Ultraschall mal anders
Lippen weisen nach den Fingerspitzen die höchste Nervendichte auf. Dies machten sich Forschende der Carnegie Mellon University zunutze, um miithilfe von Ultraschalwellen in virtuellen Welten ein taktiles Feedback auf den Lippen, der Gingiva und der Zunge zu erzeugen. Obwohl der Mund für seine Sensibilität bekannt ist, hatten Forscher bisher Probleme, eine Möglichkeit zu finden, haptische Effekte darauf darzustellen. VR-Benutzer stecken sich nicht gerne Dinge in den Mund oder bedecken ihn.
Trinkbrunnen, Schlammspritzer, Käfer
Stellen Sie sich eine VR-Welt vor, in der es einen Trinkbrunnen gibt. „Jedes Mal, wenn man sich nach unten beugt und denkt, dass man das Wasser berührt, spürt man plötzlich einen Wasserstrahl auf den Lippen. Es macht das Erlebnis viel intensiver”, sagt Vivian Shen, Doktorandin am Institut für Robotik. Das System imitiert auch haptische Effekte wie Regentropfen, Schlammspritzer und krabbelnde Käfer durch punktuelle Impulse, Streichen und anhaltenden Vibrationen, die auf den Mund gerichtet und mit visuellen Bildern synchronisiert sind. Die Fähigkeit, die haptischen Impulse wahrzunehmen, beschränkt sich jedoch hauptsächlich auf die Hände und den Mund, nicht aber im Bereich der Unterarme und des Rumpfs, den hier gibt es keine ausreichende Dichte an Mechanorezeptoren.
Grundsätzlich ist es möglich, akustische Wellen, deren Frequenzen oberhalb der menschlichen Hörschwelle liegen, zur Erzeugung von Empfindungen zu nutzen, indem man sich auf einen kleinen Bereich konzentriert. Dieser Effekt wird durch die Verwendung von mehreren Ultraschall-erzeugenden Modulen, den sogenannten Transducern, erreicht. Wie jede Art von Welle können die von einem Wandler erzeugten Ultraschallwellen mit denen anderer Wandler interferieren – konstruktiv, um die Wellen zu verstärken, oder destruktiv, um sie auszulöschen.
„Wenn man den Zeitpunkt des Abfeuerns der Schallköpfe genau richtig wählt, kann man sie alle an einem Punkt im Raum zur konstruktiven Interferenz bringen”, sagte Vivian Shen vom Robotics Institute der Carnegie Mellon University. In diesem Fall wurden die Spitzenwerte der Amplitude auf den Lippen, den Zähnen und der Zunge ins Visier genommen. Durch eine subtile Modulation der Ultraschallleistung wurde der Effekt ebenfalls verstärkt.
Mundspezifische Effekte funktionieren
Eine Vielzahl von Effekten wurde von 16 Freiwilligen bewertet. Alle Probanden berichteten, dass die Mundhaptik ihr VR-Erlebnis verbessert hat. Nicht alle Effekte waren gleichermaßen nützlich. Mundspezifische Effekte – wie Zähneputzen, das Gefühl von Regentropfen an einem offenen Fenster oder das Gefühl, dass ein Käfer über die Lippen läuft – waren am erfolgreichsten.
Andere, wie beispielsweise das Gefühl, durch Spinnweben zu laufen, erwiesen sich als interessant, aber da die Menschen erwarteten, diese Empfindungen über einen großen Teil des Körpers und nicht nur über den Mund zu spüren, war der Effekt weniger stark, berichten die Forschenden.
Shen stellte die Forschungsergebnisse am 2. Mai auf der Association for Computing Machinery's Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI 2022) in New Orleans vor, auf der die Arbeit mit einem Best Paper Award ausgezeichnet wurde.