Ohne DHs wird es nicht funktionieren
Aus den zm 16/2016 zum Beitrag.„Wanted: ein neues Versorgungskonzept“, zm 13/2016, S. 18-20.
Die Parodontitis ist eine Krankheit, die lebenslang unter Kontrolle gehalten werden muss. Die von ihr mit verursachten Erkrankungen werden durch intensive Forschung zahlreicher und zahlreicher. Weit vorausschauende Zahnärzte haben frühzeitig erkannt, dass eine erfolgreiche Behandlung aus zwei Behandlungsschritten besteht: a. eine vom Zahnarzt durchgeführte Erstbehandlung und b. eine sich periodisch wiederholende Nachbehandlung, am besten durch eine Top-Spezialistin.
Diese Dentalhygienikerin (engl. dental hygienist) führt das mit ihrem Beruf verbundene sogenannte RECALL oder UPT durch! Bei der Bekämpfung der Parodontitis gibt es für einen Zahnarzt in seiner Praxis meiner Erfahrung nach nur eine saubere Lösung: nämlich die dauerhafte Zusammenarbeit mit einer nach internationalem Standard ausgebildeten Dentalhygienikerin (DH). Das ist der klassische und bisher einzige Weg zu einer guten, lebenslangen Parodontitisbehandlung der Patienten. Der in den letzten drei Jahren immer heftiger werdende Kampf der deutschen Institutionen gegen diesen weltweit anerkannten Beruf nimmt mitunter skurrile Formen an.
Nur in etwa einem Drittel der 16 Bundesländer gibt es eine modulare Fortbildung von der Zahnarztassistentin ZFA zur DH. Die Lehrinhalte sind nicht einheitlich. Zusätzlich soll die Ausbildung gekürzt werden. Die Anzahl der in Deutschland auf diesem Wege ausgebildeten Frauen bleibt zahlenmäßig über viele Jahre bis heute konstant klein. Von den Zahnärzten werden aber viel höhere Zahlen an Dentalhygienikerinnen in Deutschland gebraucht. Da man sie nicht hat und mitunter nicht will (ausländische DHs sind berechtigterweise teuer), wird bei der Durchführung der Nachbehandlung nicht mehr von „RECALL/UPT“ und von einer „subgingivalen Taschenreinigung“ (engl. deep cleaning and root planing) gesprochen, sondern es wird offiziell nur noch von einer „professionellen Prophylaxe„ und einer Entfernung der „erreichbaren“ Beläge (BZÄK) gesprochen. Das ist in etwa das, was der deutschen Ausbildung von fortgebildeter ZFA, ZMP oder ZMF entspricht.
Schon in der Deutschen Mundgesundheitsstudie IV (DMS IV) von 2006 sah die Tätigkeit der deutschen Zahnärzte im Bereich der Parodontitis nicht gut aus. Es gab deutliche Hinweise auf Handlungsbedarf. Seitdem nimmt die dramatische Situation für die Patienten durch die Vielzahl von Implantaten an Rasanz zu. Zur Zeit wird von einer Periimplantitisprävalenz von 63 % gesprochen. Das beinhaltet Zahnfleischentzündung (Mukositis) und Parodontitis am Implantat. Wenn man Leitartikel als komprimierten Ausdruck von Ethos und Grundeinstellung zum beruflichen Tun hernimmt, dann kommen Fragen auf.
Leitartikel in der zm wie „Bohrst du noch oder kratzt du schon?“ zeigen eine große Unsicherheit gegenüber der DH. Nur eine kleine Anzahl von Kollegen hat beruflich mit Ihnen zusammengearbeitet. Es hilft auch nicht, auf Länder wie Frankreich oder Österreich zu zeigen, die noch weniger gegen die Parodontitis im Köcher haben. Um was geht es? Ums liebe Geld. Richtig ist, dass eine international ausgebildete DH, gutes Geld fordert. Wesentlich mehr, als die deutsche Kollegenschaft aus Unkenntnis der Leistungen einer DH zu zahlen bereit ist.
Aber darf man darum den mit 350.000 Dentalhygienikerinnen kooperierenden Zahnärzten in 25 Ländern berufliche Suizidabsichten unterstellen? Warum konstruiert man eine „Abhängigkeit“ oder einen „Zahnarzt light“? Ein Arbeitsverhältnis zwischen zwei Profis bleibt ein Arbeitsverhältnis! Eine wie auch immer gedachte „Hoheit“ über Mitarbeiter behalten zu wollen, erinnert an Zeiten vor den preußischen Ministern Stein und Hardenberg. Ein Kollege zeigt in einer Fachzeitschrift erschreckende, tiefste kraterförmige Defekte an Implantaten. Dem Fachpublikum wird, wie so oft in Deutschland, nicht klar gesagt: diese Fotos sind das Ergebnis von nie durchgeführtem echtem subgingivalem RECALL/UPT durch DHs. Es wird verschleiernd von „biologischen Komplikationen“ gesprochen.
