Versorgungssituation im Vereinigten Königreich

Patienten warten auf einen Termin, Zahnärzte jobben bei McDonald's

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Politik
Im Vereinigten Königreich arbeiten Tausende voll ausgebildete Zahnärztinnen und Zahnärzte aus dem Ausland offenbar in Fast-Food-Restaurants statt in der Praxis, weil das zuständige Registrierungsamt nicht hinterherkommt. Gleichzeitig warten 4,5 Millionen Briten pro Jahr vergebens auf einen Zahnarztermin.

Wie aus einem neuen Whitepaper der Association of Dental Groups (ADG) mit dem Titel „Creating Dental Oases“ hervorgeht, landen top ausgebildete ausländische Zahnärzte im United Kingdom aufgrund eines „Staus“ bei der Overseas Registration Examination (ORE) oft bei McDonald’s oder Subway, um über die Runden zu kommen. Der Bericht wurde Mitte Juni den Abgeordneten im Unterhaus vorgestellt. Die ORE-Prüfung ist eine zweiteilige Prüfung, die vom GDC durchgeführt wird. Wer sie besteht, kann sich für die vollständige Zulassung im UK bewerben.

„Wir müssen dringend die Hürden beseitigen, die verhindern, dass die 6.000 voll ausgebildeten ausländischen Zahnärzte, die sich in der Warteschlange für die Zulassung befinden, bei uns praktizieren dürfen", forderte ADG-Chef Neil Carmichael. „Viele dieser Kollegen arbeiten hier als ungelernte Fachkräfte. Die Zahnärztekammer muss die Zulassungsprüfung reformieren, denn derzeit bietet jeder Prüfungstermin nur Platz für 600 Teilnehmer. Bei diesem Tempo wird es Jahre dauern, bis sie qualifiziert sind!“

6.000 Zahnärzte sind in der Warteschlange ...

Die ADG schätzt, dass der Mangel an Zahnärztinnen und Zahnärzten im NHS dazu führt, dass etwa 4,5 Millionen Patienten jedes Jahr unversorgt bleiben. Jährlich werden 87 Millionen „Units of Dental Activity“ (UDAs) in Auftrag gegeben. Normalerweise benötigt ein Patient drei UDAs, und ein Zahnarzt führt 5.000 UDAs pro Jahr durch. Laut NHS England fehlen im Vereinigten Königreich 2.749 Zahnärzte. Würden diese offenen Stellen besetzt, könnten laut ADG also zusätzliche 13,5 Millionen Termine an die Patienten vergeben werden, die derzeit aufgrund fehlender Kapazitäten nicht behandelt werden können, heißt es in dem Weißbuch.

Der Zahnärztemangel ist systemisch

Mehr als 3.000 Zahnarztstellen im Land sind unbesetzt: Daten des NHS England für den Zeitraum bis März 2024 zeigen, dass 2.749 Stellen für NHS-Zahnärzte, 1.161 Stellen für Zahnmedizinische Fachangestellte (Dental Nurses) sowie 497 Stellen für angehende ZFA unbesetzt sind. Zudem wurden 411 offene Zahnarztstellen, 317 offene ZFA-Stellen und 150 offene ZFA-Ausbildungsplätze in den Privatpraxen gemeldet. Die Positionen sind durchschnittlich 180 Tage vakant.

Erschwerend kommt hinzu, dass nur wenige Zahnärzte angeben, dass sie auf Arbeitssuche sind: Umfragedaten der britischen Zahnärztekammer (General Dental Council, GDC) zu Arbeitsmustern von Zahnärztinnen und Zahnärzten von April 2025 zeigen, dass nur 0,8 Prozent (241) der 30.066 Befragten (66  Prozent des Registers) aktiv nach einer Stelle suchen.

Die Zahnmedizin basiert im Vereinigten Königreich auf einem Mix aus NHS-Leistungen und privaten Gebühren: Praxen und auch einzelne Zahnärzte entscheiden, welche Modelle sie nutzen wollen. Üblich ist das „Pay-as-you-go“-Prinzip, herangezogen werden aber auch die Versicherungen des Patienten.

In ihrer Stellungnahme an das Public Accounts Committee zur Initiative „Fixing NHS Dentistry“ weist die British Dental Association (BDA) in dem Zusammenhang darauf hin, dass in vielen Praxen private Behandlungen mittlerweile routinemäßig unattraktive oder verlustbringende NHS-Behandlungen quersubventionieren. „Für die Patienten ist der Zugang zu NHS-Leistungen die größte Sorge in allen vier Landesteilen (England, Schottland, Wales und Nordirland), unabhängig von der Art des NHS-Vertrags“, stellt die ADG in ihrem Papier fest.

