Interview mit DGZMK-Präsidentin Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke

„Studierende und Lehrende müssen dieselbe Sprache sprechen!“

Drei Jahre sind vorbei. Nun endet ihre Amtszeit. Die Hamburger Kieferorthopädin Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke war die erste Frau an der Spitze der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Sie selbst spricht von einer „stürmischen Zeit als Kapitänin“, in der sie das „Mutterschiff der deutschen wissenschaftlichen Zahnheilkunde“ steuerte. Wie geht es in der universiären Zahnmedizin jetzt weiter?

Wie sehen Sie die Perspektive für Zahnmedizinstudenten in Deutschland und deren Berufsaussichten?Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke:Uneingeschränkt positiv, sofern die zukünftigen Kolleginnen und Kollegen sich bezüglich ihrer Spezialisierungen an den Bedarfen orientieren.

Aktuelle Steilvorlage für eine solche Bedarfsorientierung ist die DMS V. Deren Ergebnisse geben Aufschluss über die Zahnmedizin der Zukunft: Kinderzahnheilkunde, Parodontologie und Alterszahnmedizin sollten im Portfolio von Ausbildung und Spezialisierung ergänzt beziehungsweise verstärkt angeboten werden. In diese Richtung wird die Reise der Zukunft der Zahnmedizin gehen und wer nicht vom Zug fallen will, der sollte sich daran orientieren.

Wie beurteilen Sie die Forschungsmöglichkeiten für junge Zahnmediziner an den deutschen Hochschulen?Auch diese Möglichkeiten sehe ich positiv, sofern die jungen Leute einen Plan haben und gewillt sind, im Sinne von Multitasking Krankenversorgung, der Lehre und Forschung eine Chance in ihrem Leben zu geben. Nach meiner Einschätzung wird nur der oder diejenige reüssieren, der/die zunächst einmal anpackt, ohne primär dafür einen Forschungstag und eine Freistellung zu verlangen.

Diese für meine Generation immer noch befremdliche, aber inzwischen weit verbreitete Anspruchshaltung erscheint mir ungesund, denn sie schafft in der Gemeinschaft der postgradualen Assistenzzeit, Spezialisierung oder Weiterbildung Irritation von Anfang an. Erst wenn es auf Basis von Eigeninitiative gut läuft – denn Engagement in der Lehre führt zu guten Noten und individueller Bewertung in der Lehrevaluation. Eine positive Resonanz in der Krankenversorgung und gute Behandlungsergebnisse lassen auch an diese Qualifikation ein Häkchen machen – dann entwickelt sich auch die Freiheit für Forschung in der Arbeitszeit.

Finanzielle Unterstützung, wie zum Beispiel durch Drittmittelangebote, liegen vielleicht nicht auf der Straße, aber sind reichlich vorhanden. Für die Einsteiger, also für den Nachwuchs, bieten außer der DGZMK mit ihrem Wissenschaftsfonds, der in den letzten Jahren nie vollständig ausgeschöpft wurde, auch die einzelnen Fachgesellschaften großzügige Unterstützung für zukunftsorientierte Projekte an. Und die Sonderausschreibungen kommen noch hinzu. Ebenso möchte ich an dieser Stelle die DFG-Nachwuchsakademie erwähnen, die in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal zwölf jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Gelegenheit gegeben hat, für ein Jahr ’auszusteigen’ aus Lehre und Krankenversorgung, um sich ihrem Projekt widmen zu können. Über diese Unterstützungsofferten hinaus gibt es noch zahlreiche andere, für den Nachwuchs durchaus interessante Fonds.

Wie könnte man den „Fluchttrend“ hochkarätiger Forscher in die Industrie oder nach Übersee bremsen?Den Fluchttrend in die Industrie und nach Übersee sehe ich primär in der größeren Freiheit dort begründet und natürlich auch finanziell – dank der Industrie. An unseren Universitätsklinika sind wir durch unsere oben schon erwähnten Verpflichtungen, nicht nur in Krankenversorgung und Lehre, sondern auch in der Selbstverwaltung weit aus belasteter. Die beste Prävention gegen die Flucht nach Übersee ist selbstverständlich ein angemessenes, faires Angebot, um an der Universitätsklinik nicht wie ein ewig Gestriger zu leben, der nicht von dieser Welt ist.

Welche Fachbereiche sollte man Ihrer Meinung nach in der Zahnmedizin weiter ausbauen?Alle, die schon jetzt und absehbar in der Zukunft nicht ausreichend besetzt sind: Kinderzahnheilkunde, Parodontologie, Alterszahnmedizin sowie Zahnmedizin für Pflegebedürftige und Behinderte.

Was halten Sie vo dem Trend, Prothetik und Zahnerhaltung in den Kliniken zusammenzulegen?Nichts, denn jeder Bereich hat seine Themen und Aufgaben. Mein persönliches Verständnis von Zahnerhaltung und Zahnersatz ist so, dass erstere alle zahnerhaltenden Maßnahmen beinhaltet und somit auch vom Portfolio eigenständig bleiben sollte. Schon heute spiegelt sich dies in der Fächervielfalt wider, die die DGZ und ihre Töchter abdecken.

Zahnerhaltung und die Töchter Präventivzahnmedizin, Restaurative und Regenerative Zahnerhaltung, Endodontologie und Traumatologie sollten daher weder inhaltlich noch politisch in ’einen Topf geworfen werden’ mit dem Fach, welches als generische Aufgabe nach Zahnverlust den Zahnersatz im Fokus hat. Hier sind außer der Implantologie die traditionelle Prothetik mit Brücken und modern auch Klebebrücken sowie Prothesen angesiedelt. Insbesondere durch die zunehmende Lebenserwartung der Gesellschaft werden beide Bereiche trotz positiver DMS V-Ergebnisse, gerade in den jeweiligen Spezialthemen, ausreichend zu tun haben, auch in Zukunft.

