Zahnmedizingeschichte

Eine neue Heimat für das dentale Erbe

Nach vielen Jahren Vorlauf war es am 6. November endlich soweit: Die einzigartige dentalhistorische Sammlung Proskauer/Witt, die sich im Besitz der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) befindet, ist von Berlin ins Dentalhistorische Museum (DHMZ) im sächsischen Zschadraß transportiert worden. Zuvor hatte die Sammlung rund 20 Jahre in zwei Containern gelagert. Die weltgrößte dentalhistorische Sammlung wird damit noch umfangreicher und vielfältiger. Möglich wurde der Umzug durch die Spendenaktion „Dentales Erbe“, bei der bislang rund 100.000 Euro zusammengekommen sind.

Eigentlich hätten Prof. Dr. Christoph Benz und Dr. Thomas Breyer an diesem 6. November auf der Bundesversammlung der BZÄK in Karlsruhe sein sollen. Doch Corona verhinderte auch diese zentrale standespolitische Veranstaltung. Stattdessen halfen der BZÄK-Vizepräsident und der Präsident der Landeszahnärztekammer Sachsen im winzigen Ort Zschadraß an diesem sonnigen, aber knackig kalten Morgen beim Ausladen eines Lkw, zerlegten Behandlungseinheiten, schleppten Kisten und andere zahnmedizinische Gerätschaften, die rund 20 Jahre in zwei Containern in Berlin vor sich hingeschlummert hatten. Kurzfristig war der von langer Hand geplante Transport anberaumt worden.

Zschadraß, gelegen zwischen Leipzig und Dresden, beheimatet auf dem Gelände einer ehemaligen Lungenfachklinik das Dentalhistorische Museum (DHMZ). Dahinter verbirgt sich nicht weniger als die weltgrößte dentalhistorische Sammlung, über Jahrzehnte mit akribischer Kleinarbeit und unermüdlichem Sammlergeist zusammengetragen von Zahntechnikermeister Andreas Haesler, der zugleich auch Vorsitzender des Vereins zur Förderung und Pflege des Dentalhistorischen Museum e. V. ist.

Als zöge der Louvre in die Eremitage

Der 59-Jährige ist an diesem Tag in seinem Element. Konzentriert koordiniert er die Aktivitäten, schraubt und packt an. Dank zahlreicher Helfer geht das Ausladen schneller vonstatten als geplant. Rasch füllt sich der Lagerraum in einem der vier Gebäude des Museums mit Dutzenden Kartons, zahnmedizinischen Großgeräten und historischen Möbeln.

Man merkt Haesler die Freude, dass die Arbeit getan und alles sicher unter Dach und Fach gebracht ist, sowie die Erleichterung, dass alles reibungslos geklappt hat, deutlich an. „Es ist, als zöge der Louvre in die Eremitage“, sagt er und seine Augen funkeln. Derartige Superlative sind an diesem Tag durchaus angebracht.

Ebenso geht es Benz und Breyer, die sich beide seit Jahren darum bemühen, die Sammlungen zusammenzuführen und die Stücke von Proskauer/Witt, die sich im Besitz der BZÄK befinden, aus ihrem Dornröschenschlaf zu reißen. Sie sprechen von einem herausragenden Tag für die Geschichte der Zahnmedizin und danken gleichzeitig allen, die diesen Tag durch ihre Spende überhaupt erst möglich gemacht haben.

Dabei sind die wenigsten Stücke der Sammlung frei zugänglich. Die meisten Exponate befinden sich in den unzähligen Kartons, die sich am Ende des Umzugs in dem kargen, aber klimatisierten Lagerraum des DHMZ stapeln. Viel Zeit zum Sichten und Erfassen bleibt allerdings nicht. Denn das nächste selbst gesteckte Ziel steht schon von der Tür. 1921 regte Curt Proskauer einen zentralen Wissenschaftsstandort für die Geschichte der Zahnheilkunde an. Dieses Jubiläum will Haesler zum Anlass nehmen, die ersten Stücke der Sammlung Proskauer/ Witt im Museum zu zeigen – quasi als Verwirklichung von Proskauers Plänen.

