Aus der Praxis

Exzision einer besonderen Epulis granulomatosa

Sven Holger Baum
,
Eine 25-jährige Frau stellte sich mit einer schmerzlosen Gewebevermehrung im Oberkiefer links vor. Der Hauszahnarzt hatte die Raumforderung bereits zweimal - vor vier und vor zwei Monaten - entfernt mit dem histologischen Ergebnis einer Epulis granulomatosa. Aufgrund eines seit der Geburt vorhandenen Naevus flammeus des zweiten Trigeminusastes überwies er die Patientin zur weiteren Abklärung.

Befund und Diagnose

Bei der extraoralen Untersuchung fanden sich keine Schwellungen oder Druckdolenzen bei bekanntem Naevus flammeus (Abbildung 1). Enoral sah man eine etwa 2 cm große, rosa bis dunkelrote, weiche und stark  vaskularisierte Raumforderung vestibulär und palatinal der Zähne 25 und 26 (Abbildung 2). Vereinzelt fanden sich erosive Areale, die bei Sondierung bluteten. Die Zähne 25 und 26 waren zwar zuvor mittels Komposit verblockt worden, zeigten aber dennoch en bloc eine Lockerung zweiten Grades bei positiver Perkussions- und Sensibilitätsprobe.

Die angrenzenden Zähne 24 und 27 waren sensibilitätspositiv, perkussionsnegativ mit einer Lockerung ersten Grades. In der alio loco angefertigten Panoramaschichtaufnahme fand sich eine gering aufgelockerte Knochenstruktur interdental regio 25/26. In der präoperativ durchgeführten MRT offenbarten sich entzündliche Veränderungen der Gingiva regio 24 bis 27 mit leichter knöcherner Mitreaktion sowie eine im Vergleich zur Gegenseite verdickte linke Wange bei bekanntem Naevus flammeus ohne Hinweis auf Verbindung zum linken Oberkiefer. Aufgrund des erneuten Rezidivs bestand somit die zwingende Indikation einer En-bloc-Resektion der Raumforderung mit den Zähnen 25 und 26 (Abbildung 3), die im Rahmen einer Intubationsnarkose durchgeführt wurde.

Behandlung

Der Defekt wurde mittels Tamponade und Verbandsplatte offen nachbehandelt, die Zähne 24 und 27 über eine SÄT-Schiene temporär über die Nachbarzähne stabilisiert. Histologisch fanden sich periodontale ulzeröse, teils granulierende Entzündungen mit reaktiv-entzündlichen Gefäßproliferationen ohne Anzeichen auf Malignität (Abbildung 4). Zudem zeigten sich Fibrosierungen sowie Plasmazellen. Insgesamt wurde die Diagnose einer Epulis granulomatosa mit dem Schwerpunkt einer interdental- ulzerösen Entzündung gestellt.

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Diskussion

Die Epulis (griechisch: „auf dem Zahnfleisch sitzend“) bezeichnet eine heterogene Gruppe an Gewebewucherungen unterschiedlicher Genese, die bereits durch Celsus und Galen beschrieben wurden [Horch, 2006]. Die meisten Veränderungen sind mesenchymaler Herkunft und keine Neoplasien, sondern reaktiv-hyperplastische, tumorähnliche Läsionen [Tandon et al., 2012]. Axhausen legte 1947 eine histopathologische Klassifikation der Epulitiden vor, wobei er eine Epulis granulomatosa, eine Epulis fibromatosa, eine Epulis gigantocellularis und eine Epulis sarcomatodes unterschied [Axhausen, 1947]. Nichtsdestotrotz bezieht sich der Begriff Epulis nur auf die Topografie einer Läsion und gibt letztendlich keine Hinweise auf Ätiologie, Dignität oder histologische Aspekte. Auch der von Axhausen geprägte Grundsatz „ohne Zahn keine Epulis“ trifft nicht mehr zu, da Epulitiden auch in zahnlosen Bereichen auftreten können [Binnie, 1999].

