Der Patient spricht mit!

sg
Zahnmedizin
Das zahnärztliche Zweitmeinungsmodell ist in Deutschland fest etabliert. Der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer erklärt, warum das Angebot die moderne Arzt-Patientenbeziehung widerspiegelt und wie sich dieses Verständnis auf die Behandlung auswirkt.

Das Zweitmeinungsmodell gibt es flächendeckend in ganz Deutschland - wie kam es dazu?

Dr. Wolfgang Eßer:Die zahnärztliche Selbstverwaltung unterstützt traditionell Patienteninteressen im Sinne von Auskünften, Beratungen und Unterstützung bei Konflikten. Bis in die 90er Jahre erhielten Patienten bei Bedarf unbürokratische Hilfe, ohne dass die Patientenberatung als solche - anders als Gutachter- und Schlichtungsstellen - institutionalisiert war.

Die Zunahme zahnmedizinischer Therapiemöglichkeiten und der damit verbundene höhere Informationsbedarf sowie entsprechend gesteigerte Nachfragen erforderten aber schließlich eine Erweiterung der Beratungsangebote. Ab Mitte der 90er Jahre haben deshalb die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und die Landeszahnärztekammern in Eigeninitiative eine objektive, neutrale und fachspezifische zahnärztliche Patientenberatung aufgebaut. Sie gehörte damals zu den ersten institutionalisierten Beratungsangeboten, die Patienten zur Verfügung standen und stieß auf großes Interesse.

Die Gesundheitspolitik hat die Patientenberatung seit dem Jahr 2002 aufgegriffen. Der zunehmenden öffentlichen Wahrnehmung des Themas trugen die Zahnärzte dadurch Rechnung, dass sie ihre Beratungsstellen ausbauten und mit besonders qualifizierten Zahnärzten und Mitarbeitern besetzten.

Mit der Einführung des Festzuschusssystems für Zahnersatz bei gesetzlich Versicherten 2005 haben die KZVen die Patientenberatung dann um ein bundesweites „Zweitmeinungsmodell“ erweitert. Damit erhalten die Patienten die Möglichkeit, zusätzlich eine neutrale Meinung zu einem vorliegenden Behandlungsplan einzuholen. Inzwischen ist die Patientenberatung der zahnärztlichen Selbstverwaltung im öffentlichen Bewusstsein etabliert und durch die hohe Akzeptanz als unverzichtbare Einrichtung bestätigt.

Gibt es Hinweise, wie das Angebot der Patientenberatung angenommen wird?

Zahnärzte akzeptieren die Patienten als mündige Bürger. Sie beraten sie objektiv in ihrer Therapiewahl und sind häufig erster Ansprechpartner für die Patienten. Daher nehmen sich die Zahnärzte nicht nur viel Zeit für die Behandlung, sondern eben immer auch für die Beratung. Bei mehr als 80 Prozent aller Behandlungen inklusive Reparaturen erläutern Zahnärzte den Patienten ausführlich die Vor- und Nachteile verschiedener Therapien. Das belegt zum Beispiel die Studie "Zahnärztliche Kommunikationsmuster bei der Versorgung mit Zahnersatz" des Instituts der Deutschen Zahnärzte.

Anlass war die Einführung des Systems befundbezogener Festzuschüsse zum Zahnersatz. Mit dieser Entscheidung haben Patienten einen erweiterten Spielraum bei der Wahl zwischen zahlreichen Therapiemöglichkeiten erhalten, der auch mit einem erhöhten Informationsbedarf einherging. Die Studie zeigt, wie die Zahnärzte seitdem in ihren Praxen auf die Informationsbedürfnisse der Patienten reagieren.Die große Mehrheit hat die Herausforderung nach intensiver Beratung angenommen. Dabei stehen nicht nur allgemeine Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungen im Vordergrund. In durchschnittlich drei von vier Fällen schlagen Zahnärzte auch konkrete Behandlungsalternativen vor.

Zudem ermuntern die Zahnärzte die Patienten, Fragen zu stellen, um Informationslücken zu schließen. Die Zeiten sind also vorbei, in denen der Patient auf dem Zahnarztstuhl den Mund nur zur Behandlung geöffnet hat. Das zeigt auch ein weiteres Befragungsergebnis: Für mehr als 85 Prozent aller Behandlungsfälle gaben Zahnärzte an, dass bei der letztlich gewählten Therapie die Vorstellungen des Patienten einbezogen wurden.

Das Zweitmeinungsmodell wird von den Allgemeinmedizinern gern als Beispiel dafür genommen, wie gut die Patientenberatung bei den Zahnärzten funktioniert. Was sagen Sie dazu?

