Was Perlmutt so widerstandsfähig macht
Materialforscher sind immer auf der Suche nach Strukturen mit hoher Schadenstoleranz. Dabei müssen sie den Kompromiss zwischen Härte und Elastizität finden. Die Natur hat Hochleistungswerkstoffe mit unerreichter Festigkeit, Zähigkeit und Belastbarkeit erschaffen. Unter den Biomineralien wie Knochen, Zahnschmelz und verschiedene Biosilica, die für die Entwicklung neuer synthetischer Strukturmaterialien nachgeahmt werden sollen, ist Perlmutt das prototypische Supermaterial.
Wird Druck auf das Material ausgeübt, zeigt Perlmutt eine 40-fach höhere Bruchzähigkeit als das monolithische (einkristalline) Calciumcarbonat (Aragonit), aus dem es aufgebaut ist. Die Fähigkeit von Perlmutt, sich nur begrenzt zu verformen und kritische Spannungen abzubauen, bevor ein Bruch auftritt, wurde bislang nicht quantifiziert oder mit nanomechanischen Prozessen in Verbindung gebracht.
Eng verwebte Nanokomposite sorgen für Festigkeit
Ein internationales Team aus den Bereichen Material- und Geowissenschaften und Biologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), der University of Michigan, der Macquarie University in Sydney und der Université Bourgogne Franche-Comté hat nun das Geheimnis gelüftet, warum Perlmutt so widerstandsfähig ist.
Um die Ursache dafür zu finden, mussten die Forscher ganz genau hinschauen – mit Elektronenmikroskopen in den nanoskaligen Bereich. Hier entdeckten sie eng verbundene Kompositstrukturen aus Aragonit-Plättchen, die durch eine Art organischen Mörtel zusammengehalten werden – eine Anordnung, die zwar generell Festigkeit verspricht, aber die außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit von Perlmutt nicht gänzlich erklärt.
Perlmutt ist aus geschichteten polygonalen Aragonit(CaCO3)-Plättchen aufgebaut (0,5 bis 1 µm dick und 10 bis 20 µm breit). Diese sind durch eine dünne Membran (etwa 5 bis 30 nm Dicke) aus organischem Material verbunden. Perlmuttplättchen können in einer Ziegel-Mörtel-ähnlichen Architektur im Blatt-Perlmutt von Muscheln angeordnet oder als vertikale Säulchen in Gastropoden gestapelt sein.
Die organische Fraktion von Perlmutt besteht aus organischen Membranen, in die Mineralplättchen in der Größenordnung 5 bis 20 nm eingebettet sind. Die Perlmuttplättchen haben eine strukturierte Oberflächenrauheit, von der vermutet wird, dass sie eine wichtige Rolle bei der Verhinderung des Verrutschens der Plättchen spielt. Oberflächenunebenheiten zwischen gegenüberliegenden Perlmuttplättchen bilden gelegentlich enge (20 bis 50 nm) Mineralbrücken.
Unter Druck wird die Belastung auf viele Plättchen verteilt – und Materialbruch verhindert
In ihrem Experiment übte das Team unter einem Elektronenmikroskop Druck auf die Muschelschalen aus und beobachtete in Echtzeit, was passierte. Bei Belastung der Schalen wird die organische Schicht beiseite geschoben und aufgrund der rauen Plättchenoberfläche verhaken sie sich untereinander. So wird die Belastung auf viele benachbarte Plättchen verteilt und Materialbruch verhindert. Wird der Druck weggenommen, springt die Struktur in ihre alte Form zurück, ohne an Festigkeit oder Elastizität zu verlieren.
Die Wissenschaftler zeigten, wie große Kräfte Perlmutt in verzahnte Zustände treiben können, die es dem Material ermöglichen, Spannungen über mehrere Plättchen zu verteilen und die mechanische Energie durch die elastische Verformung von organischen Membranen zu absorbieren.
Nach Entfernung der Druckquelle, stellt das Perlmutt seine ursprüngliche Morphologie und mechanische Festigkeit wieder her.
Ihre Ergebnisse erlauben es Materialforschern, eine neue Generation von bruchfesten keramischen Materialien zu entwickeln, die widerstandsfähig auf Belastungen reagieren, Anforderungen wie sie für Alltags- oder Spezialanwendungen in der Medizintechnik auftreten, beispielsweise für Zahn- und Knochenimplantate.
Gim, J., Schnitzer, N., Otter, L.M. et al. Nanoscale deformation mechanics reveal resilience in nacre of Pinna nobilis shell. Nat Commun 10, 4822 (2019). Published online 23 October 2019. DOI: doi.org/10.1038/s41467-019-12743-z.