Interaktionen bei Zahnbett- und systemischen Erkrankungen

Wie sind Parodontitis und Diabetes mellitus vergesellschaftet?

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Søren Jepsen
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Henrik Dommisch
Ein gestörter Glukosemetabolismus, eine erhöhte Infektanfälligkeit, eine gestörte Wundheilung, ein erhöhtes Parodontitisrisiko und eine Prädisposition für kardiovaskuläre Ereignisse – die Behandlung von Diabetespatienten mit Parodontitis in der Zahnarztpraxis stellt eine besondere Herausforderung dar. Durch die hohe Prävalenz beider Erkrankungen in einer immer älter werdenden Gesellschaft rückt diese Problematik zunehmend in den Mittelpunkt des zahnärztlichen Behandlungsalltags.

Die „Volkskrankheiten“ Parodontitis und Diabetes mellitus teilen nicht nur viele Gemeinsamkeiten – wie Risikofaktoren, eine multifaktorielle Ätiologie, einen überwiegend chronischen Krankheitsverlauf mit destruktiven Veränderungen, möglichen Funktionseinschränkungen und einer Beeinträchtigung der Lebensqualität Betroffener. Im vergangenen Jahrzehnt wurde auch eine bidirektionale Beziehung zwischen den beiden Erkrankungen festgestellt [Preshaw et al., 2012; Kuzmanova et al., 2016].

Wechselbeziehungen zwischen den Krankheiten

Einfluss von Diabetes auf Parodontitis

Diabetes mellitus gilt heutzutage als etablierter Risikofaktor für Parodontitis [Genco Borgnakke, 2013]. Studien aus den vergangenen Jahrzehnten haben gezeigt, dass Diabetiker häufiger an einer Parodontitis erkranken als Nichtdiabetiker. Darüber hinaus wurde bei Diabetikern in allen Altersgruppen und unabhängig vom Diabetes-Typ ein höherer und im Alter zunehmender

Schweregrad der Parodontitis als bei Nichtdiabetikern festgestellt. Dabei sind sowohl die mittlere Sondierungstiefe als auch der mittlere klinische Attachmentverlust bei Diabetikern erhöht [Khader et al., 2006; Lalla et al., 2006]. Prospektiv gesehen schreitet der parodontale Knochenabbau bei Diabetikern schneller als bei Nichtdiabetikern voran. Insbesondere bei schlechter glykämischer Einstellung steigt das Risiko für parodontale Destruktionen und gingivale Entzündungen. Es wurde von einem dreifach erhöhten Risiko für Zahnverlust und Parodontitisprogression berichtet [Costa et al., 2013]. Hingegen ist der klinische parodontale Zustand gut eingestellter Diabetiker mit dem von Nichtdiabetikern vergleichbar [Chávarry et al., 2009].

Die für Diabetes charakteristische Hyperglykämie scheint einen direkten Effekt auf die Immunzellfunktionen von Monozyten, neutrophilen Granulozyten und T-Zellen zu haben und eine Zytokindysregulation zu verursachen, was zu einem parodontalen Knochenabbau führen kann. Bei Patienten mit Parodontitis ist Diabetes mit höheren Konzentrationen mehrerer spezifischer Zytokine und anderer Mediatoren assoziiert [Taylor et al., 2013]. Aufgrund der Hyperglykämie bei Diabetes mellitus kommt es zu einer verstärkten Glykierung von Proteinen und zur irreversiblen Bildung der sogenannten Endprodukte der fortgeschrittenen Glykierung (advanced glycation end products, AGE). Diese werden unter anderem in parodontalen Geweben abgelagert und können sowohl direkte pro-inflammatorische als auch pro-oxidative Wirkungen auf Zellen haben. Binden AGEs an deren Signalrezeptor RAGE werden Phänotyp und Funktion der Zielzelle (Endothelzellen, Monozyten) dermaßen beeinflusst, dass es zur Anlockung von Immunzellen beziehungsweise zur Freisetzung reaktiver Sauerstoffspezies, von Zytokinen und von anderen Entzündungsmediatoren kommt, die eine überschießende Entzündungsreaktion, oxidativen Stress und eine Beeinträchtigung der Gewebereparaturmechanismen zur Folge haben können. Die parodontale Infektion potenziert weiter diesen Prozess, was in anfälligen Individuen mit Diabetes zu einer beschleunigten und schweren Zerstörung von parodontalem Gewebe führt [Taylor et al., 2013].

