Der Dentexia-Skandal in Frankreich

"Unsere Zähne wurden Händlern anvertraut!"

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2016 gründete Dr. Abdel Aouacheria in Frankreich das "Collectif contre Dentexia", ein Kollektiv aus Geschädigten des Dentexia-Skandals. Das Ziel: die kriminellen Betreiber der Dentalkette zu verklagen und für Entschädigungen der Opfer zu streiten. Hier sein Fazit.

"Aus meiner Sicht liegt die wahre Katastrophe, die durch den Dentexia-Skandal noch befeuert wurde, in der Kommerzialisierung der Zahnmedizin.

"Die wahre Katastrophe ist die Kommerzialisierung der Zahnmedizin!"

Unsere Zähne wurden Händlern anvertraut. Was passiert, wenn industrialisierte und technisierte Managementprozesse auf die menschliche Gesundheit übertragen werden, ist keine Überraschung:

  • Dashboard-Steuerung* (offengelegt im Konkursverfahren von Dentexia);

  • Rentabilität als oberstes Ziel: Maßgabe war ein 'Umsatz' von 90.000 Euro pro Stuhl und Monat;

  • Risiken von überflüssigen Zahnextraktionen und Überbehandlung (Das Motto des ehemaligen Präsidenten von Dentexia, Pascal Steichen, lautete schließlich: 'Der beste Zahn ist das Implantat!'); 

  • die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung ist im Vergleich zu anderen wirtschaftlichen Größen nachrangig oder sogar kontraproduktiv.

Durch allmähliche Verschiebungen wird der Patient zu einem Objekt degradiert, er wird verdinglicht. Indem er als Mittel und nicht mehr als Mensch betrachtet wird, beraubt man ihn seiner Würde - und reduziert ihn auf sein Portemonnaie beziehungsweise auf ein Gefäß für Implantate und Implantat-getragene Prothesen.

"Der Patient wird zu einem Objekt degradiert"

Ich habe das Dentexia-System mit der Schneeballpyramide von Madoff verglichen. Da das System mit Geld auf Pump arbeitet, können die von den Patienten bereits vorab bezahlten Behandlungen nicht mit den vorhandenen Mitteln durchgeführt werden. Nur frisches Geld als Gebühr vor Behandlungsbeginn, das von neuen Patienten eingebracht wird, die ständig neu rekrutiert werden müssen, kann die Versorgung der Bestandspatienten finanzieren.

Wie die Subprime-Krise** gezeigt hat, kann ein solches System sich nicht dem lauernden tödlichen Ausgang entziehen: dem Zusammenbruch seiner selbst. Werden zu wenig Patienten behandelt im Vergleich zu dem konstanten Strom neuer Patienten, die einen Vertrag abschließen und auf eine Behandlung warten, beginnt die Kette zu entgleisen: überfrachtete Terminpläne, unerfüllte Behandlungen.

"Ein Schneeballsystem"

Das ist der Punkt, an dem es zu gesundheitlichen Komplikationen kommt, die angegangen werden müssen, wodurch wiederum zusätzliche Kosten entstehen. Wenn vertraglich vereinbarte Ziele (und unbezahlte Rechnungen von Lieferanten) die Behandlungs- und Zahlungskapazitäten dermaßen überragen, platzt die dentale Spekulationsblase und die Firma geht insolvent.

Grundsätzlich ist die Dentexia-Affäre für mich die Geschichte einer gescheiterten Analogie zu den Billigfliegern der Zivilluftfahrt. Der Kunde, der sein Ticket bei einem Billiganbieter kauft, nimmt mit wenigen Leistungen im Vergleich zu den traditionellen Unternehmen vorlieb, er wird sich mit Handgepäck und einem Glas Wasser statt mit einem großen Koffer und einem Erfrischungsgetränk begnügen. Aber er weiß, dass das Flugzeug normalerweise nicht abstürzt. 