Der eigentliche Schatz liegt unter der Oberfläche

Aber es geht nicht nur darum, eine eindrucksvolle Ausstellung zu konzipieren, die den Besuchern die Jahrtausende alte Geschichte der Zahnmedizin anschaulich nahebringt. Wobei dies bereits heute erstaunlich gut gelingt. Rund 2.000 Besucherinnen und Besucher konnte das Museum im Jahr 2019 laut Haesler verzeichnen – und das trotz der abgeschiedenen geografischen Lage.

Die Sammlung Proskauer/Witt: Eine Chronolgie

1927: Der jüdische Zahnarzt Curt Proskauer, auf dessen Initiative das Reichsinstitut für Geschichte der Zahnheilkunde gegründet wurde, verkauft seine auf 50.000 Reichsmark geschätzte umfangreiche Bibliothek und Privatsammlung dem Reichsverband der Zahnärzte Deutschlands. Mit der Sammlung hatte er 1907 begonnen.

1931: Die Fédération Dentaire Internationale (FDI) benennt das Reichsinstitut für Geschichte der Zahnheilkunde als „Internationale Zentralstelle für die Katalogisierung historischer Objekte aus der Zahnheilkunde“.

1933: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Proskauer entlassen und verfolgt. Fritz H. Witt, Kommilitone Proskauers in Jena und Geschäftsführer des Reichsverbands, übernimmt die Betreuung der Sammlung und Bücherei und baut sie aus.

1937: Der Berliner NS-konforme Medizinhistoriker Walter Artelt folgt als Leiter des Reichsinstituts – Geschichte soll nun nach den ideologischen Grundsätzen der NSDAP umgedeutet werden.

1938: Proskauer wird ins KZ Buchenwald deportiert, kommt aber nach fünf Wochen frei und emigriert mit seiner Familie über Italien in die USA.

1954: Sammlung und Bibliothek – nicht unbeschädigt, aber im Kern erhalten – finden ein neues Zuhause im neu erbauten Zahnärztehaus in Köln, wo sie mit Unterstützung des damaligen Vorstands des Bundesverbandes Deutscher Zahnärzte (BDZ), der Zahnärztekammern der Länder sowie der KZBV erhalten, katalogisiert und erweitert werden.

1965: Die Neugründung des Forschungsinstituts für Geschichte der Zahnheilkunde folgt in Köln. Witt, bis 1956 Geschäftsführer des BDZ, leitet und betreut die Sammlung, das Institut und die Bücherei bis zu seinem Tod 1969.

1968: Robert Venter übernimmt die Leitung des Forschungsinstituts mit der Sammlung und der Bücherei. Der Jurist und zahnärztliche Multifunktionär war während der NS-Diktatur unter anderem Geschäftsführer der Deutschen Zahnärzteschaft. Von 1985 bis 1995 folgte als Leiterin des Forschungsinstituts die Kölner Medizinhistorikerin Marielene Putscher. Nach ihrem Ausscheiden wird das Forschungsinstitut mit der Sammlung und der Bücherei von der KZBV und der BZÄK aufgelöst.

1999/2000: Im Rahmen des Umzugs der BZÄK von Köln nach Berlin im Jahr 2000 wird dann die Sammlung in Containern in Berlin eingelagert. Zum Zeitpunkt der Auflösung umfasst die Deutsche Zahnärzte-Bücherei etwa 40.000 Fachbücher, Zeitschriftenbände und Dissertationen, darunter viele wertvolle historische Schriften.

2009: Der 2001 gegründete und 2003 in die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e. V. (DGZMK) eingegliederte „Arbeitskreis Geschichte der Zahnheilkunde“ übernimmt die Aufarbeitung und die Dokumentation der Sammlung.

2013: Die Bestände werden gesichert und der wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht – vor allem auf Betreiben des Arbeitskreises und mit der engagierten Unterstützung des derzeitigen Vorstands der BZÄK. Wichtige Dokumente werden von der BZÄK dem Bundesarchiv in Berlin übergeben.

2017: Mitglieder des Forschungsprojekts „Zahnheilkunde im Nationalsozialismus“ sehen auf Initiative des Arbeitskreises das Historische Archiv der BZÄK ein und erfassen die eingelagerten Archivalien provisorisch. Dabei stellen sie fest, dass diese Archivalien eine zentrale Überlieferung für die Erforschung der Geschichte der deutschen Zahnmedizin in den vergangenen drei Jahrhunderten und (in Verbindung mit den Beständen des ehemaligen Museums) ein wichtiges Zeugnis der fachkulturellen Identität des Berufsstands darstellen.