„Ich bin ein voll ausgebildeter Zahnarzt mit zehn Jahren Erfahrung – aber mein aktueller Jobtitel ist ‚Sandwich Artist‘: Ich mache Sandwiches in einer Subway-Filiale."

Shoaib Saiyed, Zahnarzt aus Indien, wohnhaft in Birmingham

„Einige unserer Mitglieder berichten, dass sie mehr als 60 vollständig ausgebildete Zahnärzte beschäftigen, die als zahnmedizinische Assistenten arbeiten, weil sie die benötigte ORE-Zertifizierung nicht erhalten. Hier sind dringend Maßnahmen erforderlich, damit diese Zahnärzte ihre Ausbildung voll ausschöpfen können.“

Neil Carmichael, Vorstandsvorsitzender ADG

„Derzeit arbeite ich 60 Stunden pro Woche – 40 im Pflegeheim und 20 als Dentalhygieniker."

Sayed Bilal Bukhara, ausgebildeter Zahnarzt aus Indien, angestellt als Koordinator in einem Pflegeheim und Teilzeit-Dentalhygieniker

„Trotz meines postgradualen Masterabschlusses in Implantologie putze ich derzeit bei McDonald’s die Toiletten. Ich versuche seit 2022, die GDC-Registrierung abzuschließen, um hier praktizieren zu dürfen.“

Ahmed, voll ausgebildeter Zahnarzt aus Ägypten, arbeitet derzeit bei McDonald’s und als Teilzeit-Zahnarzthelfer

„Ich habe viermal erfolglos versucht, mich für die ORE zu registrieren. Ich stehe kurz vor dem fünften Versuch, aber habe wenig Hoffnung. Es fühlt sich an wie eine Lotterie, weil es ein Wettlauf um einen der wenigen verfügbaren Plätze ist."

Eni Shehu Muco, ausgebildete Zahnärztin aus Albanien und zurzeit als Dentalhygienikerin angestellt

„Die Lösung ist klar“, betont Carmichael: „Wir brauchen mehr Zahnärzte – und mehr zahnärztliches Fachpersonal.“ Ein Teil der Lösung sei der Abbau der Bürokratie, die talentierte Zahnärzte aus dem Ausland daran hindert, sich im Vereinigten Königreich als Zahnärztin oder Zahnarzt registrieren zu lassen. Carmichael: „Es ist eine beschämende Verschwendung, dass Kollegen in unseren Fast-Food-Restaurants Burger wenden, während sie eigentlich Patienten versorgen könnten!“

... und braten Burger statt Patienten zu behandeln

Die ADG schlägt daher drei Maßnahmen vor, um die Lücke im zahnärztlichen Arbeitsmarkt zu schließen. Diese Eingriffe könnten kurzfristig umgesetzt werden – ohne dass dafür gesetzliche Änderungen erforderlich wären oder zusätzliche Kosten entstehen. Am wichtigsten sei aber eine Reform durch den GDC, um ausgebildeten Zahnärzten aus dem Ausland das Praktizieren zu ermöglichen:

  1. Engagement bei der Rekrutierung: Abbau von Hindernissen bei der Registrierung

  2. Integrated Care Boards (ICBs) sollten ihre vollen Vergabebefugnisse nutzen: Am besten schöpfen die ICBs den verfügbaren zahnärztlichen Arbeitskräftepool vollständig aus und geben das gesamte zahnärztliche Budget für Zahnmedizin aus. Sie sollten zudem innovative Ansätze verfolgen, die die Nutzung des „Mixed Economy“-Modells innerhalb der Zahnmedizin einschließen.

  3. Verbesserung der Personalplanung: Man sollte die Fähigkeiten des gesamten zahnärztlichen Teams im „Mischsystem“ erkennen und optimal einsetzen sowie Verbesserungen an den zahnmedizinischen Fakultäten unterstützen.

Das neue Whitepaper der Association of Dental Groups (ADG) „Creating Dental Oases“ untersucht die zahnärztliche Krise im Vereinigten Königreich (Juni 2025). Davor veröffentlichte die ADG das Strategiepapier „Fill the Gap“ (Januar 2024) zum Fachkräftemangel und das Weißbuch „Dental Deserts“ (Mai 2022) zur geografischen Ungleichheit beim Zugang zur zahnärztlichen Versorgung.

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