2030 nochmals um bis zu 17 Prozent und bis 2040 sogar um bis zu 43 Prozent höher als bereits sonst schon prognostiziert wurde.
Bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2025 drohe sich in der SPV ein Defizit von insgesamt 6,9 Milliarden Euro anzustauen, heißt es in der Analyse weiter. Dieser Finanzbedarf werde sich sogar noch vergrößern, sollte der Reformvorschlag nicht wie beabsichtigt ausgabenneutral umgesetzt werden.
Eine isolierte Sicht auf die SPV greift aus Sicht des WIP allerdings zu kurz, wie aus der Analyse weiter hervorgeht. Denn auch die Gesetzliche Renten- und Krankenversicherung würden aufgrund der demografischen Veränderungen finanziell unter Druck geraten. Innerhalb der nächste Jahre müsse auch dort mit steigenden Beitragssätzen gerechnet werden. Es bleibe deshalb die zentrale Frage, wie die Diskrepanz zwischen Entwicklung der Einnahmen- und Ausgabenseite zukünftig verringert und damit eine Überforderung der SPV-Finanzen vermieden werden könne.
WIP plädiert für generationengerechten Neustart der Pflegefinanzierung
Das Fazit der Analyse: Alles in allem sei die Politik gefordert, einen langfristigen und nachhaltigen Reformansatz für die SPV zu finden, damit der Beitragssatz zukünftig nicht aus dem Ruder läuft. Der Referentenentwurf zum PUEG gehe jedoch in die entgegengesetzte Richtung und plane weitere Leistungsausweitungen sowie -dynamisierungen. Das WIP plädiert für einen nachhaltigen und generationengerechten Neustart in der Pflegefinanzierung. Dringend nötig dazu sei ein Ausbau der privaten und betrieblichen Pflege-Vorsorge.
Ursprünglich war geplant, den Referentenentwurf zum PUEG heute im Kabinett zu beraten. Dies ist verschoben worden. Inzwischen sind Änderungen an den bisherigen verschiedenen Entwürfen (bisher vier) zum Gesetz bekannt geworden. Vorgesehen ist jetzt eine Selbstverpflichtung des Bundesgesundheitsministers, bis Juni 2024 Empfehlungen für eine dauerhafte Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung vorzulegen. Beteiligt werden sollen dabei die MinisterInnen für Finanzen, Wirtschaft, Soziales und Familie.
Die geplante Reform ist außerdem deutlich zum Nachteil von Familien verändert worden. Danach sollen die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Beitragsnachlässe für mehr als ein Kind nicht dauerhaft gelten, sondern nur, bis diese jeweils das 25. Lebensjahr vollendet haben. Danach soll lebenslang nur noch der bei einem Kind vorgesehene Abschlag von 0,6 Prozentpunkten gegenüber Kinderlosen greifen.