2020: Der Vorstand der BZÄK beschließt formal den Umzug der Sammlung ins Dentalhistorische Museum im sächsischen Zschadraß. Am 6. November ist es soweit: Die Sammlung wird von Berlin nach Sachsen transportiert und findet endlich eine neue Heimat.

Der unermessliche wissenschaftliche Reichtum befindet sich allerdings unter der Oberfläche. Denn Tausende historische Dokumente, Dissertationen und Forschungsarbeiten verbergen sich in den Kartons. Dazu kommen die bereits in Zschadraß vorhandenen Dokumente, die Haesler aus zahlreichen Quellen zusammengetragen hat, darunter 18 Universitäts- und Institutsarchive, 15 Firmenarchive, 12 Museen und 250 Bibliotheken.

Die Instandhaltung – ein Fass ohne Boden

Alles zusammen muss in wissenschaftlicher Kleinarbeit aufbereitet werden. „Das hier vorhandene umfangreiche Wissen verwendbar zu machen, ist die eigentliche große Aufgabe“, erklärt Breyer und fügt hinzu: „Das ist extrem aufwendig und kostet einen Haufen Geld.“ Er und Benz appellieren daher an die deutschen Zahnärztinnen und Zahnärzte, weiter beim Heben und Erhalten dieses einzigartigen Schatzes mitzuhelfen. Angestrebt wird eine Verdopplung der bisher gesammelten Spendensumme, also insgesamt 200.000 Euro. Perspektivisch soll es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern möglich sein, vor Ort ihrer Arbeit nachzugehen. Bereits jetzt werden drei Dissertationen auf der Grundlage von Forschungsarbeiten im DHMZ verfasst, berichtet Haesler.

Aber nicht nur die wissenschaftliche Aufarbeitung verschlingt eine Menge Geld. Auch die Instandhaltung und die Sanierung der historischen Gebäudesubstanz sind das sprichwörtliche Fass ohne Boden. Der große Vorteil des Ensembles – viel Platz – bedeutet im Umkehrschluss auch: viel praktische Arbeit. Daher freut es Haesler umso mehr, dass es seinem Verein gelungen ist, aus rund 28.000 Euro Spendengeldern (Eigenanteil) rund 142.000 Euro aus dem sogenannten EPLR-Entwicklungsprogramm des Freistaats Sachsen zu machen. Damit können das Dach und die Heizung saniert werden. Die Förderzusage kam wenige Tage zuvor.

Der Traum vom Anbau in Form eines Zahns

Aber der Vereinsvorsitzende hat noch weitergehende Pläne. Vor seinem geistigen Auge entsteht bereits ein Anbau an das eigentliche Museum – natürlich in Form eines Zahns. Nur mit einem solchen Anbau könne man eine Ausstellung konzipieren, die modernen didaktischen Maßstäben entspricht, ist Haesler überzeugt. Zudem lasse sich das alte Gebäude kaum barrierefrei umbauen. Man merkt, dass alles schon in seinem Kopf vorhanden ist: die Architektur, die Abfolge, die Exponate. „Man muss träumen können, damit so etwas Wirklichkeit wird“, zeigt sich der Zahntechnikermeister zuversichtlich. An diesem 6. November ist einer seiner großen Träume bereits in Erfüllung gegangen. 

Spenden Sie für den Erhalt des Dentalen Erbes!

Dank der Unterstützung und der Hilfsbereitschaft der deutschen Zahnärztinnen und Zahnärzte konnte die Sammlung Proskauer/Witt nach Zschadraß ins Dentalhistorische Museum ziehen. Doch damit ist es nicht getan: Die Stücke der Sammlung müssen inventarisiert, aufgearbeitet und schließlich öffentlicht zugänglich gemacht werden. Fernziel bleibt, einen Teil der Ausstellung in einer deutschen Metropole zu zeigen, um die zahnmedizinische Geschichte einem breiteren Publikum anschaulich zu machen. Das geht nicht ohne Ihre Hilfe!

Sie können direkt auf folgendes Spendenkonto überweisen:
Dentalhistorisches Museum Sparkasse Muldental
DE06 8605 0200 1041 0472 46

Bei Angabe von Namen und E-Mail-Adresse wird eine Spendenquittung übersandt.

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