Editorial

Achtung Kapitalisten: Die Genossen kommen!

Im Frühjahr wird die spanische Dentalkette iDental von den Behörden Knall auf Fall dichtgemacht, nachdem ans Licht kommt, dass dort unqualifiziertes Personal unter Einsatz minderwertiger Materialien die Behandlungen durchführte. Insgesamt 350.000 Patienten bleiben zurück, oftmals ohne erfolgreich abgeschlossene Therapie, hereingefallen auf Scheinrabatte von bis zu 95 Prozent. Da sie für die Versorgung in Vorkasse gehen mussten, nahmen sie sogar extra Kredite auf – am Ende hatten sie nicht nur Zahnprobleme, sondern zusätzlich noch Schulden. 

Das ist nicht der erste Fall, der die Spanier aufbringt: Schon die Kette Funnydent ließ Tausende Kunden sitzen, als sie 2016 pleite ging – niemand glaubt, dass die ebenfalls vorab bezahlten implantologischen Leistungen im Wert von 8,8 Millionen Euro jemals erbracht werden. Nicht zu vergessen Vitaldent mit seinen 400 Kliniken, von denen 300 in Spanien angesiedelt sind. Nachdem das Unternehmen vergangenes Jahr mit einem Minus von sechs Millionen Euro abschloss und Insolvenz anmeldete, kündigte es Ende Oktober seine Rückkehr an. Dass Vitaldent wie die anderen Ketten wegen Betrug und Fehlverhalten angeklagt ist? Offenbar nicht das Problem.

Kein Wunder also, dass die Hälfte aller Patientenbeschwerden in Spanien Praxisketten abstraft, obwohl diese Strukturen nur einen Marktanteil von vier Prozent besitzen. Nein, das sind Zahlen, die in aller Deutlichkeit belegen, was die Bevölkerung von dieser Sorte Unternehmertum hält, die Renditenmaximierung durch Patientenabzocke betreibt. Derartige Vorfälle sind keine Einzelfälle. Sie ereignen sich auch in anderen Ländern, siehe Frankreich (Dentexia) und aktuell Großbritannien (Mydentist), mit ähnlichem Widerhall.

Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen lautet die Antwort auf die – häufig nur rhetorisch – gestellte Frage, ob Patienten von Dentalketten nicht auch profitieren, etwa von längeren Öffnungszeiten oder günstigeren Angeboten zahnärztlicher Leistungen, ganz klar: nein, nada, negativ! Wer immer noch meint, der Markt werde schon alles richten, ist naiv. 

In den USA, Großbritannien, Skandinavien, Südeuropa und Asien bewegt sich die Zahl der Ketten mit 200 bis 1.000 Zahnarztpraxen bereits im zweistelligen Bereich. In Deutschland sind aktuell rund 600 zahnärztliche MVZ zugelassen, davon mehr als jedes zweite im Verbund mit einer Kette. Also auch wir sind mittendrin. 

Wie aufseiten der Kapitalgeber versucht wird, Fakten zu schaffen und nebenbei auch politische Deutungsmacht zu gewinnen, illustriert der im September gegründete „Bundesverband nachhaltiger Zahnheilkunde“ (BNZK). Bereits der verheißungsvolle Name führt gutgläubige Menschen schnell in die Irre: Nachhaltig kann ja per definitionem nur positiv sein, oder? Aber lassen wir uns nicht einlullen. Zwar erklärt der Vorsitzende Dr. Daniel Wichels: „Wir stehen für Angebotsvielfalt, qualitativ hochwertige und flächendeckende Versorgung sowie für den Aufbau nachhaltiger Strukturen in der Zahnmedizin.“ Konkret fordert der BNZK allerdings, dass Gründung und Aufbau von Zahnärzte-MVZ nicht eingeschränkt werden dürfen. Klarer kann man sich nicht als Lobby für die zahnärztlichen Kapital-MVZ outen. Nachhaltige Zahnheilkunde für Investoren, wenn man so will.

Während Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und Bundeszahnärztekammer alles tun, um die Politik davon zu überzeugen, genau dieses Einfallstor – marode Krankenhäuser werden von Fremdinvestoren aufgekauft, um zahnärztliche MVZ gründen zu können – zu schließen, definieren Zahnärzte in Westfalen-Lippe die zahnärztliche Berufsausübung an der Basis neu: Dabei setzen sie auf ein Genossenschaftsmodell, das jungen Zahnärzten die Möglichkeit bieten soll, sich im Angestelltenverhältnis der Niederlassung zu nähern: ohne wirtschaftliches Risiko, dafür mit großem Entscheidungsspielraum und begleitet von Experten. Von Zahnärzten für Zahnärzte. Ob sie ihr Versprechen einlösen können, „das Beste aus beiden Welten“ zusammenzubringen und nebenbei noch die Versorgung auf dem Land zu sichern, wird sich zeigen. 

Nachhaltiger als die Zielsetzungen des BNZK scheint ihre Idee vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen auf jeden Fall.

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