Umfrage der Universität Greifswald

So kamen die Unizahnkliniken durch die Pandemie

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Till Ittermann, Stefan Kindler, Thomas Kocher
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Andreas Söhnel
Die Pandemie hat auch die 30 Universitätszahnkliniken (UZK) vor große Herausforderungen im Umgang mit den Patienten gestellt. Wie wurden Schutzmaßnahmen eingesetzt, welche Behandlungen wurden (nicht) durchgeführt, gab es Umsatzeinbußen? Die Universität Greifswald hat bei allen Standorten nachgefragt, 25 antworteten.

Fanden bauliche Veränderungen zur Sicherung des Betriebs statt?

Bereits im Zeitraum des ersten Lockdowns haben von den 25 UZK 72 Prozent bauliche Veränderungen durchgeführt, um auf die Pandemie adäquat zu reagieren. Zu den meisten Umbaumaßnahmen gehörten getrennte Ein- und Ausgänge, die Einrichtung einer Triage sowie Absperrungen und Trennwände. Zwei UZK gaben an, dass die Behandlungen in extra Gebäuden durchgeführt wurden. In einigen Kliniken wurden zusätzlich Belüftungsmaßnahmen etabliert.

Wurde bei den Patienten vor dem Betreten der Zahnklinik eine Corona-Anamnese durchgeführt? Was wurde dabei erfragt?

Ja, alle UZK führten vorher eine Corona-Anamnese im Sinne einer Triage durch. Dabei wurde bei fast allen dasselbe abgefragt: Fieber, Grippesymptome, Kontakte mit Corona-Patienten und das Kommen aus Risikogebieten. Alle klinisch tätigen Gruppen inklusive die der Studierenden waren an der Erhebung der Anamnese beteiligt.

Führen Mitarbeiter ein Symptomtagebuch und wenn ja, wer kontrolliert es?

Obwohl es sich gezeigt hat, dass die große Herausforderung der Pandemie die mögliche Übertragung des Erregers von asymptomatischen Personen ist, wurden die Mitarbeiter von etwa einem Drittel der UZK angehalten, ein Symptomtagebuch zu führen. Die meisten überließen das Führen des Tagebuchs der Selbstverantwortung ihrer Mitarbeiter. An fünf UZK kontrollierten die Oberärzte oder der Abteilungsleiter die Symptomtagebücher. Das Führen von Symptomtagebüchern kann zwar nicht verhindern, dass im ungünstigsten Fall ein asymptomatischer Mitarbeiter Kollegen ansteckt, aber es erhöht die Hemmschwelle, trotz einer gewissen Symptomatik zur Arbeit zu kommen und das Virus unter den Kollegen zu verbreiten.

Zur Datenerhebung

Um zu erfahren, wie die Pandemie die Arbeit in den Universitätszahnkliniken beeinflusst hat, befragte das Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universitätsmedizin Greifswald alle Standorte. Die Fragen gingen an alle klinischen Abteilungen der 30 Universitätszahnkliniken (UZK) sowie an die vorklinische und klinische Ausbildung. Unterstützt wurde das Projekt vom Netzwerk Universitätsmedizin (NUM), vom Bundesweiten Forschungsnetz Angewandte Surveillance und Testung (B-FAST), von der Vereinigung der Hochschullehrer für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (VHZMK), vom Arbeitskreis für die Weiterentwicklung der Lehre in der Zahnmedizin (AKWLZ) und von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). 25 der UZK antworteten. Die Fragen bezogen sich auf drei Zeiträume: März bis April 2020, Mai bis Oktober 2020 und November bis Februar 2021.

Wurden Corona-Screeningtests durchgeführt – wenn ja, welche?

Im Unterschied zur Corona-Anamnese haben nur wenige UZK bereits im März und April Screeningtests durchgeführt. Vielmehr steigerte sich die Anwendung von elf UZK in diesem Zeitraum über 14 von Mai bis Oktober hin zu 19 UZK von November 2020 bis Februar 2021. Von den möglichen Screeningtests kamen initial an neun UZK vorwiegend PCR-Tests zur Anwendung, während zum Ende hin die Antigen-Tests mit den PCR-Tests fast gleichzogen.

Bei welchen Gruppen wurden die Screeningtests durchgeführt? 

In allen drei Zeiträumen stellten die Patienten die größte Gruppe dar. Am Ende testeten 11 UZK auch ihr ärztliches und nicht-ärztliches Personal und damit fast doppelt so viele wie am Anfang der Pandemie. 