Einfluss von Parodontits auf Diabetes mellitus

Diabetiker mit Parodontitis weisen eine schlechtere metabolische Einstellung als parodontalgesunde Diabetiker auf [Chapple Genco, 2013]. Eine schwere Parodontitis kann die HbA1c-Werte bei Typ-2-Diabetikern verschlechtern und somit das Risiko für die Entstehung von Diabetes erhöhen.

Zusätzlich stellen parodontale Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für Diabetes-assoziierte Komplikationen dar. Es wurde berichtet, dass eine moderate bis schwere Parodontitis mit einer Makroalbuminurie, einer Nierenerkrankung im Endstadium, einer Verkalkung von atherosklerotischen Plaques und einer kardio-renalen Mortalität assoziiert ist [Chapple Genco, 2013; Saremi et al., 2005; Sharma et al., 2016; Shultis et al., 2007]. Zusätzlich wurde gezeigt, dass Parodontitis bei Patienten ohne Diabetes nach fünf Jahren zu einer Progression der HbA1c-Werte führen und die Entstehung eines Diabetes fördern kann [Demmer et al., 2010].

Eine erfolgreiche Diabetestherapie beinhaltet die Senkung des Blutglukosespiegels, was insbesondere mikrovaskuläre Komplikationen aufschieben könnte. In Metaanalysen wurde nachgewiesen, dass drei Monate nach einer nichtchirurgischen parodontalen Therapie bei parodontal erkrankten Diabetikern eine mittlere Reduktion des HbA1c-Wertes von 0,29–0,36 Prozent erreicht werden konnte, was eine klinisch relevante Verbesserung der glykämischen Einstellung bedeutet [Engebretson Kocher, 2013; Simpson et al., 2015].

Ein möglicher Pathomechanismus für den Einfluss von Parodontitis auf Diabetes ist die systemische Inflammation. Entzündungsmediatoren wie C-reaktives Protein (CRP), Tumor Nekrosis Factor-α (TNF-α) und IL-6 können bei Parodontalerkrankungen erhöht sein und mit klinischen parodontalen Parametern korrelieren. So zeigte eine Langzeitstudie über fünf Jahre, dass die HbA1c-Werte bei den Parodontitispatienten am höchsten waren, bei denen die höchsten CRP-Werte festgestellt wurden, was auf eine Wechselbeziehung zwischen Parodontitis und systemischer Entzündung hindeutet [Demmer et al., 2010].

Leitlinie kommt

Ein deutsches Expertengremium aus Diabetologen und Parodontologen hat ein Konsenspapier über die Wechselbeziehung zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus und die sich daraus ergebenen klinischen Implikationen erstellt [Deschner et al., 2011]. Darauf aufbauend wird gegenwärtig von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGPARO) sowie der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) eine Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) zum Thema „Diabetes und Parodontitis“ vorbereitet und ist kurz vor Fertigstellung (Registriernummer: 083–015).

Diese Leitlinie hat unter anderem zum Ziel, die neuesten Erkenntnisse zu den Zusammenhängen zwischen beiden Erkrankungen auch in der Ärzteschaft zu kommunizieren. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hausärzten/Internisten beziehungsweise Diabetologen und den parodontologisch tätigen Zahnärzten beziehungsweise Parodontologen bei der Betreuung von Patienten mit Diabetes und/oder Parodontitis soll wichtige Impulse erhalten. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf der Früherkennung von Riskopatienten durch Screeningmaßnahmen liegen. Man geht von einer Dunkelziffer in Höhe von etwa zwei Millionen unerkannter Diabetespatienten für Deutschland aus [www.2mio.de]. Eine Reihe von Studien konnte bereits zeigen, dass es in der Tat möglich ist, unerkannten Diabetes oder Prädiabetes in der zahnärztlichen Praxis zu identifizieren [Lalla et al., 2011, 2013, 2015; Genco et al., 2014].

Dr. med. dent. D. Kuzmanova, M.Sc.Abteilung für Parodontologie und Synoptische ZahnmedizinCharitéCentrum für Zahn-, Mund- und KieferheilkundeCharité – Universitätsmedizin BerlinAßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin E-mail:Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, MS, Direktor der Poliklinik für Parodontologie,Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Zentrum für ZMKWelschnonnenstr. 17, 53111 Bonn

Prof. Dr. med. dent. Henrik DommischDirektor der Abteilung für Parodontologie und Synoptische ZahnmedizinCharitéCentrum für Zahn-, Mund- und KieferheilkundeCharité – Universitätsmedizin BerlinAßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

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