SARS-CoV-2 in der Zahnarztpraxis

Infektionsprävention unter Berücksichtigung neuer Virusvarianten

Bilal Al-Nawas
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Viren verändern sich fortlaufend. Auch das Coronavirus verändert sich und neue Virusvarianten entstehen. Diese Virusvarianten unterscheiden sich beispielsweise in ihren Erregereigenschaften und gelten mitunter als ansteckender und anpassungsfähiger als die Ursprungsvariante. Der folgende Beitrag von Autoren aus der für die Leitlinie „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern“ gebildeten Leitliniengruppe der DGZMK beschäftigt sich aus diesem Grund aktuell mit der Infektionsprävention in der Zahnarztpraxis.

Seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie verändern sich die Erreger kontinuierlich durch eine zunehmende Anzahl zufälliger Mutationen der RNA [Alm et al., 2020]. Das ist ein normaler Vorgang der Evolution, allerdings mit Konsequenzen für den Menschen, denn diese Veränderungen des Genoms von SARS-CoV-2 können mit Veränderungen der Erregereigenschaften, beispielsweise mit einer höheren Übertragbarkeit – etwa durch eine erhöhte Viruskonzentration im Speichel oder eine geringere Infektionsdosis – oder einem schwereren Krankheitsverlauf in Zusammenhang stehen. In diesem Fall erfolgt eine Einstufung der SARS-CoV-Mutation als besorgniserregende Variante (englisch: variant of concern (VOC)). Ob und wie sich bestimmte Mutationen auf Übertragbarkeit, Virulenz oder Immunogenität des Virus auswirken, ist gegenwärtig Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Im Mai 2021 erklärte die WHO die in Indien entdeckte SARS-CoV-2-Linie B.1.617.2 (Delta) zur besorgniserregenden Variante. Britischen Untersuchungen zufolge bestanden Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit. Demnach wies B.1.617.2 (Delta) eine höhere Fallanstiegsrate auf als die bisher in Großbritannien vorherrschende Variante B.1.1.7 (Alpha). Zum anderen war für B.1.617.2-Infizierte der Anteil infizierter Kontaktpersonen höher [Public Health England (PHE), 2021]. Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen nun auch in Deutschland, dass der Anteil der Variante B.1.617.2 stark zugenommen hat und das Infektionsgeschehen mittlerweile dominiert [Robert Koch-Institut, 2021]. Es verwundert daher nicht, dass die zunehmende Ausbreitung dieser VOC auch bei Zahnärzten und zahnmedizinischem Fachpersonal, die mit potenziell infektiösen Aerosolen arbeiten, Besorgnis hervorruft.

Worin unterscheidet sich B.1.617.2 (Delta) von anderen SARS-CoV-2-Varianten?

Das RKI beschreibt die Spezifität der SARS-CoV-2-Linie B.1.617.2 (Delta) wie folgt [Robert Koch-Institut, 2021]:

 „Im Spike-Protein zeigt die B.1.617.2 Variante folgende Polymorphismen: T19R, Deletion 157–158, L452R, T478K, D614G, P681R, D950N (Scripps Institute, 2021). Für den isolierten L452R Aminosäureaustausch wurde in vitro gezeigt, dass mutierte Viruspartikel höhere ACE2-Rezeptor-Affinität und verstärkte Infektiosität aufweisen. Laborexperimentelle Daten weisen außerdem darauf hin, dass diese Mutation eine Veränderung der antigenen Eigenschaften mit sich bringt. Erste durch PHE erhobene epidemiologische Daten deuten auf eine quantitativ reduzierte Impfstoffwirksamkeit gegen diese Variante hin: Die Schutzwirkung gegen symptomatische B.1.617 Infektionen liegt nach diesen Erfahrungen nach einer Impfdosis (mRNA- oder Vektorimpfstoff) bei 34% (95%CI: 21 – 44) und damit deutlich unterhalb der Schutzwirkung gegen symptomatische B.1.1.7 Infektionen, welche 51% (47–55%) beträgt. Nach vollständiger Impfung liegt die Schutzwirkung des m-RNA Impfstoffs bei 88% (95%CI: 78 – 93%), etwas unterhalb der 93% (90 – 96%) Schutzwirkung desselben Impfstoffes gegen symptomatische B.1.1.7 Infektionen. Die Schutzwirkung des in UK verwendeten Vektorimpfstoffes gegen symptomatische B.1.617.2 Infektionen beträgt 60% (95%CI: 29 – 77%) und liegt damit ebenfalls unterhalb der 66% (54 – 75%) Schutzwirkung dieses Impfstoffes gegen symptomatische B.1.1.7 Infektionen. Dies muss weiter beobachtet werden.“

Aktuelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass durch die SARS-CoV-2-Linie B.1.617.2 (Delta) infizierte Personen früher infektiös werden. Die PCR wird bei diesen Personen bereits nach durchschnittlich vier Tagen positiv (IQR 3.00–5.00), wogegen das bei den bisherigen Virusvarianten erst nach durchschnittlich sechs Tagen (IQR 5.00–8.00) der Fall war. Darüber hinaus war die Viruslast des ersten positiven Abstrichs (gemessen am Ct-Wert der PCR) mehr als 1.200-fach höher als bei non-VOCs [Li et al., 2021]. Deshalb ist eine erhöhte Viruskonzentration in Tröpfchen und Aerosolen anzunehmen, die beim Sprechen, Husten oder bei zahnärztlichen Untersuchungen und Behandlungen emittiert werden.