Ist es nötig, sich auch in der universitären Ausbildung verstärkt auf die Feminisierung einzustellen?Diese Genderfrage klingt ein wenig nach Zahnmedizin für Frauen. Und diesen Gedanken würde ich gerne zerstreuen.

Ja, wir müssen uns darauf einstellen, den vielen Studentinnen, die angeblich von ihnen immer noch nicht gleichberechtigt angenommenen Inhalte schmackhaft zu machen. Da meine ich zum Beispiel die Implantologie. Ich erinnere mich an eine ’Dentista’ mit einem Artikel darüber, dass Zahnärztinnen nicht so ’implantataffin’ seien.

Und wenn ich eine Veranstaltung für Kinderzahnärzte anbiete, dann ist die Quote meistens zehn zu 90. Das heißt also, Hemmschwellen reduzieren, auch invasive zahnärztliche Maßnahmen spannend, nicht abschreckend, sondern einladend, lehren. Das ist mein Motto für diese Thematik.

Was würden Sie, wenn Sie könnten, von heute auf morgen in der zahnmedizinischen universitären Ausbildung ändern?Ich würde sehr früh damit anfangen, ZahnMedizin zu vermitteln. Nach einem Jahr ’Grundausbildung’, damit Studierende und Lehrende die gleiche Sprache sprechen und damit meine ich alle, von Physik, Chemie und Biologie über Biochemie, Physiologie und Anatomie bis zu den theoretischen und praktischen, also klinischen zahnmedizinischen und medizinischen Fächern, würde es Patientenkontakt geben. Zunächst auf präventiver und kommunikativer Ebene.

Mein Einstieg wäre das Thema Mundhygiene, die Theorie dazu sowie die praktische Umsetzung, um über Hands-on sehr früh die Scheu vor dem Patientenkontakt zu nehmen. Dann würde es step by step weitergehen mit der Versorgung von Patienten. Thematisch würde ich mit Erkrankungen beginnen, die populär sind, häufig vorkommen und auch wieder alle Bereiche betreffen. Signifikante Beispiele hierfür wären ’Schmerz’ und ’Entzündung’. Beide Themen kann man durchdeklinieren von der Biochemie bis zur Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, ohne dass ein Fach dazwischen zu kurz kommt. Das ist meine Idealvorstellung vom Studium, von der Ausbildung, die so ganzheitlich wäre im positiven Sinne des Wortes, wie es eben der Befund und der Leidensdruck, weswegen der Patient den Zahnarzt aufsucht, notwendig macht. Und über allem sollten Kommunikation, Ethik und soziale Faktoren eine relevante Rolle spielen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass sich auch junge Zahnmediziner oder bereits Studierende verstärkt in der Standespolitik engagieren?Dazu muss man Lust haben, ein Bedürfnis verspüren und möglicherweise durch Vorbilder im Umfeld stimuliert werden. Deshalb finden wir häufig auch Söhne und Töchter von engagierten Eltern, hier in der ersten Reihe, wie zum Beispiel beim BdZM.

Letztendlich beginnt es ja mit dem Klassensprecher oder Jahrgangssprecher und setzt sich dann so fort durchs Leben. Vermutlich spielt bei diesem Interesse auch eine große Rolle, ob die politisch engagierten Kolleginnen und Kollegen darüber sprechen und vermitteln, dass es sich lohnt und dass etwas erreicht wird durch den Extraeinsatz. So, wie ich das auch immer in meinen Interviews zu kommunizieren versucht habe, dass nämlich mein Amt als Präsidentin der DGZMK mir etwas gebracht hat, dass ich gemeinsam mit meinen Partnern Ziele erreicht habe und, dass es keine drei verschwendeten Jahre waren.

Hand aufs Herz: Was hat Ihnen am meisten in Ihrer Amtszeit Spaß gemacht?Wenn ich jetzt wirklich auf den Terminus Spaß eingehe, dann ist meine Antwort: Spaß hatte ich immer dann, wenn ich es geschafft habe, ein Projekt oder ein Meeting oder eine Telefonkonferenz erfolgreich für alle Beteiligten abzuschließen.

Das heißt, unabhängig davon, wie lange eine Aktion gedauert hat oder wie schwer die Geburt war, empfand ich immer dann eine große Entspannung und Zufriedenheit, wenn etwas in den Druck ging, wie zum Beispiel das Leitbild, oder wenn ich ein Projekt zum Start oder gar zum Abschluss gebracht habe. Das ist uns gemeinsam mit unseren Partnern in Berlin immerhin zweimal in meiner Amtszeit gelungen, einmal mit dem NS-Projekt und das zweite Mal mit dem Flüchtlingsprojekt. Und, dass wir nun während des Deutschen Zahnärztetages 2016 in Frankfurt das Wissensportal der Zahnmedizin Owidi ’freigeben’ beziehungsweise freischalten zum Gebrauch für alle Mitglieder der DGZMK, das macht mir auch Spaß. Mit meiner realistischen Denkweise, gepaart mit relativ viel Pragmatismus, muss ich sagen, dass man viel mehr in drei Jahren auch nicht schaffen kann neben dem Tagesgeschäft, was wirklich viel Zeit und Energie kostet.

Da ich mich ja schon auf verschiedene Art und Weise bedankt habe bei allen, bleibt mir also jetzt bei diesem vermutlich letzten Interview als Präsidentin nur noch ’Tschüss’ zu sagen. Ich freue mich auf meine weiteren Aufgaben für die ZahnMedizin!

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