125 Jahre Röntgen

Röntgen – ein Mann, eine Entdeckung, zwei Jubiläen

Ralf Vollmuth
,
André Müllerschön
Superlative sollte man zurückhaltend verwenden. Dennoch gibt es immer wieder Personen, die über jeden Zweifel erhaben sind und die ihr Fachgebiet wirklich revolutioniert haben. Einer dieser Wissenschaftler ist Wilhelm Conrad Röntgen, der mit der Entdeckung der später nach ihm benannten Strahlen im wahrsten Sinn des Wortes in neue Dimensionen vordrang.

In 2020 jährt sich nicht nur sein Geburtstag zum 175. Mal, sondern wir können auch auf 125 Jahre Röntgenstrahlen zurückblicken, die der Physiker am 8. November 1895 in Würzburg entdeckt hatte.

„Nach einer vertraulichen Mitteilung von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften hat der ehrerbietigst, gehorsam Unterzeichnete den ersten Nobel-Preis für das Jahr 1901 erhalten. Die Königlich-Schwedische Akademie legt besonderen Wert darauf, daß die Preisgekrönten am Verteilungstag (10. Dez. dieses Jahres) die Preise persönlich in Stockholm in Empfang nehmen. Da diese Preise einen ausnahmsweise hohen Wert haben und besonders ehrenvoll sind, so glaubt der ehrerbietigst, gehorsamst Unterzeichnete dem Wunsch der Königlich-Schwedischen Akademie, wenn auch nicht leichten Herzens, nachkommen zu müssen, und bittet er deshalb, ihm für die Dauer der nächsten Woche Urlaub gewähren zu wollen.Dr. W. C. Röntgen.“

Mit diesem Schreiben vom 6. Dezember 1901 beantragte Röntgen beim Königlich Bayerischen Staatsministerium für Kirchen- und Schulangelegenheiten seinen Urlaub zur Verleihung des Nobelpreises als Höhepunkt eines ebenso bemerkenswerten wie wirkungsstarken Wissenschaftlerlebens.

Der Sohn eines Tuchfabrikanten wurde am 27. März 1845 in Lennep, heute ein Stadtteil von Remscheid, geboren. Nach der Übersiedelung der Familie ins niederländische Apeldoorn 1848 verbrachte er seine Schulzeit zunächst dort und besuchte ab 1862 die Utrechter „Technische Schule“, von der er allerdings 1864 im Zusammenhang mit einem Schülerstreich – der genaue Sachverhalt ist nicht ganz klar – verwiesen wurde.

Studieren? Schwierig ohne Schulabschluss ...

Röntgen konnte keinen regulären höheren Schulabschluss vorweisen, insbesondere fehlten ihm die Kenntnisse der alten Sprachen Latein und Griechisch, und auch eine Zulassungsprüfung als Alternative zum Abitur bestand er nicht, weshalb ein Studium in Holland nicht möglich war. Ende 1865 begann er schließlich am Eid-genössischen Polytechnikum Zürich, an dem man unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Abitur studieren konnte, eine Ausbildung, die er 1868 als diplomierter Maschinenbauingenieur abschloss. 1869 promovierte er an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich (das Polytechnikum hatte kein Promotionsrecht) mit einer Arbeit zum Thema „Studien über Gase“.

Mit August Kundt (1839–1894), seit 1868 Professor für Physik am Polytechnikum, ging Röntgen zunächst 1870 als Assistent nach Würzburg, 1872 nach Straßburg, wo er sich im Frühjahr 1874 habilitierte, nachdem ihm dies in Würzburg aufgrund des fehlenden Abiturs versagt geblieben war. Über Stationen in Hohenheim/Württemberg als Professor für Mathematik und Physik an der Landwirtschaftlichen Akademie, abermals Straßburg als Extraordinarius für theoretische Physik und ein Ordinariat für Physik in Gießen, das er ab 1879 innehatte, wurde Röntgen schließlich nach Würzburg berufen, wo er von 1888 bis zu seinem Wechsel an die Universität München im Jahre 1900 wirkte und 1895 die Entdeckung machte, die seinen Ruhm begründete.

Der Schweizer Physiker Ludwig Zehnder (1854–1949), der immer wieder bei Röntgen arbeitete, von ihm gefördert wurde und mit ihm eng befreundet war, schrieb in seinen „Persönliche[n] Erinnerungen an W. C. Röntgen und über die Entwicklung der Röntgenröhren“ zum Wechsel Röntgens von Würzburg nach München:

„Im Jahre 1898 ging ich wieder zu Röntgen nach Würzburg, diesmal als sein 1. Assistent. Bald darauf bekam er den Ruf nach München. Er hatte zuerst wenig Lust, ihn anzunehmen, weil ihm die Ruhe in Würzburg mehr behagte, weil er hier auch leichter eigene Arbeiten ausführen konnte. Ich redete ihm aber zu, den Ruf anzunehmen. In München konnte er doch besser ‚Schule machen‘.“

1872 hatte Röntgen die Züricher Wirtstochter Anna Bertha Ludwig geehelicht, mit der er bis zu deren Tod im Jahre 1919 verheiratet war. Die Röntgens blieb kinderlos, nahmen jedoch 1887 eine damals sechsjährige Nichte von Anna Bertha bei sich auf, die das Paar schließlich im Alter von 21 Jahren adoptierte.

Röntgen erhielt bereits zu Lebzeiten zahllose Orden, Ehrenmitgliedschaften, wissenschaftliche Preise, Ehrendoktorwürden – unter anderem 1896 von der Medizinischen Fakultät in Würzburg – und andere Auszeichnungen, von denen eine natürlich besonders herausragt: der oben bereits erwähnte erste Nobelpreis für Physik im Jahre 1901.

