Vergessene Nachrichten
Die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) wurde 1997 an der Universität Siegen gegründet. Im Rahmen von Lehrveranstaltungen im Studiengang Medienwissenschaften beobachteten Dozenten und Studierende, dass Themen in der medialen Berichterstattung nicht zufällig unerwähnt bleiben. Ihrer Erkenntnis nach waren und sind strukturelle Probleme des Journalismus dafür ausschlaggebend.
Das Rudel- beziehungsweise Milchkuhverhalten
„Ein solcher, durchaus kritisierenswerter, Mechanismus ist das Rudelverhalten von Journalisten“, sagt INA-Geschäftsführer Hektor Haarkötter in einem Radiointerview auf WDR5 anlässlich der Veröffentlichung der aktuellen Top Ten Ende Februar. „Sie berichten gerne über das, worüber andere Journalisten berichten. Wir nennen das das Milchkuhverhalten. Wir gehen an den Euter, an dem schon jemand Anderes dran war, weil wir wissen: Da ist die Milch lecker“, ergänzt der Professor, der an der Kölner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft lehrt.
Mit ihrer Top Ten versucht die INA, diesen Mechanismus auszuhebeln. Damit wichtige Nachrichten nicht ins Hintertreffen geraten, ruft der in Köln ansässige Verein die Öffentlichkeit zur Mitarbeit auf. Jeder kann Themen über dieINA-Websiteeinreichen - auf Wunsch auch vertraulich.
„Wir bekommen im Schnitt zwei- bis dreihundert Vorschläge im Jahr. Studierende gehen diesen Themen in Rechercheseminaren und Lehrveranstaltungen an verschiedenen Universitäten in Deutschland sukzessive auf den Grund“, erklärt Haarkötter im WDR. Geprüft werde unter anderem, was wirklich an der eingereichten Story dran sei und ob sie eine hohe gesellschaftliche Relevanz habe. Am Ende bleiben nach Angaben des INA-Geschäftsführers etwa 30 Themen übrig, aus denen die Jury dann die Top Ten auswählt.
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Datenaustausch ohne Wissen der Patienten
In ihre aktuelleTop Tenhat die INA den „fragwürdigen Umgang mit Patientendaten“ aufgenommen. Zum Hintergrund: Im August 2014 verschickte das Troisdorfer St.-Josef-Hospital versehentlich eine E-Mail mit sensiblen Patientendaten an seinen Presseverteiler. Die Übersicht enthielt neben Adressen und Geburtsdaten auch die behandelnde Fachabteilung, was Rückschlüsse auf die Erkrankung ermöglichte.
Eigentlich war die E-Mail an die katholische Kirche adressiert, die auf Basis dieser Informationen ihre ehrenamtlichen Besuchsdienste plant. Das Krankenhaus gab an, dass alle genannten Patienten ihre Einwilligung für den Datentransfer gegeben hätten. Aus den Recherchen der lokalen Medien ging hervor, dass dies nicht zutraf. Die Patienten gaben an, von dem Austausch nichts gewusst zu haben.
Im Zuge ihrer Recherchen sah die INA den Schutz von Patientendaten auch an anderen Stellen gefährdet. „Es gibt Hinweise darauf, dass sensible Informationen von Krankenhauspatienten nicht nur zu Kirchen, sondern auch zu anderen Institutionen gelangen. Es besteht beispielsweise der Verdacht, dass ein unzulässiger Datenaustausch zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Krankenhäusern stattfindet“, schreibt die Jury.
Mit dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich bestehe ein großes Interesse der Krankenkassen daran, Risikopatienten ausfindig zu machen und für sich zu gewinnen. Hinweise auf konkrete Fälle seien bei der INA aus verschiedenen Quellen eingegangen. Der Verein nennt unter anderem einen Bericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW, den in der Vergangenheit mehrere Beschwerden von Risikopatienten erreicht hatten. Der Anlass: Ihnen waren Fragebögen von gesetzlichen Krankenkassen zugesendet worden, die unzulässig viele Daten abfragten.
Dass dieses Thema nur in den Lokalmedien stattfand, hält die INA für nicht ausreichend, denn es hat ihrer Ansicht nach für Menschen überall in Deutschland Relevanz. In ihrer Begründung für die Entscheidung forder die Jury deshalb: „Medien sollten stärker darüber aufklären, wie der Datenschutz für Krankenhäuser und Krankenkassen geregelt ist.“
###more### ###title### Dauergast in den Top Ten ###title### ###more###
Dauergast in den Top Ten
Seit dem ersten Erscheinen ihrer Top Ten ist kaum ein Jahr vergangen, in dem die INA-Jury nicht mindestens ein Gesundheitsthema ausgewählt hat. Die verschiedensten Bereiche stehen dabei im Fokus. Schon 1997 wies der Verein zum Beispiel darauf hin, dass durch Fleischverzehr eine Antibiotikaresistenz entstehen kann. „Altenheimbewohner: Pflegeleicht durch Psychopharmaka“ hieß eine vergessene Nachricht im Jahr 2002 und „Pharmaindustrie unterwandert Patienten-Blogs“ im Jahr 2008.
„Wir verstehen uns als Teil von gemeinnützigem Journalismus. Wir bieten unsere Berichte zusammen mit den Rechercheprotokollen inklusive Namen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Medienhäusern an und bitten darum, dass jemand das Thema aufgreift“, erklärt Hektor Haarkötter. Laut dem Geschäftsführer haben die vergangenen Jahre allerdings gezeigt, dass die Veröffentlichung der Top Ten zwar ein gutes Medienecho erfahre, aber nur wenige Themen aus der Liste aufgenommen und weitergeführt werden.