Millionen Schmerzkranke sind nicht ausreichend versorgt
Viele Betroffene könnten ein interdisziplinär multimodales Therapieangebot zur Schmerztherapie nicht in Anspruch nehmen, erklärt die Deutsche Schmerzgesellschaft. Oft hätten Schmerzpatientinnen und -patienten Probleme, wenn sie zu weit weg wohnten, kein Auto hätten, zu wenig Geld für tägliche Anfahrten und Parkgebühren vorhanden sei, keine angemessen Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr existiere oder wenn sie schlichtweg im Rahmen ihrer Erkrankung zu erschöpft seien, um häufige Fahrten auf sich nehmen zu können.
Eine Analyse der Gesellschaft kartiert erstmals sämtliche Standorte teil- und vollstationärer schmerzmedizinischer Angebote in Deutschland. Das Ergebnis ist ernüchternd, lautet das Fazit der Gesellschaft: Für viele chronische Schmerzpatientinnen und -patienten bleibe eine adäquate Versorgung unerreichbar. Zur Überprüfung der realen Versorgungslage sei es wichtig, Daten zu erheben, die nicht nur die Versorgungsstrukturen, sondern auch deren realistische Erreichbarkeit aus Patientenperspektive aufzeigen, erklärt die Gesellschaft.
„Für bis zu 75 Prozent der Patienten sind die Wege nicht zu bewältigen“
In der Untersuchung wurden für 1.000 Modellpatienten in Deutschland die Fahrzeiten zu den nächstgelegenen schmerzmedizinischen Einrichtungen analysiert. Hier ergaben sich besonders für teilstationäre Einrichtungen wie Schmerztageskliniken und universitäre Schmerzambulanzen erschreckende Zahlen, wie die Deutsche Schmerzgesellschaft mitteilt. Insbesondere mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei für 68 bis 75 Prozent der Betroffenen der Weg nur unrealistisch zu bewältigen.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft nennt zur Verdeutlichung vorab Zahlen aus ihrer noch nicht unveröffentlichten Analyse: Bei den vollstationären Einrichtungen etwa ergaben sich Entfernungswerte zwischen 26 Kilometern und 244 Kilometer. Die ambulante, spezialisierte Basisversorgung sei wiederum bei weitem zahlenmäßig nicht ausreichend für die Menge an Schmerzpatienten – und das, obwohl die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) die Fallzahlen in der Versorgung von niedergelassenen, ambulant tätigen spezialisierten Schmerzmedizinern schon sehr großzügig nach oben gesetzt hätten.
„Strukturen der Schmerzmedizin müssen gestärkt werden“
Rechnet man diese erhöhten Fallzahlen hoch, würde in Deutschland die Versorgung von maximal einer halben Million Menschen mit chronischen Schmerzen sichergestellt, schreibt die Schmerzgesellschaft. Es gebe hierzulande jedoch bis zu sechs Millionen Betroffene, die eine hochspezialisierte ambulante Schmerztherapie benötigten. Zur oft schlechten Erreichbarkeit komme noch das mangelhafte Versorgungsangebot in der Fläche hinzu. Eine ambulante leitliniengerechte Therapie ist somit oft nicht oder nur schwierig umsetzbar, heißt es. Insbesondere interdisziplinär ausgerichtete ambulante Behandlungsangebote seien in der aktuellen Versorgungsstruktur gar nicht vorgesehen.
Bis zu 60 Prozent der aktuell niedergelassenen Schmerztherapeutinnen und -therapeuten werden in den kommenden zehn Jahren aus der Versorgung ausscheiden, prognostiziert die Schmerzgesellschaft weiter. Auch die Krankenhausreform der Bundesregierung werde hier zu keiner positiven Veränderung beitragen, so die Befürchtung. „Die Zahl der Schließungen schmerzmedizinischer Einrichtungen und die fehlende Planungsperspektive sind alarmierend in Anbetracht steigender Zahlen von Betroffenen und der notwendigen Sicherung der Ausbildung zukünftiger Schmerzspezialisten“, kritisiert Prof. Dr. med. Frank Petzke, Präsidiumsmitglied der Deutschen Schmerzgesellschaft. Er forderte die Bundesregierung, die Fraktionen des Deutschen Bundestags und alle an der Krankenhausreform beteiligten Akteure auf Bundes- und Landesebene dazu auf, die Strukturen der Schmerzmedizin "zu stärken, statt zu schwächen.“