Darüber hinaus entsprechen VOCs weitestgehend anderen Coronaviren, was die Übertragungswege, die Reservoire im menschlichen Nasen-Rachen-Raum, die geringe Umweltwiderstandsfähigkeit (Tenazität) und die geringe Resistenz gegen Desinfektionsmittel und Antiseptika betrifft.

Sind bei SARS-CoV-2 B.1.617.2 (Delta) zusätzliche Hygienemaßnahmen notwendig?

Im vergangenen Jahr wurden unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) in Form einer AWMF-S1-Leitlinie Handlungsempfehlungen für Zahnärzte und zahnmedizinisches Fachpersonal zusammengestellt, die notwendige Maßnahmen zum Selbst- und Fremdschutz vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 (und weiteren Aerosol-übertragbaren Erregern) zusammenfasst. Im März 2021 wurde die Leitlinie aktualisiert [Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften, 2021]. Darin wurde nicht nur auf einzelne Hygienemaßnahmen, sondern auf ein „Maßnahmenbündel“ verwiesen (Tabelle 1). Eine Bündelstrategie ist ein „strukturierter Präventionsansatz zur Verbesserung von Versorgungsabläufen und -ergebnissen, bestehend aus mehreren abgestimmten, einfach durchführbaren Interventionsmaßnahmen“ [Deutscher Bundestag, 2014]. Der Nutzen der einzelnen Komponenten des Bündels in Bezug auf das Präventionsziel sollte möglichst gut durch wissenschaftliche Studien belegt sein.


Genaue Angaben zur minimalen Infektionsdosis von SARS-CoV-2 liegen noch nicht vor. Sie wird aber auf einige hundert bis tausend Viren geschätzt. Das in der AWMF-Leitlinie zum Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern angegebene Maßnahmenbündel gewährleistet nach den gegenwärtigen Erkenntnissen auch eine hohe Sicherheit gegenüber der neuen, infektiöseren SARS-CoV-2-B.1.617.2-Variante (Delta). Internationale Studien belegen diese Annahmen [Meethil et al., 2021].

Der (wissenschaftliche) Nachteil eines „Bündels“ ist, dass der Beitrag der Einzelmaßnahme zum Gesamterfolg nicht sicher angegeben werden kann. Das ist auch beim empfohlenen Maßnahmenbündel zur Prävention von SARS-CoV-2 in der Zahnmedizin der Fall. Aus praktischer Sicht wird diese akademische Limitation durch den messbaren Nutzen des Präventionsbündels mehr als aufgewogen. Die Fokussierung auf das Zusammenwirken verschiedener infektionspräventiver Maßnahmen (eben dieses Bündels) ermöglichte in den vergangenen beiden Jahren einen optimalen Schutz des zahnärztlichen Behandlungsteams vor der COVID-19-Erkrankung (Tabelle 2).



Das Auftreten der SARS-CoV-2-Linie B.1.617.2 (Delta) erfordert prinzipiell keine neuen, besonderen infektionspräventiven Maßnahmen in der Zahnmedizin. Notwendig sind die Fortführung und konsequente Umsetzung aller empfohlenen Maßnahmen, die in der AWMF-Leitlinie zum Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern zusammengefasst sind. Die Betonung liegt jetzt auf der Umsetzung aller Maßnahmen des Bündels.

Das gleiche Vorgehen empfehlen seit einem halben Jahr unverändert auch die Centers for Disease Control and Prevention in den USA. Deren Empfehlung vom 27.04.2021 lautet prägnant: „Recommendations for use of personal protective equipment by HCP remain unchanged”.

Aufgrund der aktuellen Studienlage empfiehlt die Leitliniengruppe der DGZMK zusätzlich zum bereits empfohlenen Maßnahmenbündel die vollständige Schutzimpfung, da die aktuell verfügbaren Impfstoffe auch gegen Virusvarianten wirksam sind. Für weitere Informationen zur Wirksamkeit der Impfungen verweisen wir auf die Information „Welchen Einfluss haben die neuen Varianten von SARS-CoV-2 auf die Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe?“ [Robert Koch-Institut, 2021a]. 

Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas

Klinik und Poliklinik für Mund-,
Kiefer- und Gesichtschirurgie,
plastische Operationen,
Universitätsmedizin der
Johannes Gutenberg-Universität
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

Dr. Kai Voss

Vizepräsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein und Mitglied im Ausschuss „Praxisführung“ der Bundeszahnärztekammer
Praxisanschrift: Am Alten Bahnhof 1, 24245 Kirchbarkau

Markus Tröltzsch

Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Ansbach Dr. Dr. Tröltzsch
Maximilianstr. 5, 91522 Ansbach

PD Dr. Christian Graetz

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Sektion Parodontologie
Arnold-Heller-Str. 3, Haus 26,
24105 Kiel

Prof. Dr. Stefan Rupf

 

Dr. Dr. Lena Katharina Müller-Heupt

Poliklinik für Parodontologie
und Zahnerhaltung,
Universitätsmedizin der Johannes-
Gutenberg Universität
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

Prof. Lutz Jatzwauk

Universitätsklinikum Carl
Gustav Carus
Leiter des Zentralbereiches
Krankenhaushygiene/
Umweltschutz
Fetscherstr. 74
01307 Dresden

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