Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen

Abwehren oder mitmischen?

Die „Stoppt die e-Card-Rufe“ sind verhallt. Dass die vom Gesetzgeber geplante Telematikinfrastruktur nicht umgesetzt wird, glaubt heute niemand mehr. Doch was ist für uns der richtige Weg: die faktische Ablehnung durch Passivität oder eine aktive Gestaltung durch die Nutzung unserer Freiräume?

Gesetzlich festgeschrieben hat der Gesetzgeber die Einführung der eGK schon zum 1. Januar 2006. Die schnelle Umsetzung scheiterte jedoch – nicht zuletzt durch die Ablehnung der Ärzteschaft. Aufgelöst haben sich die Vorbehalte nicht. Sie richten sich auch heute noch im Wesentlichen gegen die vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten auf die zentral gespeicherten Sozial- daten im Gesundheitswesen. Erinnert sei nur an die immer wieder aufflammenden Aktionen des „Bündnis Stoppt die e-Card“. Nichtsdestotrotz wurde 2014 die traditionelle Krankenversicherungskarte (KVK) durch die elektronische Gesundheitskarte abgelöst.

Aktuell hat der Gesetzgeber weitere Weichen für die Zukunft gestellt: Das Gesetz für die sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (e-Health-Gesetz) enthält einen konkreten Fahrplan für die Einführung einer digitalen Infrastruktur mit höchsten Sicherheitsstandards und weitere Anwendungen auf der eGK. Somit sind die Spitzenverbände aller Heilberufler und der gesetzlichen Kostenträger im Gesundheitswesen verpflichtet, ein sicheres digitales Gesundheitsnetz – die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI) – in Deutschland aufzubauen. Über dieses Netz sollen Patienten-daten sicher zwischen den berechtigten Teilnehmern ausgetauscht werden können. Damit beauftragt wurde die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH, kurz gematik. Um die Sozialdaten vor Fremdzugriffen zu schützen, formulierte der Gesetzgeber spezielle gesetzliche Regelungen zum Datenschutz und zur Informationssicherheit. Dazu gehört etwa, dass die gematik die technischen Vorgaben inklusive Sicherheitskonzept erstellen sowie die notwendigen Test- und Zertifizierungsmaßnahmen sicherstellen muss.

Ein wesentlicher Schwerpunkt der Gesetzesinitiative ist der Versichertenstammdatenabgleich, unbestritten auch ein vorrangiges Interesse der Kostenträger. Die eGK enthält bekanntermaßen die Versichertenstammdaten (VSD). Damit weist der Versicherte nach, dass er Leistungen seiner gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann. Das Versichertenstammdatenmanagem ent (VSDM) ist auch die erste zu erprobende Anwendung der TI.

Die Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, die VSD auf der eGK ihrer Mitglieder zu speichern und bei Bedarf zu aktualisieren, da korrekte Daten für den Versicherten Anspruchsberechtigung, aber zugleich auch für die Abrechnung von GKV-Leistungen – zum Beispiel des Zahnarztes – erforderlich sind. Wenn die VSD auf der eGK eines Versicherten aktualisiert werden müssen, wird dies von der zuständigen Krankenkasse auf einem zentralen Rechner der TI – dem Aktualisierungsstatusdienst (ASD) – vermerkt. Bei der erstmaligen Inanspruchnahme einer Arztleistung im Quartal ist auch der Zahnarzt verpflichtet, die eGK online zu prüfen. Dieser Vorgang verläuft über die auf Netzebene geschützte Verbindung zwischen Konnektor und VPN-Zugangsdienst.

Weitere geplante Anwendungen sind:

• der elektronische Arztbrief ab 2017,

• die Förderung der Telemedizin durch telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen und die Online-Videosprechstunde ab 2017,

• die Speicherung der medizinischen Notfalldaten auf der eGK ab 2018,

• die Einführung eines elektronisch abruf-baren Medikationsplans ab 2018 und

• die elektronische Patientenakte ab 2018.

Der Gesetzgeber plant damit überaus ambitioniert insgesamt eine Struktur, in der rund 70 Millionen Versicherte mit 180.000 niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten, 20.500 Apotheken, 2.000 Krankenhäusern und 118 Krankenkassen gesichert untereinander kommunizieren können. In einer parlamentarischen Anfrage beziffert die Bundesregierung die bis Ende 2015 aufgelaufenen Kosten dieses Mammutprojekts auf rund 1,2 Milliarden Euro.

