Prof. Søren Jepsen zum GRAM-Report

Was Zahnärzte gegen Antibiotika-Resistenzen tun können

LL/br
GesellschaftZahnmedizin
Der GRAM-Report (Global Research on Antimicrobial Resistance) kommt zu dem Ergebnis, dass 2019 etwa 1,27 Millionen Todesfälle direkt durch Antibiotika-Resistenzen verursacht wurden – Tedenz stark steigend. Prof. Søren Jepsen erklärt, was Zahnärzte tun können.

Das internationale Team analysierte weltweit die Antibiotika-Resistenzen in 204 Staaten und Territorien. Das Ergebnis: Es gab zwar regionale Unterschiede, aber allein im Untersuchungsjahr 2019 wären hunderttausende Todesfälle leicht vermeidbar gewesen, wenn die Infektionen, die auf resistente Bakterien zurückzuführen waren, erfolgreich hätten behandelt werden können. Zu den weltweit häufigsten Todesfällen gehören laut Report damit solche, die in Zusammenhang mit Antibiotika-Resistenzen stehen. Ihre Zahl übersteigt die der Todesfälle durch HIV beziehungsweise AIDS (680.000) und Malaria (409.000).

Die größte Auswirkung auf die Krankheitslast hatten Arzneimittelresistenzen in Zusammenhang mit Infektionen der unteren Atemwege wie Lungenentzündungen. Dadurch starben in der Folge mehr als 400.000 Patienten, was fast einem Drittel aller Todesfälle durch Antibiotika-Resistenzen entspricht. Ebenfalls einen großen Effekt haben Resistenzen bei Sepsen und abdominalen Infektionen.

Der Einsatz von Antibiotika sollte optimiert werden

In ihrem Fazit unterstreichen die Autoren desGRAM-Berichtsdie dringende Notwendigkeit, die Anstrengungen zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen zu verstärken. Zu den wesentlichen Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Todesfälle und zum Schutz der Gesundheitssysteme gehörten die Optimierung des Einsatzes von Antibiotika, verstärkte Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle von Infektionen sowie die Finanzierung der Entwicklung neuer Antibiotika und Therapiemethoden.

Schon viel früher als bisher angenommen, so die Prognose des aktuellen Berichts, werde es 10 Millionen Tote jährlich geben, weil Antibiotika bei den Patienten nicht wirken. „Diese neuen Daten zeigen das Ausmaß der weltweiten Antibiotika-Resistenz und sind ein klares Signal, dass wir jetzt handeln müssen, um die Bedrohung zu bekämpfen”, kommentiert Co-Autor Prof. Chris Murray die Studienergebnisse. Einen Zeitpunkt, wann die Schwelle erreicht werden könnte, gab der Wissenschaftler nicht an.

Ein Fünftel aller Todesfälle sind Kinder unter fünf Jahren

Die Zahl der direkt durch Resistenzen verursachten Todesfälle war in Afrika südlich der Sahara und in Südasien mit 24 Tbeziehungsweise 22 Todesfällen pro 100.000 Einwohner am höchsten. Darüber hinaus wurde die Resistenz gegen antimikrobielle Präparate in Afrika südlich der Sahara mit 99 und in Südasien mit 77 Todesfällen pro 100.000 in Verbindung gebracht. In Ländern mit hohem Einkommen verursachte die Antibiotikaresistenz 13 Todesfälle und wurde mit 56 Todesfällen pro 100.000 in Verbindung gebracht.

Da die Resistenzen je nach Land und Region stark variieren, sei eine Verbesserung der weltweiten Datenerfassung von entscheidender Bedeutung, um die Entwicklung besser verfolgen und so Medizinern und Entscheidungsträgern wichtige Informationen liefern zu können, berichten die Studienautoren. Eine lückenhafte Datenlage bestehe ausgerechnet in vielen einkommensschwachen Ländern mit hoher Antibiotika-Resistenz. Die Resistenzen sind für alle Altersklassen gefährlich, bei Kleinkindern wurde jedoch ein besonders hohes Risiko festgestellt. Laut Bericht traten rund 20 Prozent der auf Antibiotika-Resistenz zurückzuführenden Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren auf.

Für die Studie wurden 23 Erreger analysiert. Sechs davon führten aufgrund ihrer Resistenz zu geschätzt 73 Prozent (929.000) aller direkten Todesfälle. Dazu gehören:

Escherichia (E.) coli,

Staphylococcus (S.) aureus,

Klebsiella (K.) pneumoniae,

Streptococcus pneumoniae,

Acinetobacter (A.) baumannii und

Pseudomonas aeruginosa.