Wer wurde positiv getestet?

Ein direkter Bezug der positiv getesteten Personengruppen zu den Tests lässt sich aufgrund der Limitationen dieser Befragung nicht herstellen. Nichtsdestotrotz lässt sich bei Studierenden und Patienten erkennen, dass mit Zunahme der Tests auch die Anzahl der positiv Getesteten zunahm, was beim zahnmedizinischen Personal nicht der Fall war.

Wie viele Mitarbeiter sind bislang an COVID-19 erkrankt?

Im Mittel haben die 25 UZK 1,6 Mitarbeiter angegeben, die an COVID-19 erkrankt waren, wobei 7 UZK keinen Fall in der Zeit hatten.

Wurden die Mitarbeiter schon geimpft?

Am Ende der Befragungszeit wurde an 24 UZK begonnen, sowohl das zahnärztliche als auch das zahnmedizinische Personal (ZMF, ZMP, DH) zu impfen.

Welche Schutzmaßnahmen wurden standardmäßig bei der Patientenbehandlung unter Corona-Bedingungen ergriffen?

Bereits im März und April 2020 hatten 20 der 25 UZK FFP2-Masken im Einsatz, wobei der Anteil im Laufe der Zeit auf 100 Prozent stieg. Zwei UZK setzten durchweg auch FFP3-Masken ein. Darüber hinaus zeigen die Antworten, dass auch die Benutzung von Visieren in der Behandlung als eine probate Schutzmaßnahme gilt. Zusätzlich wurden in der Standardbehandlung unter Corona-Bedingungen Einmalkittel und Kopfbedeckungen in rund ein Drittel der Kliniken angewendet. Der in der Literatur und in der neuen Leitlinie zu Aerosolen als zusätzlich wirksame Schutzmaßnahme angesehene Kofferdam wurde von der Hälfte eingesetzt.

Welche Schutzmaßnahmen gab es standardmäßig bei der Behandlung von Patienten mit Symptomatik oder Diagnose?

Bei der Behandlung von Corona-Patienten wurde das Sicherheitskonzept nochmals deutlich erhöht. Dies ist an der Zunahme der Benutzung von FFP3-Masken, Einmalkitteln, Kopfbedeckungen zu sehen. Sowohl in der im September 2020 erstellten und im März 2021 überarbeiteten S1-Leitlinie zum „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosolübertragbaren Erregern“ als auch in den Handlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie und der Gesellschaft für Virologie vom 4. November 2020 wurde auf den Infektionsschutz durch das Maskentragen hingewiesen.

Fanden/finden Patientenbehandlungen statt?

Bis auf eine UZK haben alle Kliniken von Pandemiebeginn an durchweg die Patientenbehandlungen auch während der ersten und der zweiten Welle aufrechterhalten können. Allerdings kam es zu Einschränkungen des Behandlungsspektrums. So haben neun gerade in der ersten Welle auf chirurgische, sieben auf konservierende, acht auf parodontologische, neun auf prothetische, zwölf auf kieferorthopädische und 19 auf Prophylaxe-Maßnahmen verzichtet. Diese Einschränkungen wurden im Laufe der Zeit trotz steigender Inzidenzen gelockert. Dies lässt darauf schließen, dass die Schutzmaßnahmen als adäquat im Umgang mit der Pandemie angesehen wurden. Selbst Prophylaxe-Maßnahmen, die in der Regel mit einer hohen Aerosolbildung einhergehen, wurden überwiegend wieder aufgenommen. So gaben im Zeitraum November 2020 bis Februar 2021 nur noch elf UZK an, keine Prohylaxe-Maßnahmen durchzuführen.

Welche Behandlungen werden bei Patienten mit COVID-19-Symptomatik durchgeführt?

Bei der Behandlung von Patienten mit COVID-19-Symptomatik antworteten 21, diese ausschließlich auf Schmerzbehandlungen zu begrenzen. Nur zwei UZK behandelten keine COVID-Patienten beziehungsweise verschoben die Maßnahmen auf die Zeit, bis die Patienten negativ getestet wurden. Wenige UZK führten auch elektive Maßnahmen an Patienten mit COVID-Symptomatik durch.

Wurde/Wird bei Behandlungen von Patienten mit COVID-19-Symptomatik auf aerosolbildende Maßnahmen verzichtet?