Nichtstun – der schlechteste aller Ratgeber

Die grundsätzlichen Strukturen sind also festgelegt und befinden sich derzeit im Stadium der Erprobung oder aber kurz davor, allen Hiobsbotschaften zum Trotz. Dass die TI nicht kommen wird, glaubt realistisch gesehen niemand mehr. Die Frage bleibt allerdings, wann es im Wirkbetrieb, also in der Praxis, soweit sein wird. Man kann das beklagen und natürlich auch ablehnen oder blockieren. Unsere Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass Nichtstun der schlechteste aller Ratgeber ist. Und so bestehen in der Zuordnung von Aufgabenfeldern durchaus noch eigene Handlungsspielräume. Genau hier setzen die Überlegungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) an.

Die KZVWL hat bereits seit 2010 eine flächendeckende, durchaus vergleichbare VPN-Struktur mit ihren aktuell rund 4.000 Mitgliedspraxen umgesetzt. Für unsere Mitglieder ist die vom Gesetzgeber gesetzlich vorgeschriebene Kommunikation mittels VPN-Technik somit kein absolutes Neuland. Was liegt da näher, als den Praxen bekannte Strukturen und Ansprechpartner zu bieten und die Kollegenschaft beim Einstieg in die TI nicht sich selbst zu überlassen. Auch wenn die Umstellung in der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Form für alle Beteiligten eine weitere ernste Herausforderung darstellen wird – unsere Erfahrungen mit der vorhandenen Praxisinfrastruktur sind nirgendwo so detailliert beschrieben wie in den WL-Zahnarztpraxen.

Gestaltungsspielräume nutzen und ausloten

Als verantwortlicher Vorstand der KZVWL für das Ressort EDV betrachte ich es daher als meine Pflicht, die erkennbaren Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers zu nutzen und diese vor allem zum Wohle der eigenen Mitglieder auszuloten. Aus diesem Grunde werden wir beharrlich unseren seit 2010 eingeschlagenen Weg weiter gehen und uns bemühen, als Körperschaft eine zentrale Funktion in der TI einzunehmen. Ein erster Schritt war die Anerkennung unserer vorhandenen zahnärztlichen Netzstruktur, neben dem bekannten KV Safenet der Ärzte, durch die gematik. Außerdem haben wir Testpraxen und „friendly user“, Praxen mit enger Anbindung an unsere hauseigene EDV, in der Testregion Nord gestellt. So können unsere mittlerweile jahrelangen Erfahrungen im Aufbau vergleichbarer Strukturen unter realen Bedingungen für alle Beteiligten vorteilhaft eingebracht werden.

Bis dato kamen zahnärztliche Netze in den Überlegungen der Planer nicht nur zu kurz, es gab sie schlicht gar nicht. Mit der Rechtsaufsicht in NRW wurden Ende 2015 die juristischen Fallstricke im Sozialrecht und bei einer Bewerbung der KZVWL als Knotenpunkt und Dienstleister in der TI erörtert. Das Gesundheitsministerium in Düsseldorf signalisierte Anfang 2016 grundsätzlich grünes Licht. Somit sind rein rechtlich betrachtet vorläufig keine Hindernisse mehr im Weg. In Kooperation mit der Zahnärztekammer WL werden seit Februar 2016 außerdem abgelaufene ZOD-Karten durch den elektronischen Zahnarztausweis schrittweise ersetzt und damit die vorläufig einzige Anwendung, die sichere Übermittlung von Abrechnungsdaten an die KZVWL, sichergestellt.

Am 6. Mai erteilte schließlich die Vertreterversammlung der KZVWL den Arbeitsauftrag an den KZV-Vorstand, im Sinne einer Machbarkeitsstudie alle Voraussetzungen und Kosten zu ermitteln, die nötig sind, um als „Player“ in der künftigen TI mitzumischen. Letztlich entscheiden in Westfalen-Lippe also immer die Mitglieder, welchen Weg sie zukünftig beschreiten wollen. Und genau das wird in der Herbst-Vertreterversammlung im November zur Entscheidung anstehen.

Dr. Burkhard Branding, Stellvertretender Vorsitzender der KZV Westfalen-Lippe

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