Künstliche Intelligenz in der Zahnarztpraxis

Dieser Assistent macht 24/7 seinen Job

Manche Patienten haben die genauen Sprechzeiten nicht im Kopf, viele erwarten heute auch einfach, dass die Praxis rund um die Uhr erreichbar ist. Tatsache ist: Immer mal wieder bleibt ein Anruf unbeantwortet, weil keiner rangeht. Ist ein Telefonassistent die Lösung?

Das Telefon klingelt. Die Rezeption ist aber noch nicht besetzt. Oder es herrscht Hochbetrieb. Oder ein Notfall beansprucht gerade alle Kapazitäten. Oder oder oder. Immer wieder kommt es vor, dass Patienten anrufen und nicht durchkommen.

Mögliche Lösung: ein Telefonassistent, basierend auf künstlicher Intelligenz. Das Start-up Aaron aus Berlin hat einen solchen Assistenten entwickelt: Aaron.ai ist individuell programmierbar und deshalb auch lernfähig – er kann zum Beispiel aktuell Hinweise zum Corona-Virus aufnehmen und einen freisprachlichen Dialog führen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat die Software als innovative Anwendung ausgezeichnet und testet sie gerade in den Praxen.

Integriert in die bestehende Telefonanlage wird Aaron.ai über eine Ruf-weiterleitung. Je nach Einstellung kann er beliebig viele Anrufe gleichzeitig annehmen. Per App kann die Praxis einstellen, zu welchen Zeiten der Assistent anspringen soll – und ihn dann je nach Bedarf ausstellen.

Zu Beginn des Gesprächs fragt der Assistent gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nach dem Einverständnis zur Aufzeichnung des Anrufs. Danach wird der Patient mithilfe ausgewählter Fragen durch das Telefonat geleitet. Da der Assistent auf Fragen der Patienten „trainiert“ wird, sind die Fragen erweiterbar. Die Kategorisierung – etwa nach Terminvereinbarung, Rezeptverlängerung oder einer Notfallbehandlung – dient dazu, die Praxisorganisation zu vereinfachen und kann auf Wunsch verfeinert werden.

Wie sich der Assistent anhören soll, kann man sich aussuchen: Es gibt verschiedene Stimmen. Keine klingt nach einem Roboter aus der Callcenter-Warteschleife, man vermutet tatsächlich einen echten Mitarbeiter.

Mit dem Programm ist die Praxis immer Erreichbar

Eine Zahnarztpraxis, die mit diesem Programm arbeitet, ist Dr. Schlotmann in Dorsten. Das Team von Luca und Dr. Lennart Schlotmann schaltet den Assistenten von 6.30 Uhr bis 21 Uhr. Die Praxis profitiert vor allem während der Stoßzeiten von der Entlastung am Telefon, sagt Kerstin Kläsener, Leiterin der Rezeption: „Das Programm macht uns unabhängig in der Erreichbarkeit. Wir verpassen so keinen eingehenden Anruf mehr. Die Patienten haben das Gefühl mit ihrem Anliegen wahrgenommen zu werden.“

 Nach zwei Jahren ist die Bilanz der Praxis positiv. Anfangs wurde an den Einstellungen noch etwas gedreht, aber nach einer Gewöhnungsphase kamen alle damit zurecht, auch ältere Patienten. Praktisch findet Kläsener, dass das Programm jeden Anruf protokolliert, das Anliegen des Patienten verschriftlicht und wie eine Art Messenger auf den Bildschirm des Mitarbeiter-PCs schickt. „Das spart uns die Zeit des Abhörens und Kategorisierens.“

Zum Teil müssen Patienten auch gar nicht zurückgerufen werden, sondern erhalten eine aus dem System generierte und von den Mitarbeitern freigegebene SMS – zum Beispiel für den angefragten Kontrolltermin, erklärt Richard von Schaewen, Geschäftsführer der Aaron GmbH. „Ein potenzieller neuer Patient wird in jedem Fall mit seinem Anliegen angenommen und geht somit nicht an die Konkurrenz verloren, unabhängig davon, ob die Rezeption besetzt ist.“ Künstlich intelligent sei die Software deshalb, weil sie die Sprache von Patienten unabhängig von der Wortwahl verstehen könne. Für die Praxis sei das die Grundlage, um Patientenströme proaktiv zu steuern und -Regelprozesse schrittweise zu automatisieren.

Der Asisstent springt ein bei Personalmangel

Dr. Burkhard Maretzki, Inhaber einer kleinen Praxis in Grünheide, einer ländlichen Region bei Berlin, leidet unter Personalmangel. Seitdem er den Assistenten nutzt, stellt er fest, dass weder die Patienten noch sein Behandlungsgeschäft unter einer schlecht besetzten Rezeption leiden müssen. In Maretzkis Praxis werden die Termine über den Assistenten gebündelt und in Themenblöcke sortiert. Dass die Sprachsteuerung tagesaktuell angepasst werden kann, ist seiner Meinung nach ein großer Vorteil für den Betrieb: „Es ist von Bedeutung, wie sich die KI am anderen Ende präsentiert.“

Aaron.ai gewinnt KBV-Zukunftspreis

Im Rahmen der „KBV-Zukunftspraxis“ testet die Kassenärztliche Bundes-vereinigung (KBV) derzeit digitale Anwendungen im Praxisalltag auf Effizienz, Effektivität, Qualität und Zufriedenheit.

Das Projekt startete 2018 mit einem Ideenwettbewerb, in dem aus mehr als 60 Bewerbungen zehn Dienste prämiert wurden. Sechs davon werden gerade auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft, darunter auch Aaron.ai: Der KI-basierte Telefonassistent der Aaron GmbH wird in rund 70 Arztpraxen getestet. Im Fokus steht die Frage, ob mit der Software ein Bürokratieabbau in den Praxen erreichbar ist.

Der persönliche Kontakt bleibt natürlich wichtig, betont Maretzki. Über die Telefonhilfe hinaus informiert er seine Patienten via Praxisflyer, Aufsteller, Termin- und Visitenkarte. Obwohl seine Patienten im Schnitt über 50 Jahre alt sind, kam bislang jeder mit dem Assistenten zurecht. Sein Resümee: „Vor drei Jahren habe ich aus der Not heraus eine kostengünstige Lösung für den Personalmangel gesucht. Jetzt möchte ich die vollautomatisierte Terminvergabe nicht mehr missen.“

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.