Studie zur Bürokratiewahrnehmung

Unternehmen kritisieren "mangelnde Sinnhaftigkeit"

br/pm
Mit der Forderung nach Bürokratieabbau stehen die zahnärztlichen Körperschaften nicht allein. Auch in der Wirtschaft rumort es. Das zeigt eine Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn.

Immer häufiger fühlen sich Unternehmen nicht mehr in der Lage, alle bürokratischen Vorgaben zu erfüllen. Zugleich stellen sie den Sinn vieler Vorschriften in Frage. Und sie kritisieren die hohe Regulierungsdichte, die sie teilweise als mangelndes Vertrauen der Politik und Behörden ihnen gegenüber empfinden. Entsprechend werden die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung skeptisch betrachtet und der eigentliche Sinn von Bürokratie wie Rechtssicherheit und Gleichbehandlung verkannt. Die Folge: Jedes vierte Unternehmen erfüllt bewusst einzelne bürokratische Erfordernisse nicht ("autonomer Bürokratieabbau").

Im Rahmen der Studie haben die IfM-Wissenschaftler erstmalig die Wahrnehmung von Bürokratie – und nicht den messbaren Zeit- und Kostenaufwand – untersucht. Grundlage waren zunächst 26 leitfadengestützte Interviews, darunter 17 Fachgespräche mit Vertretern aus Kammern und Wirtschaftsverbänden, Experten und Wissenschaftlern und Interviews mit neun Unternehmern. Daran anschließend folgte eine bundesweite Unternehmensbefragung, an der sich 1.483 Unternehmen beteiligten.

Unternehmer empfinden Stress und Unsicherheit

"Neben praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit bürokratischen Erfordernissen kritisiert ein großer Teil der Unternehmen die mangelnde Sinnhaftigkeit vieler Vorschriften (59,2 Prozent) und Regulierungsdichte (78,4 Prozent). Dies ruft häufig Stress und Unsicherheit hervor und kann die negative Bürokratiewahrnehmung weiter verfestigen. Auch wenn die eigentlichen Ziele von Gesetzen und Vorschriften nachvollziehbar sind, deren Umsetzung aber unverhältnismäßig hohen Aufwand und Ressourcen verlangt, wird die ‚Schwelle zur Unangemessenheit‘ überschritten." schreiben die Wissenschaftler.

"Unsere Unternehmensbefragung hat gezeigt, dass das Bürokratieverständnis von Politik und Unternehmen deutlich unterschiedlich ist: Die überwiegende Mehrheit der Unternehmensvertreter und -vertreterinnen fasst den Bürokratie-Begriff weiter als die Politik, die den Begriff auf die Dokumentations- und Informationspflichten sowie auf den benötigten Erfüllungsaufwand beschränkt. Dagegen zählt der Großteil der Unternehmen auch halböffentliche Vorgaben von Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, Normungsinstituten oder Berufsgenossenschaften dazu", erläutert Prof. Dr. Friederike Welter (IfM Bonn/Universität Siegen). "Es wundert daher nicht, wenn die Bürokratieentlastungsmaßnahmen, die die Bundesregierung unternimmt, in den Unternehmen skeptisch gesehen werden. Schließlich entstehen zum Teil die Regulierungen und Vorgaben in Bereichen, in denen die Politik nur wenig Einflussmöglichkeiten hat."

Forscher befürchten steigende Verdrossenheit

Im ihrem Fazit warnen die Forscher vor einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit: "Die verbreitet kritische Bürokratiewahrnehmung und der (zum Teil bewusste) Verzicht auf die Erfüllung bürokratischer Erfordernisse können als eine Schwächung der Rechtsstaatlichkeit und der Akzeptanz des wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmens aufgefasst werden. Hiermit sind zwei Bereiche betroffen, die für das Funktionieren einer hochkomplexen Volkswirtschaft und Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind. Wird der wahrgenommenen Bürokratiebelastung der Unternehmen nicht effektiv entgegengewirkt, kann dies den autonomen Bürokratieabbau verstärken, das Vertrauen in die Regelungskompetenz des Staates weiter reduzieren und mithin längerfristig zu Staats- und Demokratieverdrossenheit beitragen."

Als Konsequenz ihrer Befunde fordern die Wissenschaftler eine stärkere Einbeziehung der Unternehmen in den Bürokratieabbau. Die Bereitschaft der Unternehmen, daran mitzuarbeiten, sei vorhanden – auch das habe die Studie ergeben.

Die Studie "Bürokratiewahrnehmung von Unternehmen" ist auf derHomepage des Instituts für Mittelstandsforschungabrufbar.

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