Möglicherweise glaubt die Zahnärzteschaft auch, dass sie die Therapie der Parodontitis in die eigenen Hände, ganz ohne DH, nehmen kann. Das ist sicher kein guter Weg. So dachte schon vor 103 Jahren die Kollegenschaft, als sie die von A. C. Fones gegründete erste Dentalhygienikerinnen-Schule ablehnte. Die Ausbildung der Zahnmedizinstudenten an der Universität im Bereich Parodontitis ist nicht darauf abgestellt, eine Dentalhygienikerin zu ersetzen. Auch zu bedenken ist, dass die Kosten der Ausbildung eines/r Studenten/in der Zahnmedizin auch von Steuern bezahlt wird, wogegen eine DH ihre Ausbildung weitgehend selber finanziert.
Jedoch könnte die über den Numerus clausus stattfindende Verschiebung des Verhältnisses männlich/ weiblich in Richtung der Zahnmedizinstudentinnen so manchen Mann/Kollegen auf ebendiesen Gedanken kommen lassen. Hierfür bieten sich die in Berlin zunehmenden Gründungen der Z-MVZ an. Trotz aller Kosten für eine DH in ist es keine gute Idee. Die mit „Kratzen“ am Patienten verbrachte Stunde eines Zahnarztes ist umsatzmäßig ein Verlustgeschäft. Welcher Kollege möchte/ kann/ will 5 bis 6 Stunden pro Tag an subgingivalem BIOFILM kratzend verbringen?
Die außerordentlich vielen Tätigkeiten, die ein Zahnarzt zum Wohle seiner Patienten ausüben kann, sollten ihm keine Zeit für das „Kratzen“ lassen. Auch die neuen (?) Herausforderungen mit der zunehmenden Zahl von Senioren lässt sich nicht durch die Zahnärzte alleine bewältigen. Gerade weil bei Älteren die Mundhygiene aus diversen Gründen schlechter wird, ist eine Dentalhygienikerin erste Wahl. Ob es das Unterrichten von Heimpersonal oder das Vorbereiten und organisieren für die nachfolgende Tätigkeit des Zahnarztes ist.
Das duale Konzept der AOK mit der Ludwig-Maximilians-Universität und der bayerischen Zahnärztekammer zeigt auf, dass esmachbar ist, Heime und Senioren zu versorgen. Allerdings wurde hier auf mobile oder transportable Einheiten verzichtet. Sie würden eine Behandlung am/im Heim ermöglichen und somit Zeit- und Transportkosten ersparen. Zu guter Letzt möchte man natürlich einen Schuldigen finden. Das ist, wie wir wissen, der Patient! Er lebt und so bekommt er Parodontitis! Über 600 Bakterienarten, das „Quorum sensing“ und das „Horizontal Gene Transfer (HGT)“ und noch ein paar andere Faktoren sind dafür verantwortlich.
Jan Lindhe führte zusammen mit Store Nymann von 1969 bis 1975 eine Longitudinalstudie durch. Hierin beschreibt er Ergebnisse, die bis heute gelten: selbst schwere Formen der Parodontitis können auf lange Sicht beherrscht werden durch die 1) sorgfältige Mitarbeit des Patienten und durch 2) das regelmäßige Aufsuchen einer DH, die den Zustand des Zahnfleisches regelmäßig kontrolliert und sofort therapeutisch eingreift. Zusätzlich motiviert sie den Patienten. Eine weitere Longitudinalstudie von Axelson P; Nystrom B; Lindhe J. über 30 Jahre bestätigte das obere Ergebnis in allem. Das ist bis heute der „Goldstandard“ Und dennoch sind wir Zahnärzte von dieser heimlichen, sich anschleichenden Krankheit überrascht? Wir erklären dem Patienten, was er zu tun und zu lassen hat. Wir operieren, flappen, machen Knochenaufbauten, setzen Implantate. Die weitere regelmäßige Pflege überlassen wir dann unseren fortgebildeten Fachkräften (ZFA, ZMP, ZMF), die nicht subgingival arbeiten können/dürfen.
Aber ohne ein regelmäßiges RECALL/UPT durch DHs ist alle Mitarbeit des Patienten (wie wir ja im Grunde wissen!) nahezu vergebens und auch das ausgegebene Geld perdu. Zahnmedizin 2.0, wie von Prof. Dr. Christoph Benz gefordert, beginnt mit der staatlichen Zulassung der DH als eigenständigem Beruf. Oder ist ein „Podologe“ für die allgemeine Gesundheit unserer Patienten so viel wichtiger? Ob Bürger, Zahnarzt, Politiker oder Mitglied der BZAEK/KZBV: die Parodontitis macht alle gleich. Alle werden ohne regelmäßiges RECALL/UPT durch eine DH die Zähne früher als notwendig verlieren. Das kann man „biologische Komplikation“ nennen!
Dr. Jörg Junker, Berlin