Hilfseinsatz im bolivianischen Huancarani

Kons und Endo auf 2.800 Metern Höhe

Heftarchiv Gesellschaft
Eine vollständige COVID-Impfung war Voraussetzung – und natürlich jede Menge Tatendrang. Bei meinem Einsatz in einem Anden-Dorf in Bolivien begeisterte mich vor allem die endlose Geduld der Patienten, die für ihre Behandlung teils eine stundenlange Anreise auf sich nahmen. Es sprach sich schnell herum, dass die deutschen Zahnärzte wieder da sind. Ein Einsatz zwischen Armut und Fröhlichkeit, dankbar für das eigene Glück.

Huancarani, ein indigen geprägtes Dorf inmitten einer kargen Landschaft auf 2.800 Metern Höhe nahe den Anden – etwa 35 Kilometer südwestlich von Cochabamba. Als ich vor einigen Jahren das erste Mal nach Bolivien kam, um Land, Kultur und Sprache kennenzulernen, begegnete mir viel Armut, aber auch viele glückliche Menschen, die einfach mit wenig zufrieden sind. Das beeindruckt mich bis heute so sehr, dass ich unbedingt einmal zurückkehren wollte, um als Oralchirurgin zu helfen.

Bei meiner Recherche stieß ich auf den Förderkreis Clinica Santa Maria, kurz FCSM e. V., der für zahnmedizinische Hilfsprojekte in Südamerika im Einsatz ist. Der Hilfsverein besteht seit 1993 und betreute schon Projekte in Brasilien, Peru und Ecuador. Derzeit gibt es Corona-bedingt jedoch nur noch eines in Bolivien, im ärmsten Land Südamerikas, das bereits im achten Jahr unterhalten wird. Die Organisation betreibt hier eine zahnärztliche Praxis mit zwei Behandlungszimmern und einem Labor. Hier arbeiten meist europäische Einsatzkräfte jeden Alters – „Voluntarios“ – und halten den Betrieb in normalen Zeiten ganzjährig aufrecht. Per E-Mail bot ich meine Hilfe an und bekam noch am selben Abend die Zusage.

In der Regel arbeitet eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt beim Einsatzwechsel den nächsten ein. Nach der 16-monatigen Corona-Pause betreute diesmal der Einsatzleiter Dr. Ekkehard Schlichtenhorst das Team die ersten vier Wochen beim Neubeginn, um die Praxis (Consultorio) aus ihrem Dornröschenschlaf zu holen. Das Team bestand aus Technikerin Sabrina, Studentin Sarah und mir.

In Bolivien war gerade Frühling und es hatte seit knapp fünf Monaten nicht mehr geregnet. Die Luft war unerträglich trocken und die Sonne brannte. Tagsüber waren es bis zu 30 Grad, in der Nacht kühlte es auf 8 Grad ab. Ich teilte mir ein Apartment im Gebäudekomplex der Praxis mit Sarah und Sabrina. Das eigene Bad, die Küche und der Gemeinschaftsraum machten es zu einem echten Luxus in diesem einfachen Dorf, wo die Menschen teilweise in Lehmhütten wohnen.

Im Consultorio gibt es einen Behandlungsplatz mit einer alten Einheit aus Brasilien, einem kleinen Steri, einem 70-kV-Röntgengerät, einem Autoclaven, zwei Ultraschall-ZEGs, Reziprok und Apexfinder und einer kompletten instrumentellen und materiellen Ausstattung. Ein Luftreiniger mit HEPA-Filter sorgt in Corona-Zeiten für virenfreie Luft. Ein zweiter Behandlungsplatz war ursprünglich als reiner Prophylaxe-Platz eingerichtet worden. Wegen des Mangels an DHs und ZMFs rüsteten wir ihn zum Kons-Arbeitsplatz hoch. Eine stets präsente einheimische Stuhlassistenz hätten wir gerne. Das Berufsbild der ZFA oder Ähnliches gibt es jedoch in dieser Form in Bolivien nicht.

