Zwei besondere Fälle mit CME

Weichteilemphysem nach Endo

Daniel G. E. Thiem
,
Peer W. Kämmerer
Die zwei vorliegenden Patientenfälle zeigen Beispiele, wie es nicht sein sollte: Beide Patienten entwickelten nach einer endodontischen Behandlung ein umfangreiches Weichteilemphysem als schwerwiegende Komplikation ihrer Zahnarztbehandlung. Das sollte möglichst vermieden werden.

Im Juli 2016 stellten sich ein 58-jähriger Patient und eine 66-jährige Patientin im Abstand von einer Woche notfallmäßig in der Klinik und Poliklinik für Mund,- Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock mit jeweils aufgetretener Schwellung der linken, beziehungsweise rechten Gesichtshälfte vor. Anamnestisch berichteten beide Patienten über eine vorausgegangene endodontische Behandlung im Ober- und Unterkieferseitenzahnbereich bei ihren Hauszahnärzten.

Fall 1:

Im Falle des 58-jährigen Patienten sei es im Verlauf der Wurzelkanalbehandlung an Zahn 27 – nach Eintreten eines initialen Schmerzereignisses – zur spür- und sichtbaren Schwellung von Wange und Hals auf der linken Seite gekommen. Er bat die behandelnde Zahnärztin, den Eingriff möglichst zeitnah zu beenden, da er bereits zu diesem Zeitpunkt Atemnot verspürte. Der Patient – selbst als Notarzt tätig – entschied sich aufgrund der thorakalen Beschwerdesymptomatik, den Notdienst der Klinik und Poli– klinik für Mund,- Kiefer und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock aufzusuchen.

Bei der klinischen Untersuchung klagte der Patient über inspiratorische Schmerzen in der linken Thoraxhälfte. Die manuelle Palpation der linksseitig lokalisierten Schwellung im Gesichts und Halsbereich (Abbildungen 1 a und b) zeigte ein für das Weichteil- emphysem typisches druckdolentes spür- und hörbares Knisterrasseln. Die durchgeführte Nativ-CT-Untersuchung von Kopf, Hals und Thorax erbrachte ein ausgeprägtes Weichteilemphysem mit Ausdehnung von der Temporalregion über die beidseitige Zervikalregion bis ins Mediastinum (Abbildungen 2a bis d).

Aufgrund der beschriebenen Beschwerdesymptomatik und dem potenziellen Risiko für schwerwiegende Komplikationen wurde gemeinsam mit dem Patienten die Entscheidung zur stationären Aufnahme mit Einleitung einer i.v.-antibiotischen Prophylaxe (Ampicillin/Sulbactam) und Überwachung getroffen. Unter der antibiotischen und analytischen Therapie verbesserte sich während des stationären Aufenthaltes der Zustand stetig, so dass der Patient drei Tage nach dem Ereignis in die Häuslichkeit entlassen werden konnte.

Fall 2:

Im Falle der 66-jährigen Patientin berichtete diese, dass sie zwei Stunden nach der Wurzelkanalbehandlung an 15 eine Weichteilschwellung der rechten Gesichtshälfte bemerkt habe. Verunsichert habe sie sich daraufhin ebenfalls in die Notfallambulanz der Klinik und Poliklinik für Mund,- Kiefer und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock begeben.

Klinisch zeigte sich die Patientin in gutem Allgemeinzustand, jedoch mit Druckdolenz im Bereich der geschwollenen zervikofazialen Region (Abbildung 3).

In der durchgeführten CT-Untersuchung von Kopf und Hals zeigte sich auch hier ein Weichteilemphysem mit Ausdehnung von der rechten Wange bis in die zervikalen Bindegewebslogen (Abbildungen 4a bis c). Auch in diesem Fall wurde eine stationäre Aufnahme zur Beobachtung sowie Einleitung einer i.v.-antibiotischen Prophylaxe-Therapie empfohlen und durchgeführt. Bei regredienter Schwellung und subjektivem Wohlbefinden konnte die Patientin drei Tage später beschwerdefrei zurück in die Häuslichkeit entlassen werden.

