Prof. Dr. Arne Schäfer zu frühen aggressiven Formen der Parodontitis

„Wir können die Ursachen jugendlicher Parodontitis aufklären!“

Die frühe aggressive Parodontitis hat viele noch unbekannte Ursachen. Prof. Dr. Arne Schäfer aus der Abteilung für Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin der Berliner Charité erforscht die genetischen Mechanismen der Erkrankung und stellt dar, dass die Zeit günstig ist, die Ursachen zu identifizieren.

Gibt es eine juvenile Form der aggressiven Parodontitis? 

Prof. Dr. Arne Schäfer:

Bei Jugendlichen kann in sehr seltenen Fällen eine Parodontitis mit fortgeschrittenem Attachmentverlust auftreten. Bei diesen jugendlichen Patienten ist der Krankheitsverlauf rasch progressiv und kann auch schon frühzeitig Zahnverlust bedeuten. 

Was sind die Ursachen für die Entstehung?

Die Ursachen sind bislang unbekannt. Man liest häufig, dass beispielsweise sogenannte pathogene Mikroorganismen oder eine mangelnde Mundhygiene ursächlich für diese Krankheitsform seien. Parodontitis ist aber keine Infektionskrankheit, und die vorgeblich pathogenen Bakterien finden sich auch bei einer sehr großen Zahl gesunder Menschen in diesem Alter. Ebenfalls kann ungenügende Mundhygiene diese frühe und rasch verlaufende Krankheit nicht hinreichend erklären. Auslöser für die juvenile Form der aggressiven Parodontitis können verschiedene, häufig auch unerwartete Faktoren sein, beispielsweise eine kieferorthopädische Behandlung. Aber die tieferliegende Ursache ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine individuelle genetische Prädisposition. Medizinisch hat die Identifikation der zugrundeliegenden Risikovarianten also eine sehr hohe Relevanz. 

Was unterscheidet die juvenile Parodontitis von allen anderen Formen? 

Bei sehr früh auftretenden Krankheitsbildern haben Umweltfaktoren wie zum Beispiel Rauchen sehr wahrscheinlich nur einen geringen ursächlichen Beitrag. Dies unterscheidet sie von den häufigeren und in der Regel eher spät auftretenden Krankheitsmanifestationen, bei denen jahrzehntelanges Rauchen und eine mit dem Alter abnehmende Abwehrkraft des Immunsystems eine wichtige Rolle spielen. Im Gegensatz dazu haben Jugendliche beim Einsetzen der Pubertät in der Regel noch nicht jahrelang geraucht und ein sehr robustes Immun-system. Auch sind Mundhygiene und sonstige Lebensgewohnheiten bei Patienten mit einer juvenilen aggressiven Parodontitis in der Regel nicht anders als bei ihren gesunden Altersgenossen. Das sehr frühe Auftreten und die Abwesenheit von langjährigen negativen Umwelteinflüssen weist auf kausale genetische Faktoren mit sehr hohen Effektstärken hin. In einzelnen seltenen Fällen können aber auch andere systemische Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes mellitus Typ I das frühe Krankheitsbild der Parodontitis negativ mitbeeinflussen. 

Es gibt bereits genetische Tests, mit denen Patienten das Vorhandensein krankheitsrelevanter genetischer Varianten prüfen und ihre individuelle Entzündungsneigung bestimmen können. Lassen sich diese Tests auch für die früh auftretenden Formen der Parodontitis verwenden? 

Als Patient und als Zahnarzt sollte man annehmen, dass die von den Labors verwendeten Tests hinreichend gut sind und deren Ergebnisse sinnvoll zu einer Diagnose beitragen. Allerdings müssen diese sogenannten In-vitro-Diagnostika nicht auf ihre Vorhersagegenauigkeit geprüft sein, wenn die Diagnose nicht lebensbedrohlich ist, eine falsche Diagnose für den Patienten also risikoarm bleibt. In der Regel reicht es für die Marktzulassung aus, dass die analytische Sensitivität geprüft wurde, nicht aber die diagnostische Sensitivität. Das heißt, der Test muss lediglich die genetische Variante exakt bestimmen können. Wenn diese Variante allerdings nichts mit der Krankheit zu tun hat, ist der Test für den Patienten wertlos. Mir ist derzeit kein Test bekannt, bei dem die getesteten Varianten etwas über das persönliche Risiko der Parodontitis aussagen könnten. Bei den Varianten, die in mir bekannten kommerziellen Tests zum Risiko der Parodontitis derzeit untersucht werden, handelt es sich um in der Bevölkerung natürlich vorkommende genetische Variationen, die irgendwann einmal in Verbindung mit Parodontitis gebracht wurden. In großen Stichproben konnten die Effekte der in kommerziellen Tests untersuchten Varianten aber bislang nicht validiert werden. 