In Ländern mit hohem Einkommen erwiesen sich vor allem resistente S.-aureus- und E.-coli-Bakterien gefährlich. Auf sie wurden mehr als 20 Prozent aller Todesfälle durch Resistenzen zurückgeführt. Die Erreger-Wirkstoff-Kombination Methicillin-resistenter S. aureus (MRSA) verursachte laut Bericht mehr als 100.000 und damit die meisten Todesfälle im Jahr 2019.

Von allen Erregern war die Resistenz gegen Antibiotika Fluorchinolone und Beta-Laktam-Antibiotika, die üblicherweise als erste Abwehr gegen schwere Infektionen eingesetzt werden, für schätzungsweise 70 Prozent der bretreffenden Todesfälle verantwortlich.

Die Bedeutung für die Zahnmedizin

HerrProf. Søren Jepsen, welche Rolle spielen Antibiotikaresistenzen in der Parodontologie? Gibt es Daten zu resistenten Keimen in den Zahnfleischtaschen?Prof.SørenJepsen:Ja – gerade hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eine vielbeachtete Arbeit publiziert. In subgingivalen Plaque-Proben von annähernd 8.000 Parodontitispatienten aus Deutschland waren bei etwa zwei Drittel der Patienten parodontalpathogene Bakterien zu finden, die zumindest gegenüber einem der getesteten Antibiotika (unter anderem Amoxicillin, Metronidazol, Ampicillin, Doxycyclin, Azithromycin, Ciprofloxacin) resistent waren. Zudem war über die Jahre 2008 bis 2015 ein signifikanter Trend zu abnehmender Empfindlichkeit zu beobachten.Außerdem – und das wurde noch nicht publiziert – waren auch Bakterien, die nicht zu den klassischen Parodontalpathogenen zählen, aber mit ernsten Allgemeininfektionen in Zusammenhang stehen, wie zum Beispiel Enterobakterien und Enterokokken, in parodontalen Taschen von mehr als 16.000 Patienten nachweisbar. Auch von ihnen zeigte ein gewisser Anteil Resistenzen gegenüber den untersuchten Antibiotika. Somit sind Zahnfleischtaschen von Parodontitispatienten als ein möglicherweise bedeutsames Reservoir für medizinisch relevante multi-resistente Erreger anzusehen.

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Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, MS, ist Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde in Bonn. | privat

Welche resistenten Bakterienarten finden sich im oralen Mikrobiom?

Viele Zahnärzte entscheiden sich im Zweifelsfall unabhängig von den Empfehlungen der Fachgesellschaften trotzdem für den Einsatz von Antibiotika, weil sie den individuellen Patientennutzen höher bewerten als das epidemiologische Interesse an der Resistenzprophylaxe. Wo lassen sich in der Parodontologie Antibiotika vermeiden, ohne in dieses Spannungsfeld zu geraten?

Die Parodontologie zeigt hier also ein großes Verantwortungsbewusstsein für die öffentliche Gesundheit und fordert einen sehr limitierten und verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika – ganz im Sinne des allgemein propagierten Antibiotic Stewardship.Dies ist auch insofern ein sehr wichtiger Beitrag, weil in Deutschland bisher noch geschätzt knapp 10 Prozent aller medizinisch verordneten Antibiotika und in den USA sogar etwa 13 Prozent von Zahnärzten verschrieben werden.

Die Fragen stellte Benn Roolf.

Einschränkungen der Studie

Die Forschenden verwendeten statistische Modelle, um Schätzungen zu den Auswirkungen von Antibiotika-Resistenzen in allen Ländern zu erhalten, einschließlich derjenigen, für die keine Daten vorlagen. Dabei stützten sie sich auf 471 Millionen individuelle Gesundheitsdaten aus systematischen Literaturüberprüfungen, Krankenhaussystemen, Überwachungssystemen und anderen Datenquellen. Zum einen begrenzte jedoch die Datenverfügbarkeit für einige Regionen die Aussagekraft, heißt es. Zum anderen berge die Zusammenführung und Standardisierung von Daten aus vielen verschiedenen Quellen das Potenzial für Verzerrungen der Ergebnisse.

„Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis” published online first in The Lancet on January 19, 2022 DOI:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)02724-0

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