In allen drei Zeitabschnitten verzichteten 22 UZK auf Aerosol-bildende Therapiemaßnahmen. 

Spülen die Patienten vor einer zahnmedizinischen Intervention mit einer antiseptischen Mundspüllösung?

Laut den Antworten wurde vor der Pandemie das Spülen mit einer antiseptischen Mundspüllösung vor einer zahnmedizinischen Intervention in den verschiedenen Abteilungen sehr unterschiedlich gehandhabt. Mit Einsetzen der Pandemie jedoch kam es zu einer deutlichen Steigerung in der Anwendung von Mundspüllösungen. Um hier ein differenzierteres Bild zu bekommen, wird diese Fragestellung in der Original-Studie ausführlicher dargestellt.

War die Zahnklinik ein offizielles Schwerpunktzentrum für COVID-Patienten?

Im März und April waren 14, von Mai bis Oktober 13 und von November bis Februar elf der Zahnkliniken als Schwerpunktzentren der jeweiligen KZV benannt. Inwieweit diese Zentren von den KZVen für die Übernahme der Versorgung der Corona-Patienten finanziell oder materiell in Form von den anfangs knappen Hygieneprodukten unterstützt wurden, geht nicht aus der Befragung hervor. Unabhängig davon muss in einem zukünftigen Pandemieplan geklärt werden, welche Aufgaben den Universitäten in einer Pandemie zukommen und wie sie hierfür ausgerüstet und im Ernstfall von Land, Bund oder der KZV unterstützt werden.

Wie werden die Umsatzeinbußen für das Jahr 2020 eingeschätzt?

Alle UZK machten 2020 weniger Umsatz. So bezifferten vier UZK die Einbußen mit bis zu 10 Prozent. Bei sechs UZK lagen sie zwischen 10 bis 20 Prozent, bei acht zwischen 20 bis 30 Prozent, bei sechs zwischen 30 bis 40 Prozent und bei einer UZK zwischen 40 bis 50 Prozent.

Außerdem konnten die meisten UZK nicht nur die Patientenbehandlung, sondern auch die zahnmedizinische vorklinische und klinische Ausbildung (Studium Vorklinik/Klinik) durch die Pandemie hinweg aufrechterhalten.

Detaillierte Umfrageergebnisse können Sie unterwww.dental.uni-greifswald.de/zovideinsehen. 

Unvorbereitet in die Pandemie

Im Nationalen Pandemieplan des RKI (aktuelle Version 02.03.2017) wurden alle Maßnahmen, die man im Fall einer Pandemie ergreifen sollte, beschrieben. Wie vorbereitet die Gesellschaft auf eine tatsächlich auftretende Pandemie war, zeigte sich relativ schnell im Fehlen eines für die Zahnmedizin gültigen Pandemieplans mit klaren Handlungsanweisungen zum Schutz der Patienten und des Behandlungsteams beziehungsweise von adäquaten Masken bis hin zu Desinfektionsmitteln. Auch wenn die durchgeführten Schutzmaßnahmen nicht immer mit evidenzbasierten Entscheidungen hinterlegt waren, ist festzustellen, dass die UZK schnell und effektiv auf die COVID-19-Pandemie reagiert haben. Dies ist nicht zuletzt auch auf die Initiativen vieler Fachgesellschaften zurückzuführen.

Ob sich aus den erarbeiteten Handlungsempfehlungen ein umfassender Pandemieplan für die Zukunft ableiten lässt, ist nicht sicher. Vielmehr wäre zu überlegen, ob man nicht nur die noch für einige Schutzmaßnahmen ausstehende Evidenz liefert, sondern Fragestellungen erarbeitet, die im Fall einer nächsten Pandemie schnellstmöglich Erreger-spezifisch geklärt werden müssen. Aktuell gibt es hierzu die Initiative NUM des Bundes, die entsprechende Strukturen schaffen soll. Ob die Zahnmedizin in einer der Arbeitsgruppen vertreten sein wird und hiervon profitieren kann, wird sich zeigen. Sinnvoll wäre es allemal.

Till Ittermann, Stefan Kindler, Thomas Kocher

Prof. Dr. Alexander Welk

Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie, Endodontologie, Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde im Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universitätsmedizin Greifswald

Dr. Andreas Söhnel

Vorsitzender Ausschuss Zahnmedizin der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA); Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Alterszahnheilkunde und medizinische Werkstoffkunde, Greifswald

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