Da haben wir nicht mit uns verhandeln lassen

Montags fingen wir für gewöhnlich erst um 14 Uhr mit der Nachmittagssprechstunde an, weil man in den umliegenden Dörfern am Wochenende meist so ausufernd feiert, dass am Montagmorgen zunächst kaum Patienten in die Praxis kommen. Schnell waren wir ein gut eingespieltes Team. Jeder machte das, was er am besten konnte, und so ergänzten wir uns wunderbar. Nur zusammen mit KFO-Technikerin Sabrina konnten wir viele Patienten mit Interimsprothesen glücklich machen – diese sind in Bolivien die prothetische Standardversorgung. Am wichtigsten waren den Patienten in der Regel die Frontzahnfüllungen. Aber da haben wir nicht mit uns verhandeln lassen: erst die Beseitigung der Infektionsherde, dann die Ästhetik. Die meiste Zeit waren wir allerdings damit beschäftigt, die Patienten von notwendigen Behandlungen wie Extraktionen zu überzeugen.

So konnten wir zehn bis 15 Personen pro Tag behandeln und hatten etwa 45 bis 60 Minuten pro Patient zur Verfügung. Es dauerte nicht lange, bis sich herumsprach, dass die deutschen Zahnärzte ihre Praxis wiedereröffnet haben. Schon kurz nach Sonnenaufgang um 7 Uhr warteten Patienten von nah und fern geduldig vor dem Hoftor. Niemand kam auf die Idee, sich vorzudrängeln oder zu beanstanden, dass er vielleicht am nächsten Tag wiederkommen muss, um an der Reihe zu sein – den Schmerzpatienten wurde auch schon mal der Vortritt gewährt. Wir arbeiteten oft bis zum Einbruch der Dunkelheit gegen 19 Uhr.

Eine Füllung kostet hier 1,25 Euro

Unser Therapiespektrum umfasste konservierende und chirurgische ZHK, Endodontie mit Reziprok-Gold, die Prophylaxe und eine einfache Prothetik. Parodontologie, Kieferorthopädie und Implantologie kamen wegen der häufig wechselnden Behandler nicht infrage. Natürlich gibt es in Bolivien Zahnärzte, aber die Bolivianer haben mehr Vertrauen in die Qualität der deutschen Kollegen. Eine zahnmedizinische Versorgung zu Normalpreisen können sich die meisten zudem gar nicht leisten. Im Consultorio kostet beispielsweise eine Füllung oder eine Extraktion 1,25 Euro.

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Alles in allem waren die Arbeit und das einfache Leben mit der Gastfamilie, die uns herzlich umsorgte, eine absolute Bereicherung. Die Arbeit war dabei nicht weniger anstrengend als daheim, aber zumindest die Bürokratie war auf das Mindestmaß reduziert. Die Patienten, die mit ihrer unglaublichen Geduld und ihren in bunte Tücher gewickelten Kindern auf dem Rücken zu uns kamen, sich klaglos behandeln ließen und sich überschwänglich bedankend verabschiedeten, gaben uns so viel zurück.

Solche Projekte leben vom sozialen Engagement – gerade auch in diesen schwierigen Zeiten. Es ist eine schöne Erfahrung, seine Komfortzone zu verlassen und zu lernen, wie einfaches Leben und Dankbarkeit glücklich machen. Nach unserem Einsatz stand aufgrund mangelnder Einsatzkräfte das Consultorio wieder für sechs Wochen leer. Zur großen Freude der bolivianischen Patienten haben sich jetzt durchgehend bis Mitte Februar 2022 Zahnärzte für den Einsatz gefunden, für danach sucht der FCSM dringend weitere Freiwillige. Aufgrund vieler notwendiger Zahnextraktionen benötigen viele Patienten Zahnersatz. Daher würden wir gerne ganzjährig Zahntechniker im Team haben. Bisher gibt es zahntechnische Begleitung nur zur Hälfte unserer Präsenz. Wir suchen außerdem weiter Zahnärzte, Zahnmedizinstudierende und Dentalhygieniker.

Dr. med. dent. Sarah Schomberg

Fachärztin für Oralchirurgie
Praxis für Gesichtschirurgie und Implantologie Dr. Dr. Heller & Dr. Dr. Ludwig
Hoserkirchweg 63 a, 41747 Viersen und Dießemer Bruch 79, 47805 Krefeld

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