Low-cost bei Dentexia, das hieß: Die Risiken waren so hoch, dass ein Absturz unvermeidlich war. Und dass dieser Absturz Opfer fordern wird. Betroffen sind nicht nur die Opfer selbst, sondern auch ihre Familien, ihre Angehörigen, ihr Umfeld im Allgemeinen: Die Explosion, die durch das Platzen der 'Dentexia-Blase' ausgelöst wurde, hat zu einer furchtbaren Schockwelle geführt, deren Ausmaß immer noch schwer zu erfassen ist.

Ich war sehr berührt von den vielen Nachrichten (fast 25.000), die mich seit Beginn des Falls erreicht haben. Bei einigen Opfern können die - nicht nur physischen, sondern vor allem psychischen - Verletzungen nur schwer oder gar nicht behandelt werden. All diese SOS rechtfertigen, dass wir den Skandal juristisch verfolgen und massiv Klage eingereicht haben, um dagegen anzugehen. Die französische Justiz muss jetzt ihre Arbeit tun, und wir freuen uns auf die Gerichtsverhandlung, die in einigen Jahren stattfinden soll.

"Mehr als fünf Jahre nach Beginn der 'Behandlung' lebte ich immer noch mit einer infizierten Brücke im Mund ..."

Auf persönlicher Ebene wurde ich Opfer eines Motorradunfalls, infolgedessen ich etliche Zahnprobleme in Kauf nehmen musste. Im Dezember 2012 wurde ich in einem neu eröffneten Dentexia-Zentrum in Lyon empfangen, wo man mich bat, fast 14.000 Euro im Voraus für eine vollständige Versorgung zu zahlen.

Mehr als fünf Jahre nach Beginn der 'Behandlung' lebte ich immer noch mit einer infizierten Brücke im Mund, was zu permanenten unerträglichen Zahnschmerzen führte - ohne all die anderen gesundheitlichen Mängel zu erwähnen, die durch meinen Weg durch diese preiswerte Zahnkette entstanden waren.

Meine Ausgangssituation vor diesen 'Arbeiten' war in jeder Hinsicht besser. Dentexia hatte nur neue Probleme geschaffen, anstatt sie zu lösen. Meine vielen Versuche, Zahnärzte zu finden, die mich als Patient übernehmen und die zahnärztlichen Fehler reparieren und die Behandlung abschließen wollten, waren lange Zeit (einschließlich auf Krankenhausebene) vergebens - mit Ausnahme einer Praxis, die mehrere hundert Kilometer von meinem Zuhause entfernt ist.

Meine Therapie ist immer noch nicht abgeschlossen, aber ich hoffe, dass dies in den nächsten Monaten der Fall sein wird. Ich danke herzlich der Praxis, die mich betreut und die auch andere Opfer von Dentexia übernommen hat. Ich schreibe gerade ein Buch über die Affäre und hoffe, es findet einen wohlwollenden Verleger.

"Ich glaube weiterhin an eine offizielle Antwort!"

Schließlich glaube ich weiterhin an eine offizielle Antwort auf den 'Dentexia-Fall' - sowohl als Bürger als auch auf individueller Ebene als Patient, Erkrankter und Opfer von Dentexia. Ich erhalte fast täglich Mitteilungen von Patienten mit Problemen: desillusioniert, verloren, niedergeschlagen. Oft weiß ich nicht, was ich ihnen antworten soll.

Deshalb habe ich beschlossen, zusammen mit anderen Opfern den ersten französischen Verein ins Leben zu rufen, der unabhängig von und für Patienten gegründet wurde. Die Satzung des Vereins wird im Januar 2019 eingereicht. Wir haben ihn 'La Dent Bleue' genannt. Zu seinen Aufgaben gehören alle Maßnahmen, die die Entwicklung krimineller Dentalketten und einen neuen Dentexia-Skandal verhindern."

Dr. Abdel Aouacheria, Dezember 2018.

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