Wilhelm Conrad Röntgen wurde 1920 emeritiert und starb am 10. Februar 1923 in München an Darmkrebs.

Unmittelbar nach seiner unglaublichen Entdeckung, noch im Dezember 1895, berichtete Röntgen in den „Sitzungsberichten der Würzburger Physikalisch-medicinischen Gesellschaft“ erstmals „Ueber eine neue Art von Strahlen“. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sicherlich noch nicht voll und ganz deren Bedeutung abschätzen. Mit den von ihm sogenannten „Schattenbildern“ war es nun möglich, Organe, Strukturen und Knochen ohne chirurgische Maßnahmen gleichsam von „außen“ zu beurteilen.

Auch die Zahnmedizin nutzte die Strahlen

Ziemlich schnell setzte sich in den medizinischen Fachgebieten die Erkenntnis über den diagnostischen Wert der X-Strahlen durch – trotz der langen Expositionszeiten von zum Teil über 20 Minuten. Die augenscheinlich ersten Zahnaufnahmen fertigten der Zahnarzt Otto Walkhoff und der Physiker Walter König bereits im Februar 1896 an.

Zunächst nutzten Zahnärzte herkömmliche, für humanmedizinische Zwecke konzipierte und etwas mehr als 50 cm lange Röhren, mit denen schnell eine Reduzierung der Belichtungszeit auf weniger als 30 Sekunden erreicht werden konnte. Die erste für zahnärztliche Bedürfnisse entwickelte Röntgenröhre erschien 1923 auf dem Markt. Es handelte sich um die Weiterentwicklung der verbreiteten Coolidge-Röhre, die aus Strahlenschutzgründen von Bleiglas oder Metallhülsen umgeben war.

Durch den technischen Fortschritt im Laufe der Jahre gelangen sowohl eine Verkleinerung der Röhren als auch ein nochmaliges Absenken der Expositionszeit, die Mitte der 1930er-Jahre zwischen 0,5 und 2,5 Sekunden lag. Ab diesem Zeitpunkt setzte sich die „Einkesselbauweise“ als ein weltweit anerkanntes Konstruktionsprinzip für zahnärztliche Röntgengeräte durch: Hier befanden sich Röhre und Transformator in einem ölgefüllten, schwenkbaren Gehäuse.

In den 1950er-Jahren gelang eine nochmalige Reduzierung des Fokus-Film-Abstands, wodurch sich die Zahnfilmgeräte noch einmal deutlich verkleinerten. Die auch als Kleinröntgengeräte bezeichneten Apparate konnten unmittelbar an den Behandlungseinheiten befestigt werden, was eine Zeitersparnis im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung bedeutete. Gleichzeitig war es nun möglich, die Röhrenspannungen zu verringern und in den Geräten definierte Werte für Spannung und Stromstärke bei der Anwendung festzulegen. Diese Automatisierung erhöhte sowohl die Sicherheit der Patienten als auch die des zahnmedizinischen Personals.

Als die Firma Eastman Kodak 1973 ein Patent für digitales Röntgen anmeldete, begann ein neues Kapitel. Mittlerweile löst die digitale Dentalradiologie die auf analogen Röntgenfilmen basierenden konventionellen Verfahren immer mehr ab. Durch den zusätzlichen Einsatz von Speicherfolien gelingt es, die notwendige Strahlenbelastung nochmals erheblich zu verringern.

Revolution bei den Aufnahmetechniken

Ebenso vielfältig wie die Fortschritte im technisch-apparativen Bereich waren die Entwicklungen auf dem Gebiet der Aufnahmeverfahren.

Die Beurteilung der Zähne und des Kiefers erfolgte zunächst mithilfe von intraoralen Aufnahmen und – zur Ruhigstellung des Kopfes – beim liegenden Patienten. Eine Fixierung der Filme übernahmen dabei hauptsächlich der Zahnarzt oder seine Assistenzen – zum Teil umfangreiche Strahlenschäden bei diesem Personal waren die Folge. Mit der Einführung von Aufbissfilmhaltern ab 1907 nahmen derartige Schädigungen ab, gleichzeitig setzten sich immer mehr standardisierte Aufnahmeverfahren wie die Parallel- und die Rechtwinkeltechnik durch, letztere vor allem seit der Entwicklung eines abgewinkelten Filmhalters Mitte der 1950er-Jahre.

In der Traumatologie notwendige Spezialaufnahmen, etwa des Jochbogens und -beins, kamen seit 1928 zur Anwendung, während die erste Nasennebenhöhlenaufnahme schon 1896 durchgeführt wurde. Für die Anfertigung von Fernröntgenseitbildern, heute unverzichtbares diagnostisches Mittel in der Kieferorthopädie, kamen Anfang der 1930er-Jahre zwei Meter lange mit Blei ummantelte Holztuben zum Einsatz.

Das Prinzip der Panoramaschichtaufnahmen wurde bereits 1922 patentiert, allerdings sollten fast 40 Jahre vergehen, bis sich mit dem ersten Seriengerät die Panoramatechnik immer mehr durchsetzte.

Die Ausübung der modernen Zahnmedizin ist sowohl in der Diagnostik als auch in der Qualitätssicherung ohne die zahnärztliche Radiologie nicht mehr denkbar – Röntgen sei Dank!

Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth

Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Zeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdam E-mail:Oberfelfarzt Dr. André Müllerschön

Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg

Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg E-mail:

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