Ineffizientes Kauen verschlechtert Blutzuckerspiegel
In einer aktuellen Studie berichten Forscher der University of Buffalo über mögliche Zusammenhänge zwischen instabiler Okklusion und erhöhten Blutzuckerspiegeln bei Typ-2 DiabetikerInnen. Dazu untersuchten sie die Daten von 94 Patienten mit Diabetes mellitus Typ-2, die in einer Ambulanz eines Krankenhauses in Istanbul behandelt wurden.
Die PatientInnen wurden in drei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe (Kontrollgruppe) umfasste Patienten mit einer stabilen Okklusion. Die zweite Gruppe hatte eine reduzierte Stützzone im Seitenzahnbereich und die dritte Gruppe einen vollständigen Stützzonenverlust beidseits. Probanden der zweiten und dritten Gruppe gaben an, Probleme beim Kauen von fester Nahrung zu haben. Die Ergebnisse zeigen in der Kontrollgruppe einen Blutzuckerspiegel von 7,48 und 9,42 in der Test-Gruppe (zwei und drei). Der Unterschied liegt bei fast zwei Prozent.
Wie die Verfasser die Ergebnisse erklären
Die Verdauung, also der Prozess, bei dem der Körper Nährstoffe aus der Nahrung extrahiert, beginnt, sobald das Kauen die Speichelproduktion anregt. Zu den Nährstoffen, die für die Senkung des Blutzuckerspiegels wichtig sind, gehören Ballaststoffe, die zum großen Teil durch das Kauen geeigneter Lebensmittel gewonnen werden. Eine eingeschränkte Kaufunktion kann zu einer reduzierten Aufnahme ballaststoffreicher Lebensmittel führen, erklären die Wissenschaftler.
Eine suffiziente Kaufunktion regt Berichten zufolge auch Reaktionen im Darm an, die zu einer erhöhten Insulinausschüttung führen, „indem sie das anorexigene Darmpeptid YY und das glucagonähnliche Peptid 1 (GLP-1) im Darmgewebe erhöht […]. Die Aktivierung des GLP-1-Rezeptors reduziert nachweislich den Hämoglobinwert A1c, kardiovaskuläre Todesfälle und Schlaganfälle.“ [Bayram und Eskan, 2023]. Die Verfasser berichten von einer Studie, bei der durch 30-maliges Kauen eines Bissens die GLP-1-Ausschüttung im Vergleich zu reduziertem Kauen deutlich erhöht war. Dies lege die umgekehrte Schlussfolgerung nahe, dass weniger Kauen wiederum eine verminderte Insulinausschüttung zur Folge hätte.
Ein weiterer Mechanismus, der durch Kauen ausgelöst wird, ist die Aktivierung des Hypothalamus, der ein Sättigungsgefühl hervorruft, was zu einer geringeren Nahrungsaufnahme führen kann. Die dafür verantwortlichen propriozeptiven Neuronen befinden sich in der Kaumuskulatur sowie im parodontalen Ligament.
„Der mesenzephale sensorische Trigeminuskern für die Kaufunktion empfängt propriozeptive sensorische Afferenzen des Trigeminusnervs aus dem Kaumuskel und dem parodontalen Ligament“ [Bayram und Eskan, 2023]. Es hat sich gezeigt, dass diese Signale das Sättigungsgefühl des Hypothalamus stimulieren. Noch vorhandene natürliche Zähne und eine funktionale Okklusion im Seitenzahnbereich würden somit an der Regulierung der Nahrungsmenge beteiligt sein. Wer weniger isst, verringert die Wahrscheinlichkeit, übergewichtig zu werden, was ein Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von Diabetes ist.
Schließlich erklären die Wissenschaftler, dass in der Folge einer unausgewogenen und proteinarmen Ernährung auch das Risiko einer Sarkopenie bestünde, was eine mögliche Schwächung der Kaumuskulatur zur Folge hätte. So sei in einer Studie nachgewiesen worden, dass „Produktion von Integrinen und die Masseteraktivität bei Probanden mit Malokklusion, Kreuzbiss oder offenem Biss dramatisch reduziert waren.“ [Bayram und Eskan, 2023].
Zahnpflege ist ein Behandlungsbaustein
Die Berücksichtigung der Mundgesundheit ist in letzter Zeit Teil des Ansatzes zur Behandlung von Diabetes geworden, zusammen mit der Ermutigung der Patienten, ein gesundes Gewicht zu halten, sich gesund zu ernähren und das Rauchen aufzugeben. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Anstieg des Blutzuckerspiegels um nur ein Prozent mit einem 40-prozentigen Anstieg der Sterblichkeit durch kardiovaskuläre oder ischämische Herzerkrankungen bei Menschen mit Diabetes verbunden ist, erklären die Autoren. Weitere Komplikationen können Nierenerkrankungen, Augenschäden, Neuropathie und eine langsame Heilung einfacher Wunden wie Schnitte und Blasen sein.
In dieser Studie wurden keine unabhängigen Variablen gefunden, die sich auf den Blutzuckerspiegel der Probanden auswirken könnten, da es keine statistischen Unterschiede zwischen den Probanden gab in Bezug auf den Body-Mass-Index (BMI), das Geschlecht, den Raucherstatus, die Medikation oder eine Infektion, wie sie durch die Anzahl der weißen Blutkörperchen (WBC) zu Beginn der Studie angezeigt wurde. Allerdings wurde in dieser Studie weder die genaue Nahrungsaufnahme der ProbandInnen, noch die Art und Dauer der täglichen Bewegung oder der Parodontalstatus berücksichtigt. Dies sowie die geringe Kohortengröße zählen zu den Einschränkungen der Studie. Die Ergebnisse stellen zwar Zusammenhänge, aber keine Kausalität dar.
Bayram YE, Eskan MA. Mastication inefficiency due to diminished or lack of occlusal support is associated with increased blood glucose levels in patients with type 2 diabetes. PLoS One. 2023 Apr 14;18(4):e0284319. doi: 10.1371/journal.pone.0284319. PMID: 37058457; PMCID: PMC10104312.