Neue "Medizinische Kinderschutzhotline"

Verdacht auf Kindesmisshandlung - und jetzt?

Sebastian Ziller
Ärzte und auch Zahnärzte werden häufig damit konfrontiert, dass Kinder mit gewaltbedingten Verletzungen in ihre Praxen kommen. Mit der Medizinischen Kinderschutzhotline gibt es jetzt eine bundesweite, kostenfreie und 24 Stunden erreichbare Anlaufstelle für Heilberufler, um sich bei Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Kindesmissbrauch Hilfe zu holen.

Die Heilberufe sehen verdächtige Verletzungen oder Verhaltensauffälligkeiten, die auf Misshandlung oder sexuellen Missbrauch hindeuten könnten, relativ früh und häufig. Sie spielen deshalb eine wichtige Rolle im System des institutionellen Kinderschutzes.

Bei der Frage, wie sie im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes weiter vorgehen sollen, benötigen niedergelassene und angestellte Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und medizinisches Fachpersonal bei Verdachtsfällen von Gewalt gegen Kinder allerdings eine schnelle und kompetente Beratung.

Handeln ja, aber wie?

Nicht selten kommt es vor, dass in der Praxis Verletzungen bei Kindern als Unfall deklariert werden, die Vorgeschichte und die Befunde aber nicht zusammenpassen. Häufig ereignen sich solche Vorstellungen außerhalb der üblichen Dienstzeiten, während Wochenend- oder Notdiensten. Und häufig ist es gerade der Zahnarzt, der als erster Mediziner aufgesucht wird, weil Verletzungen im Kiefer-, Mund- und Zahnbereich unbehandelt nicht ausheilen.

Aber wir Zahnärzte sehen Kinder, deren Zahngesundheit möglicherweise darauf schließen lässt, dass diese Kinder in keiner gesunden Umgebung aufwachsen oder gar Gewalt ausgesetzt sind, oft auch im ganz gewöhnlichen Praxisalltag. Wie gehen wir mit diesen Verdachtsfällen um, wenn es – trotz Bundeskinderschutzgesetz – nach wie vor Kommunikationsprobleme mit der Jugendhilfe gibt?

Wegen dieser nicht immer reibungslos funktionierenden Zusammenarbeit wurde im Sommer 2017 die „Medizinische Kinderschutzhotline“ ins Leben gerufen, die das Universitätsklinikum Ulm zusammen mit dem DRK Klinikum Berlin-Westend betreibt (www.kinderschutzhotline.de ). Die Hotline, mit der Betonung auf „Medizinisch“, soll die Kooperation mit dem Jugendamt nicht ersetzen, bietet aber in schwierigen Entscheidungssituationen eine zeitnahe, kompetente und praxisnahe Beratung zu den Möglichkeiten des interdisziplinären Kinderschutzes nach dem Bundeskinderschutzgesetz.

Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Pflegekräfte können sich bundesweit rund um die Uhr bei Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung, auch in Notsituationen, telefonisch beraten lassen. Ziel ist, rechtliche Unsicherheiten, etwa zur Informationsweitergabe nach § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Kommunikation im Kinderschutz (KKG), zu klären und wichtige Informationen schneller zugänglich zu machen.

Ein Lotse im Interesse des betroffenen Kindes 

Selbstverständlich bleibt dabei die (zahn)ärztliche Letztverantwortung bei dem behandelnden (Zahn)Arzt. In erster Linie geht es also nicht um ein medizinisches Konsil, sondern um eine kollegiale Beratung durch Angehörige der Heilberufe, die speziell zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der Jugendhilfe geschult worden sind. Dabei übernimmt die Kinderschutzhotline eine Art Lotsenfunktion, damit im Interesse des betroffenen Kindes oder Jugendlichen schnell und effektiv Hilfe in die Wege geleitet werden kann.

Finanziert wird das vorerst auf drei Jahre angelegte interprofessionelle Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Jörg M. Fegert von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) im Rahmen eines Modellvorhabens. In dem wissenschaftlichen Beirat mit der breiten Expertise unterschiedlicher Berufsgruppen und Akteure ist auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) vertreten, so dass das Angebot auch auf Zahnärzte ausgerichtet wird.

Die Befunddokumentation ist das A und O

Bereits seit 2010 engagiert sich die BZÄK im Bereich Prävention und Versorgung interpersoneller Gewalt. Die gerichtsfeste Dokumentation von Gewaltfolgen steht dabei immer wieder im Fokus, denn ein standardisiertes gerichtsverwertbares Dokumentationsverfahren führt zur einer verbesserten interdisziplinären Gesundheitsversorgung von Gewaltopfern und trägt zur Handlungssicherheit bei Zahnärzten bei. So wurden in dem Projekt „ZuGang“* vor sieben Jahren Instrumente und Materialien entwickelt, mit denen Zahnärzte Gewaltfolgen erleichter erkennen und gerichtsfest dokumentieren können – und vor allem auch ermutigt werden, Betroffene anzusprechen (www.bzaek.de/fuer-medien/broschueren-und-publikationen.html – Häusliche Gewalt: Erkennen und Ansprechen in der Zahnarztpraxis). Eine Reihe von Landeszahnärztekammern und KZVen bietet ähnliche Unterstützungsinstrumente an.

Mit der „Medizinischen Kinderschutzhotline“ steht Zahnärzten nun ein weiterer Baustein zur Verfügung, um potenzielle Kindeswohlgefährdungen frühzeitig abklären zu können. Wir sollten dieses professionelle Angebot der kollegialen Beratung intensiv nutzen!

*Das von der Hessischen Landesregierung finanzierte Projekt ZuGang wurde federführend durch die Hochschule Fulda unter Beteiligung der BZÄK, der Landeszahnärztekammer Hessen, Rechtsmedizinern, dem Frauennotruf Frankfurt und dem Berliner Interventionsprojekt S.I.G.N.A.L. sowie dem Universitätsklinikum Frankfurt durchgeführt.

Dr. Sebastian Ziller MPHLeiter Abteilung Prävention und GesundheitsförderungBundeszahnärztekammerChausseestr. 13, 10115 Berlin

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