Zahnmedizin im Museum

Brauchen wir das (noch) oder kann das weg?

Total digital – was anfangs bejubelt wurde, erzeugt mittlerweile nicht mehr nur Euphorie: Wenn sich Museen und Archive dazu entschließen, ihre Bestände zu digitalisieren, ohne zu wissen, ob die Datenbanken langfristig für den Menschen überhaupt technisch zugänglich bleiben. Wenn man sich dann noch von den zuvor digitalisierten Gegenständen trennt, könnte sich die Spur in die Vergangenheit verlieren.

„Vaporized“, was übersetzt so viel wie „verdunsten“ bedeutet, heißt das Buch von Robert Tercek, Innovationsexperte und kreativer Stratege aus Los Angeles. Darin schildert er, wie die digitale Technologie ganze Branchen umwirft und die Art, wie wir leben und arbeiten, unwiderruflich transformiert. Tercek nimmt den Leser „innerhalb der größten kulturellen und wirtschaftlichen Transformation der Welt seit der industriellen Revolution“ an die Hand und erklärt, was dieser Prozess für Verbraucher, Arbeitgeber, politische Entscheidungsträger und andere Gruppen bedeutet. Deutlich sei schon jetzt, dass die Digitalisierung und damit die Verdunstung der Welt enorme Ausmaße annimmt, die in ihrer Tragweite von der Gesellschaft wohl erst verstanden werden können, wenn der Verlust der nicht mehr physisch existenten Gegenstände konkret wird.

Ein Mann, der sich mit Händen und Füßen gegen die „Vaporisierung“ – speziell historischer zahnmedizinischer Gegenstände – wehrt, ist Andreas Haesler. Er führt mithilfe seltener Spenden und schmalem Etat das Dentalhistorische Museum in Zschadraß, eine Autostunde von Leipzig entfernt. Während anderenorts zahnmedizinhistorische Sammlungen und neuerdings laut Medienberichten sogar die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin in Köln und in Bonn aus personellen, finanziellen, logistischen, politischen oder aber technischen Gründen eine ungewisse Zukunft fristen, hat sich Haesler der Bewahrung zahnmedizinischer Gegenstände von Bedeutung verschrieben, wenngleich sein kleines Haus dies räumlich eigentlich gar nicht zulässt. Offenbar kann er nicht anders, als zu bewahren.

Und er bewahrt unfassbar viel: 500.000 Einzelpositionen befinden sich nach eigener Aussage unter seinem Dach. Darunter Schautafeln, Bilder, Instrumente, handgefertigte Figuren, ganze Einheiten und 670 (!) private Sammlungen aus ganz Deutschland, die Exponate beinhalten, die zum Teil sieben Generationen zurückliegen. Dazu kommen, laut Haesler, über 170, teils tonnenschwere Bibliotheken und elf ebenso tonnenschwere Universitätsarchive. Wie ein Zahnrad ergänze ein Exponat das andere, schwärmt er. Gerade hat er das zahnärztliche Zimmer von Philipp Paff mit Originalgegenständen aus dessen Berliner Zeit um 1750 nachgebaut und Ende Mai nach 3.500 Stunden Recherche, Konzeption und Aufbau eröffnet (Bilderstrecke auf zm-online).

Viele Ordinarien aus der Zahnmedizin oder deren Angehörige wenden sich hoffnungsvoll mit der Bitte an Haesler, ihren Nachlass zu bewahren. Meist kann er ihren Wunsch nicht abschlagen – doch zu wenige können seinen Schatz betrachten. Wer verirrt sich schon in die tiefe sächsische Provinz, wer ahnt schon etwas von dem Reichtum, der in Zschadraß bewahrt wird. Der Herr der Dinge, Andreas Haesler, meint dazu: „Wir – das kleine Team und ich – versuchen zu retten, was möglich ist. Mit Stolz könnte dieser Fachbereich auf seine Geschichte verweisen – an einem zentralem Wissenschaftsstandort.“ Der Bewahrer selbst ist skeptisch, was den zukünftigen Zugang zu zahnmedizinischen historischen Gegenständen angeht: „Wenn man daran denkt was nachfolgende Generationen erwartet ... die Leere wird groß sein, die Generationen werden entwurzelt. Nur eine digitale Welt wird nicht reichen, ein gesundes Gleichgewicht ist notwendig“, schreibt er auf der Homepage seines Dentalhistorischen Museums.

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