Einflussfaktoren auf die Pandemie

Das Wetter und das Virus

Viele große Universitäten – und selbst die US-Raumfahrtbehörde NASA – gehen der Frage nach, ob Klima, Wind und Wetter die Pandemie beeinflussen. Die Antworten gehen auseinander – auch weil die Forscher das Virus noch nicht über alle Jahreszeiten hinweg untersuchen konnten. Klar ist: Schlechte Luftwerte verschlimmern den Krankheitsverlauf.

Die Beschreibung saisonaler Atemwegserkrankungen ist so alt wie die moderne Medizin. Um 400 vor Christus beschrieb Hippokrates in seinem Werk „Epidemien“ den „Husten des Perinthus“ – dieser manifestierte sich durch Symptome wie Fieber, Atemnot, Lungenentzündung und zuweilen letalen Ausgang und war ein ausgewiesenes Winterleiden. Ob dies auch für COVID-19 gilt, ist seit Pandemiebeginn umstritten.

Die Grippe als Indikator

Vor dem bevorstehenden Winter geben zwei Fakten Anlass zur Sorge, meldete Anfang Oktober das Massachusetts Institute of Technology (MIT). Zum einen sei die saisonale Grippe als Virusinfektion der Atemwege – wie COVID-19 im Winter – viel aktiver. 2019 habe es in den USA in den Herbst- und Wintermonaten 40-mal so viele Grippefälle wie im vorigen Frühjahr und Sommer gegeben. Historisch gesehen erhöht sich die Infektionszahl in kühleren Monaten immerhin um den Faktor zehn. Zum anderen war bei der Spanischen Grippe in den USA die Zahl der Todesopfer durch den Influenza- Ausbruch von 1918 im Spätherbst und Winter fünfmal so hoch wie im Sommer.

Auch das Institut für Humanvirologie der Universität von Maryland und das Global Virus Network hatten direkt zu Pandemiebeginn im März vorausgesagt, dass COVID-19 einem saisonalen Muster folgen werde, das anderen Atemwegsviren wie der saisonalen Grippe ähnelt. Sie stützten sich dabei auf Wettermodellierungsdaten von Ländern, in denen sich das Virus zu Beginn ausgebreitet hatte.

Die Städte, in denen es zu erheblichen COVID-19-Ausbrüchen gekommen war, haben demnach ein sehr ähnliches Winterklima mit einer Durchschnittstemperatur von 5 bis 11 Grad Celsius und einer durchschnittlichen Luftfeuchtigkeit von 47 bis 79 Prozent. Zudem liegen Wuhan, China, Südkorea,Japan, Iran, Norditalien, Seattle und Nordkalifornien in einer engen Ost-West-Verteilung zwischen den Breitengraden 30°N und 50°N.

Feinstaub - ein Verstärker

Forscher der Johns Hopkins University kommen dagegen zu anderen Ergebnissen. Fragen zur saisonalen Variabilität und zu Übertragungsunterschieden zwischen Klimazonen sind „höchst ungewiss“, sagt Ben Zaitchik. Der Professor für Erd- und Planetenwissenschaft leitet eine internationale Task Force der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), die die möglichen Auswirkungen des Wetters auf das SARS-CoV-2 benennen soll.

Die WMO warnte bereits im Sommer vor voreiligen Rückschlüssen zu einer Verbindung von Klima und Infektionsgeschehen. Noch sei umstritten, „wie Umweltfaktoren in epidemiologische Modelle und Szenarien einbezogen werden sollten. Frühe Analysen [...] haben zu gemischten und nicht schlüssigen Ergebnissen geführt“, teilte die Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit. Ein Anfang August veranstaltetes Symposium, bei dem 74 Studien vorgestellt wurden, kommt zu folgenden Ergebnissen:

\u0002Das Virus zeigt keine konsistente Reaktion auf Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind, Sonnen einstrahlung oder andere meteorologische und umweltbedingte Faktoren. Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Exposition der Bevölkerung gegenüber Feinstaub die Schwere der COVID-19-Symptome beeinflusst.

\u0002Die Saisonalität von COVID-19 muss noch ermittelt werden. Erfahrungen mit anderen Atemwegsviren legen jedoch nahe, dass ein saisonales Signal später auftreten kann, wenn die Krankheit endemisch wird.

Eine internationale Studie unter Federführung der Harvard University will die eingeforderte Robustheit hingegen durch verschiedene statistische Tests sicher gestellt haben.

Und Luftverschmutzung?

Die Autoren beschreiben das relative COVID-19-Risiko durch Wetter und Luftverschmutzung mithilfe einer neuen Kennzahl: Dieser sogenannte CRW-Wert definiert die Veränderung der Reproduktionszahl R aufgrund von Wetterfaktoren wie Durchschnittstemperatur, UV-Index, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Niederschlag sowie Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid und Ozon. Eine Verschiebung des CRW-Werts an einem bestimmten Standort der Welt von 1 auf 0,7 bedeutet danach eine 30-prozentige Verringerung der geschätzten Reproduktionszahl in einem definierten Zeitraum –allein aufgrund von Wetter- und Luftschadstoffen, sofern alle anderen Faktoren konstant sind.

Mit dem Rechenmodell und einer Kartendarstellung lässt sich unter https://projects.iq.harvard.edu/covid19 für fast jedes Land der Welt der CRW-Wert ablesen. Aktuell reicht die Prognose bis Ende April 2021.

Ran Xu et al.: „The Modest Impact of Weather and Air Pollution on COVID-19“,https://projects.iq.harvard.edu/files/covid19/files/weather_and_covid-19_preprint.pdf

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