Spätes Glück

ck/dpa
Gesellschaft
Altern ist nichts für Feiglinge. Das fand schon Schauspielerin Mae West. Ein Jammertal der Unzufriedenheit aber offenbar auch nicht. Neue Studien zeigen, dass die meisten Menschen auch im hohen Alter zufrieden sind.

"Man kann sagen: Ein typischer 75-Jähriger, oft sogar noch ein typischer 85-Jähriger, hat die gleiche Lebenszufriedenheit wie ein typischer 45-Jähriger", sagt der Entwicklungspsychologe Denis Gerstorf an der Berliner Humboldt-Universität (HU). Erst relativ kurz vor dem Tod sinke die Zufriedenheit deutlich ab. 

Lebenshungrige Hundertjährige

Inzwischen gibt es in Deutschland rund 13.000 Menschen, die 100 Jahre oder sogar noch älter sind. Innerhalb von einem Jahrzehnt hat sich ihre Zahl von 6.000 mehr als verdoppelt. Heidelberger Forscher haben in einer repräsentativen Studie jüngst herausgefunden, dass drei Viertel der Hochbetagten aber unbedingt weiterleben möchten.

Im Vergleich zu früheren Generationen sind sie auch selbstständiger sowie geistig und körperlich fitter. Auch eine große australische Altersstudie, für die mehr als 1.200 Menschen zwischen 65 und 103 in den Jahren vor ihrem Tod befragt wurden, zeigt einen ähnlichen Trend. Gemeinsam mit kanadischen und australischen Forschern werteten Berliner Psychologen der HU diese Langzeitstudie jüngst aus.

Krankheiten ändern nichts

Demnach ändern selbst im hohen Alter Krankheiten, ein abnehmendes Erinnerungsvermögen oder Einsamkeit langfristig wenig an der Lebenszufriedenheit.  "Der Verlust des Partners oder andere einschlagende Ereignisse gehen natürlich nicht unbemerkt vorüber, aber die Lebenszufriedenheit stellt sich oftmals wieder ein", sagt Forscher Denis Gerstorf.

Erst kurz vor dem Tod scheint die Anpassungsfähigkeit des Einzelnen an ihre Grenzen zu kommen: Kognitive Fähigkeiten und Lebenszufriedenheit sinken deutlich. Der positive Blick auf sich selbst bleibt jedoch oft immer noch erstaunlich stabil. In einer zweiten Berliner Altersstudie werden seit einigen Jahren unter Leitung von Geriatrie-Expertin der Charité vergleichbare Daten zur Lebenszufriedenheit von rund 1.600 Senioren gesammelt und gesichtet. "Und die Ergebnisse sind ähnlich", sagt Gerstorf. 

Zuhause wird man zufriedener alt

Weitere Kennzeichen für zufriedenes Altern ermitteln die Forscher im Sozio-Ökonomische Panel. Seit 30 Jahren werden dafür jährlich bundesweit Privathaushalte befragt, derzeit mehr als 10.000. "Hier sehen wir, dass es einen Pool an wichtigen Variablen gibt", sagt Gerstorf. Aspekte wie Persönlichkeit, Bildung, Lebensstandard oder auch die Überzeugung, sein eigenes Leben kontrollieren zu können, spielten eine Rolle für Zufriedenheit. Körperliche und psychische Gesundheit natürlich auch. 

Als dritten wichtigen Bereich definieren die Forscher die Umgebung, in der ein Mensch alt wird. "Wer zu Hause gut versorgt wird, Ärzte in Reichweite hat oder bei Bedarf Essen auf Rädern beziehen kann, der ist zufriedener als einer, der sein gewohntes Umfeld verlassen und in ein Heim muss", sagt Gerstorf. 

Der leidende Partner kann einen runterziehen

In einer Studie mit älteren Ehepaaren untersucht sein Institut derzeit, inwieweit sich Paare im Alter gegenseitig beeinflussen. "Wir sprechen von emotionaler Ansteckung: Wenn es meinem Partner gut geht, geht es mir auch gut. Aber ein Partner, der leidet, kann mich auch runterziehen", sagt Gerstorf. Vor allem von Ehepartnern, bei denen einer den anderen pflegt, sei eine solche Negativ-Spirale bereits bekannt. 

Einen uneingeschränkt positiven Effekt haben hingegen offenbar Haustiere: Die HU-Sozialpsychologin Ursula Hess und ihre Kollegin Anne Springer von der Universität Potsdam untersuchten jüngst die Schmerztoleranz von Frauen mit Haustieren. Dabei mussten die Teilnehmerinnen ihre Hand in eiskaltes Wasser tauchen. Sie zeigten weniger Stress und hielten deutlich länger durch, wenn sie statt einer Freundin ihren Hund neben sich hatten. Wegen dieser stützenden Funktion empfiehlt Hess, Menschen in Seniorenheimen ihre Haustiere zu lassen: "Viele Tiere wie Hunde oder Katzen sind sehr empathisch." 

von Andrea Barthélémy, dpa

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