Heißt das, man kennt gar keine genetischen Risikovarianten der Parodontitis? 

Doch, in der jüngeren Vergangenheit konnten wir in sehr umfangreichen Stichproben der adulten Parodontitis verschiedene Varianten identifizieren, die das Risiko für diese Krankheitsform unabhängig von Umweltfaktoren erhöhen. Allerdings lassen sich auch diese Varianten nicht für Tests zur Bestimmung des persönlichen Risikos verwenden, da die Effektstärken gering sind und die später im Leben auftretende Parodontitis eben sehr stark von langfristig wirkenden komplexen Umweltfaktoren beeinflusst wird. Diese Varianten geben aber wichtige Einblicke in die molekularen Ursachen für das Entstehen der Parodontitis.

Was wäre, wenn man die genetischen Varianten identifizieren könnte, die für eine früh eintretende Form der Parodontitis ursächlich sind?

Diese Varianten zu kennen, wird einen sehr hohen Wert für das Verständnis dieser Formen haben. Ihre Kenntnis würde aber auch die Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten und präventiver Ansätze sein, denn DNA-Sequenzvarianten mit sehr starken Effekten bilden dafür gute Ansatzpunkte. Aber auch für ein verbessertes Verständnis der Ätiologie häufigerer, im Erwachsenenalter auftretender Formen der Parodontitis können diese hilfreich sein. Die Parodontitis stellt ein sehr spezifisches Krankheitsbild dar, indem sie sich auf die Mundhöhle bei anderweitiger Gesundheit beschränkt. Daher ist es wahrscheinlich, dass nur wenige Genwirkketten an ihrer Pathogenese beteiligt sind. Das bedeutet, dass die kausalen Varianten früh eintretender Formen der Parodontitis vermutlich in denselben Wirkketten liegen wie bei der später im Leben beginnenden Parodontitis. 

Sind bereits Varianten bekannt, die für die frühzeitig auftretende Parodontitis verantwortlich sind?

Es wurden Varianten für seltene Syndrome identifiziert, die sekundär auch einen Parodontitis-Phänotyp zeigen. Beispielsweise das Ehlers-Danlos-Syndrom. Für die frühe, aggressiv verlaufende Form der Parodontitis, die ja von der Abwesenheit anderer Krankheitsbilder gekennzeichnet ist, wurden meines Wissens noch keine systematischen genetischen Untersuchungen durchgeführt. Es sind dafür aber auch erst seit einigen Jahren die technischen Möglichkeiten vorhanden. 

Wenn die technischen Möglichkeiten vorhanden sind, um diese genetischen Varianten zu identifizieren, woran fehlt es gegenwärtig?

Die Voraussetzung ist die Identifikation gut diagnostizierter Patienten dieser sehr seltenen Krankheitsformen sowie die Möglichkeit, auch ihre Geschwister, Eltern und Verwandte in die Studie einbeziehen zu können. Blut- oder Speichelproben der Mitglieder der betroffenen Familien können dann sehr effizient und preisgünstig sequenziert werden. Hierzu reicht bereits 1 ml Speichel aus. 

Abgesehen vom Wert für die medizinische Grundlagenforschung und für die Entwicklung neuer Therapieformen: Hätten die Familien denn auch einen direkten Nutzen von der Teilnahme an einer solchen Studie?

Für Betroffene ist es oftmals eine enorme Erleichterung, die Ursache ihrer Beschwerden zu kennen und diese benennen zu können. Hierzu gehört auch das Wissen, warum in ihrer Familie schwere Formen der Parodontitis bereits in jungen Jahren auftreten, obwohl sie beispielsweise eine gute Mundhygiene betreiben. In vielen Fällen lassen sich die genetischen Ursachen dieser Krankheitsform identifizieren. Nachfolgende Generationen können von den neuen Erkenntnissen in der Zukunft dann auch praktisch profitieren.sp


Patientenfälle gesucht!

Seine Kontaktadresse:Prof. Dr. Arne SchäferAbteilung für Parodontologie undSynoptische ZahnmedizinInstitut für ZMKCharité – Universitätsmedizin BerlinAssmannshauser Str. 4-6, 14197 BerlinTelefon: 030/45052343arne.schaefer@charite.de

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