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Diskussion

Ziel der endodontischen Therapie ist der strukturelle und funktionelle Erhalt des zu behandelnden Zahnes. Behandlungsschritte sind die Aufbereitung und Füllung des meist irreversibel vorgeschädigten Wurzelkanalsystems. Neben der Überfüllung des Wurzelkanals, der Entstehung einer via falsa oder der Perforation der Kieferhöhle, ist die Entstehung eines subkutanen zervikofazialen Weichteilemphysems mit mediastinaler Ausbreitung eine seltene, aber gefürchtete Komplikation. Das zervikofaziale Weichteil- emphysem bezeichnet das Auftreten von Luft im Subkutangewebe der Kopf-Hals- region. Als häufigste Ursache im Rahmen von zahnmedizinischen Behandlungen gilt vor allem das Eindringen von Luft während der chirurgischen Freilegung impaktierter Zähne mit Hilfe eines hochtourig rotierenden Handstücks [Yoshimoto, Mitamura et al., 2002; Yang, Chiu et al., 2006].

Als weitere ursächliche Verfahren gelten die Kronenpräparation [Zemann, Feichtinger et al., 2007], parodontalchirugische Eingriffe [Snyder und Rosenberg, 1977] und sogar das Scaling [Fruhauf, Weinke et al., 2005]. Weichteilemphyseme im Rahmen endodontischer Behandlungen sind vergleichsweise selten aber nicht unbekannt. So beschrieb der Arzt Alexander Turnbull bereits im Jahr 1900 einen solchen Fall während einer endodontischen Therapie [Turnbull, 1900]. Darauffolgend publizierten verschiedene Autoren immer wieder Fälle iatrogen bedingter Weichteilemphyseme unterschiedlichster Genese im Rahmen zahnärztlicher Behandlungen [An, Zats et al., 2014].

Von 1900 bis 2008 wurden drei umfassende Artikel mit insgesamt 151 beschriebenen Fällen von Weichteilemphysemen nach zahnärztlichen und oralchirurgischen Eingriffen veröffentlicht [Shovelton, 1957; Heyman und Babayof, 1995; McKenzie und Rosenberg, 2009]. Hierunter befanden sich 25 Fälle mit endodontischer Ursache, von denen sechs mit mediastinaler Beteiligung einhergingen [Kim, Kim et al., 2010; An, Zats et al., 2014].

Als Hauptursachen gelten der Einsatz von hochtourig rotierenden Winkelstücken mit Luft-Wasser-Kühlung [Hunt und Sahler, 1968; Sandler, Libshitz et al., 1975; Ikard, 1984; Barkdull, 2003], bei denen der Luft-Wasserstrom entweder submucosal, entlang des gingivalen Sulcus bei fehlender Anwendung eines Kofferdams oder direkt durch das Foramen apicale der behandelten Zahnwurzel in das umliegende Weichgewebe gelangt [Barkdull, 2003; Kim, Kim et al., 2010]. Insbesondere Kanalaufbereitungen über ISO-Größe 20 sowie das Vorbestehen pathologisch veränderten Periapikalgewebes erhöhen das Risiko von Luftinsufflationen entlang der Wurzelspitze [Eleazer und Eleazer, 1998; An, Zats et al., 2014].

Der nach aktuell zahnmedizinischem Wissensstand standardisierte Einsatz von Spüllösungen während der endodontischen Wurzelkanalaufbereitung gilt als weiterer Risikofaktor bei der Entstehung subkutaner Weichteilemphyseme [Fruhauf, Weinke et al., 2005]. Hierbei gilt der Einsatz von Wasserstoffperoxid (H

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) mittlerweile aufgrund häufiger Zwischenfälle als obsolet. So konnte gezeigt werden, dass nach dem apikalen Austritt von H

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dieses zu Wasser und Sauerstoff oxidiert. Der hierbei frei werdende Sauerstoff gelangt dann in das umliegende Gewebe [Heyman und Babayof, 1995].

Als meist verwendete Spüllösungen erfreut sich seit einigen Jahren Chlorhexidin (CHX) und Natriumhypochlorid (NaOCl) großer Beliebtheit. NaOCl besticht durch die Fähigkeit, organisches Gewebe zu zersetzen, was in der Anwendung als Wurzelkanalspül- lösung von großem Vorteil ist [Grossman und Meiman, 1982]. Der zytotoxische Effekt von NaOCl betrifft allerdings ebenso das gesunde Gewebe, so dass die Spüllösung unter keinen Umständen in die paramaxillären oder mandibulären Bindegewebslogen gelangen darf [Grossman und Meiman, 1982].