Viele Autoren nutzen den Begriff Epulis daher nur als klinisch deskriptive Umschreibung einer Gewebewucherung oder lehnen ihn ganz ab. Zudem ist die Nomenklatur in der internationalen Literatur ungebräuchlich, das heißt, es gilt die WHO-Klassifikation von 1971 [Wahi et al., 1971]: Sie bezeichnet die Epulis granulomatosa, gravidarum, angiomatosa und sarcomatodes als pyogenes Granulom, die Epulis fibromatosa als fibröse Hyperplasie, die Epulis fibromatosa calcificans als peripheres ossifizierendes Fibrom, die Epulis gigantocellularis als peripheres Riesenzellgranulom und die Epulis fissurata als Prothesenrandfibrom. Bei der Epulis congenita oder dem Granularzelltumor handelt es sich um einen bei der Geburt vorhandenen echten Tumor – folglich wird er von manchen Autoren nicht zu den eigentlichen Epulitiden gezählt.

Der Begriff pyogenes Granulom wurde 1904 von Hartzell eingeführt [Hartzell, 1904], ist aber zum Teil missverständlich, da diese Läsionen in der Regel weder eitrig sind noch granulomatöse Entzündungen darstellen [Regezi et al., 2003]. Verschiedene Stimuli wie lokale Reizungen, Traumata, hormonelle Faktoren oder Medikamente können die Veränderungen induzieren [Jafarzadeh et al., 2006].

Daneben wurden in der Literatur auch Fälle in Zusammenhang mit dem Sturge-Weber-Syndrom oder einem Naevus flammeus beschrieben. Im Rahmen der Diagnostik sollte hier also eine arteriovenöse Anastomose ausgeschlossen werden, um Blutungskomplikationen zu vermeiden [da Silva, 2011].

Die Epulis granulomatosa kann prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten, wobei meist Frauen betroffen sind [Eversole, 2002]. Schließt man Hautmanifestationen aus, finden sich 75 Prozent der oralen pyogenen Granulome im Bereich der Gingiva, weitere Lokalisationen wurden im Bereich der Lippe, Zunge oder bukkalen Mukosa beschrieben.

Klinisch geht es um wenige Millimeter bis zwei Zentimeter große, exophytische, weiche, breitbasig oder gestielte, rötlich bis purpurfarbene Gewebewucherungen, die oberflächlich ulzerieren können und bei Berührung häufig bluten. Differenzialdiagnostisch kommt eine Vielzahl an benignen und malignen Tumoren – Fibrome, Neurofibrome, Leiomyome, Hämangiome, Papillome, Kondylome, Verrucae, Plattenepithelkarzinome, Melanome, Metastasen, Sarkome und Lymphome – in Betracht [De Vicente et al., 2001], was eine chirurgische Abklärung in der Regel notwendig macht.

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Therapieempfehlungen

Im Rahmen der Therapie sollte der Behandler eine vollständige chirurgische Exzision mit Periost und subgingivaler Reinigung des angrenzenden Zahnes, das Ausschalten mechanischer Reize und eine Verbesserung der Mundhygiene anstreben. Bei Rezidiven, die in etwa 16 Prozent der Fälle auftreten [Taira et al., 1992], sollte der angrenzende Zahn ebenfalls entfernt werden. Auch wenn die chirurgische Exzision die Methode der Wahl ist, wurden alternative Therapien wie Laserchirurgie, Kryochirurgie [Jafarzadeh et al, 2006] und intraläsionale Behandlungen mit Ethanol [Ichimiya et al., 2004] oder Kortikosteroiden [Parisi et al., 2006] erfolgreich beschrieben.

Im vorliegenden Fall heilten die Wunden im Rahmen der ambulanten Nachsorge komplikationslos ab, die Zähne 24 und 27 zeigten zwei Monate postoperativ keine Lockerungen mehr (Abbildungen 5 und 6). Die Patientin ist aktuell drei Jahre rezidivfrei. Eine kaufunktionelle Rehabilitation mittels enossaler Implantate wäre jederzeit medizinisch vertretbar, ist von der Patientin bislang aber nicht gewünscht.

Dr. Dr. Sven Holger Baum, Dr. Roman PförtnerUniversitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Essen, Kliniken Essen-MitteHenricistr. 92, 45136 Essen E-mail:

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