"Da gibt es einen Minister Spahn, der sagt, der Arzt stehe im Zentrum der medizinischen Therapie. Das steht in erfrischendem Widerspruch zu dem, was noch vor drei Jahren aus seiner Feder floss", meinte Benz. "Da schrieb er in dem Buch ‚App vom Arzt‘, dass der Arzt in seiner diagnostischen und therapeutischen Kompetenz dem Computer genauso unterlegen sei wie einstmals das Pferd der Dampfmaschine." Ein weiteres Signal sei es gewesen, als Gottfried Ludewig, der Chef der Abteilung Digitalisierung im BMG gesagt habe, das BMG wolle aufhören, Wolken zu schieben. "Man will nicht mehr diese Riesenprojekte, die dann irgendwo hängen bleiben und niemals in die Umsetzung kommen. Und der neue Geschäftsführer der gematik, Markus Leyck Dieken, meint, dass es für eine digitale Anwendung völlig egal ist, ob das BMG die gut findet oder ob die Krankenkassen die empfehlen – sondern dass die Ärzte diese Anwendung tatsächlich umarmen."
Auf der anderen Seite gebe es auch verstörende Signale aus dem BMG, so Benz: "Da wird gesagt, der Datenschutz sei den Deutschen so wichtig, dass wir auf einem ganz hohen Niveau arbeiten müssen – und dann macht der Minister sich einen ganz schlanken Fuß und sagt, verantwortlich dafür bleiben die Ärzte. Wir wissen doch, was ein Ministerium daraus macht: Wenn die wissen, dass sie etwas nicht bezahlen müssen kommt dann eine Prüfbürokratie, Zertifikate werden erteilt, es kann alles Mögliche passieren. Zahlen tun letztlich wir. Dass diese Dinge auf uns überantwortet werden, mag man je nach Sichtweise für erschreckend egozentrisch oder total dreist halten."
Überwachungskapitalismus amerikanischer Konzerne?
Noch viel verstörender aber fände er die Welle, die um Big Data gemacht werde. "Das Narrativ vom BMG ist, zu sagen, wir bräuchten diese Daten, weil wir Deutschland endlich mal in der Gesundheitsforschung nach vorn bringen wollen. Ich sage ganz klar, in der wissenschaftlichen Community besteht da überhaupt kein Konsens. Dr. Martin Hirsch, Neurophysiologe und Gründer der Ada Health GmbH, sagt beispielsweise, Big Data sei großer Müll. Er hat auf Fachwissen von Experten gebaut, und mit diesem die Struktur seiner inzwischen weltweit genutzten App geschaffen. Ich zitiere Katharina Zweig, eine Informatikprofessorin und Sachverständige der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz des Bundestages. Sie sagt, Wissenschaft könne man nicht auf der Grundlage von zufällig zeitgleich beobachteten Ereignissen machen. So eine Forschung, die nur Korrelationen sieht, aber keine Kausalitäten, würde man, Originalzitat, ‘einem Wissenschaftler um die Ohren hauen müssen‘."
"Und Prof. Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums in Freiburg, bezweifelt sogar, dass man Korrelationen sehen wird. Der sagt, je größer Big Data wird, umso größer das Rauschen. Und ich frage, was hat uns denn Google bisher Bewegendes in der Medizin geliefert? Das wird uns immer als besondere Vorstellung präsentiert, aber wo sind denn diese wertvollen Erkenntnisse? Wenn man nun vermuten muss, dass die Wissenschaft wohl nicht der Hintergrund sein kann, was kann man dann vermuten? Ist da vielleicht der Gedanke, als trojanisches Pferd einfach den gläsernen Arzt zu präsentieren, der mit all seinen Daten für wen auch immer verfügbar ist, zum Beispiel für den Spitzenverband der Krankenkassen?"
Eine Frage sei erlaubt an einen Herrn Minister, der von Überwachungskapitalismus der großen amerikanischen Konzerne spreche, wobei seine Partei, gleichzeitig den Überversorgungskapitalismus, der von Fremdkapital gesteuerten Medizinischen Versorgungszentren umarme: "Wo ist da die Verhältnismäßigkeit? Sind inzwischen tatsächlich Linke und SPD mehr unsere Partner als CDU?"
Problem: Die deutsche Lust am Prüfen
Beim Bürokratieabbau sei die Situation mit dem Normenkontrollrat enttäuschend, in den die BZÄK große Hoffnungen gesetzt hatte: „Es sind im Promillebereich Verbesserungen entstanden, hier eine Unterschrift, da eine Liste weniger. Aber wir haben feststellen müssen, dass das Bürokratiefenster, dass der Normenkontrollrat unter die Lupe nimmt, viel zu klein ist. Für unsere Kollegen ist Bürokratie viel mehr. Da ist die Aktualisierungsfortbildung, die man zum vierten Mal besucht, oder die Fortbildung, die ich für meine Mitarbeiter zum Thema Nutzung von Leitern halten muss. Einen Vorteil haben wir: Wir haben inzwischen eine große Community, die dieses Thema in die Öffentlichkeit trägt, und dazu gehören auch andere Berufe. Und die Politik fängt an, zu verstehen. Bei der Konferenz letztens im Normenkontrollrat waren sie alle da, Olaf Scholz, Angela Merkel... Wir müssen den Druck auf die Politik aufrecht erhalten und dazu trägt natürlich das Disaster mit dem BER bei. Das, was mal deutsche Gründlichkeit war, ist zu einer Farce im Prüf- und Qualitätswesen verkommen, wo wir uns nur noch gegenseitig blockieren. Wir müssen den Druck aufrecht erhalten, einen anderen Weg haben wir nicht." Die unsägliche deutsche Lust am Prüfen sei eine Leidenschaft, die sich zu einem Riesenproblem in Deutschland entwickelt habe, fügte Benz hinzu.
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