Dieses Lob der Kollegen bestätigt mich in meiner Auffassung, dass wir Zahnärzte in der Patientenberatung mit unseren vielfältigen Beratungsangeboten den richtigen Weg eingeschlagen haben. Denn nur der aufgeklärte Patient ist ein zufriedener Patient. Daher stand schon immer der Patient im Mittelpunkt zahnärztlichen Handelns. Eine intensive Beteiligung von mündigen, selbstbestimmten Patienten an medizinischen Entscheidungsprozessen ist sinnvoll und notwendig, denn sie dient der Stärkung des Patienten-Zahnarzt-Verhältnisses und wird von der Zahnärzteschaft ausdrücklich begrüßt.

Die umfassende Beratung und Aufklärung durch seinen Zahnarzt ist für den Patienten von zentraler Bedeutung. Das gilt aber natürlich auch für andere medizinische Disziplinen. Neben der Beratung der Patienten in der Praxis ist die fachlich kompetente Patientenberatung durch die zahnärztliche Selbstverwaltung ein wesentlicher Baustein patientenorientierter Zahnmedizin. Das niedrigschwellige Angebot der Patientenberatung durch den Berufsstand resultiert aus der mit der freien Berufsausübung unmittelbar verbundenen Gemeinwohlverpflichtung der Zahnärzteschaft.

Was bedeutet dies für das Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient?

Gegenseitiges Vertrauen ist für eine erfolgreiche Behandlung unabdingbar. Das Gesundheitswesen in Deutschland ist ein komplexes System, dessen Beteiligte - Patienten, Zahnärzte, Ärzte ebenso wie Kostenträger - an soziale, politische und gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden sind. Rolle und Stellung der Patienten in dem System haben sich aber in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Das traditionelle Zahnarzt-Patienten-Verhältnis mit alleiniger Entscheidungssouveränität des Arztes ist einer partnerschaftlichen Beziehung gewichen, die sich durch eine stärkere Beteiligung der Patienten an medizinischen Entscheidungsprozessen auszeichnet.

Patienten sind heute mehr denn je in der Lage, die ihnen zustehenden Rechte aktiv wahrzunehmen. Dies setzt voraus, dass sie über verlässliche medizinische und rechtliche Wissensgrundlagen verfügen. Das gilt besonders für die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, bei der es für eine bestimmte Befundsituation meist mehrere wissenschaftlich abgesicherte Versorgungsalternativen gibt.

Die aktive Beteiligung der Patienten an der Therapieentscheidung, die sogenannte partizipative Entscheidungsfindung, ist nicht nur gewünscht, sondern oft sogar erforderlich. Nur so können subjektive Bedürfnisse und Erwartungen des Patienten in die Behandlung einfließen.

Machen Auktionsportale im Internet der zahnärztlichen Patientenberatung und dem Zweitmeinungsverfahren Konkurrenz?

Eine solche Entwicklung sehe ich derzeit nicht, aber sie wäre für eine qualitätsgesicherte Behandlung fatal. Wenn Patienten die Daten ihres Heil- und Kostenplans bei entsprechenden Plattformen im Internet eingeben, erhalten sie anonymisierte Kostenangebote für eine Zahnersatzbehandlung und entscheiden sich dann häufig für den günstigsten Anbieter.

So vordergründig praktisch dieses Vorgehen zunächst auch sein mag, so bestehen für Patienten doch ganz erhebliche Risiken. Zahnärzte geben Therapieempfehlungen und Kostenangebote ab, ohne den Patienten zuvor gesprochen und untersucht zu haben. Sie kennen also zunächst weder seine genaue gesundheitliche Situation noch seine Erwartungshaltung an die Behandlung. Ein solches Angebot kann daher nie verlässlich und ausreichend medizinisch begründet sein. Unter Umständen muss es bei einer später folgenden Untersuchung revidiert werden.

Dieses Problem hängt auch damit zusammen, dass der Heil- und Kostenplan, den der Patient ins Internet überträgt, nicht unbedingt alle relevanten Daten enthält. Das wiederum kann dazu führen, dass Angebote nur scheinbar vergleichbar sind, da sie sich in wichtigen Details wie der Wahl der Metalllegierung unterscheiden. Solche "kleinen" Unterschiede können aber erhebliche Kostenabweichungen nach sich ziehen.

Patienten haben den berechtigten Wunsch nach neutraler Beratung, Kosten- und Leistungstransparenz. Leider können Auktionsportale diese Bedürfnisse bestenfalls im Ansatz erfüllen, und die voraussichtliche Qualität einer angebotenen Behandlung ist für Patienten fast kaum einzuschätzen.

Die Fragen stellte Stefan Grande.

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