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Komplikationen

Im Falle des zervikofazialen Weichteilemphysems wird die Luftausbreitung zum einen entlang der Subkutis als auch entlang der Muskellogen des M. masseter, M. temporalis sowie dem M. sternocleidomastoideus vermutet. Hierbei manifestiert sich das Emphysem klinisch vornehmlich in Regionen geringeren Widerstands (loci minores resistentiae), wie dem Ober- und Unterlied oder superfizial der Fossa canina [An, Zats et al., 2014]. Die mediastinale Emphysemausbreitung (Pneumomediastinum) hingegen resultiert vermutlich aus der Penetration deszendierender Luft entlang der para- und retropharyngealen Logen sowie entlang der Carotisscheide, [Barkdull, 2003; Durukan, Salt et al., 2012; An, Zats et al., 2014].

Komplikationen der Emphysemausbreitung können vielseitig und zum Teil lebensbedrohlich sein. Im Infraorbitalbereich besteht beispielsweise die Gefahr von Luftembolien mit Weiterleitung in den Sinus cavernous über die Vena angularis [Kuno und Robertson, 1995]. Im Falle einer orbitalen Emphysembeteiligung droht das Risiko druck,- embolie- oder ischämiebedingter Sehnervnekrosen mit irreversibler ein oder sogar beidseitiger Erblindung [Buckley, Turvey et al., 1990; Rubinstein, Riddell et al., 2005].

Das Pneumomediastinum kann zu lebensbedrohlichen Atemwegskompressionen oder zum Pneumothorax führen [Yoshimoto, Mitamura et al., 2002; Barkdull, 2003]. Neben den hier beschriebenen embolisch- und kompressionsbedingten Komplikationen besteht ein hohes Risiko von Weichgewebeinfektionen, ausgelöst durch die besonders von intraoral mit dem Luftstrom weitergeleiteten Mikroorganismen [Feinstone, 1971; Hulsmann und Hahn, 2000; Chung, Moon et al., 2006]. Differenzial- diagnostisch ist bei subkutanen Weichteilschwellungen stets neben der Möglichkeit einer allergischen Reaktion, der potenziell lebensbedrohlich verlaufende Gasbrand (Infektion mit Clostridium perfingens) zu berücksichtigen.

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Diagnostisch und therapeutisches Vorgehen

Die klinische Untersuchung zeigt häufig bereits frühzeitig eine elastische Schwellung von Augenlidern und zervikofazialem Gewebe. Die Schwellung kann hier bereits schon während der Behandlung, aber auch Stunden danach auftreten. Häufig berichten die Betroffenen von initial gut lokalisierbar auftretenden Schmerzen mit dumpf brennend und drückendem Charakter. Die Schwellung ist meistens druckdolent und zeigt bei manueller Palpation das typisch spür- und hörbare Knisterrasseln. Bei Ausdehnung bis in die retropharyngeale, parapharyngeale sowie mediastinale Loge beschreiben die Patienten – wie auch in unserem ersten Fall – nicht selten Kardinalsymptome wie Dyspnoe und Engegefühl im Thoraxbereich [Ocakcioglu, Koyuncu et al., 2016].

Als weiteres routinemäßig durchzuführendes Diagnostikum, insbesondere im Fall von respiratorischen Beschwerden, gilt die computertomografische Untersuchung der Kopf-, Hals- und Thorax-Region zur Beurteilung der anatomischen Befundausdehnung [Wakoh, Saitou et al., 2000].

Die Therapie des zervikofazialen Weich- teilemphysems ist, abgesehen von Fällen mit schweren Komplikationen, rein konservativ, sollte jedoch stets die stationäre Überwachung sowie die Einleitung einer intravenösen Breitspektrum-Antibiotikaprophylaxe beinhalten [Fruhauf, Weinke et al., 2005; Ocakcioglu, Koyuncu et al., 2016].

Dr. Daniel G. E. ThiemPD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer MA,Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgieder Universitätsmedizin RostockSchillingallee 35, 18057 Rostock E-mail:

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