Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der PKV

Deutschland hat mit die umfangreichsten Leistungen

Große Wahlfreiheit, hohe Patientensouveränität, ein umfangreicher Leistungskatalog und wenig Zuzahlungen – Deutschlands Gesundheitssystem schneidet im Vergleich von 26 europäischen Ländern gut ab. Das ergab eine Studie des Wissenschaftliche Instituts der Privaten Krankenversicherung (WIP). Hervorzuheben ist die zahnmedizinische Versorgung, Defizite gibt es bei der Digitalisierung.

Im Mittelpunkt  der Untersuchung standen die Zugangshürden in der Versorgung in den verschiedenen öffentlichen Gesundheitssystemen Europas, die entweder über Steuern oder über Beiträge kollektiv finanziert werden.

Das deutsche duale Gesundheitssystem hat einen der umfangreichsten Leistungskataloge – Hauptgrund für das gute Ergebnis Deutschlands. Besonders hervorzuheben ist den Studienautoren zufolge die zahnärztliche Versorgung, die hierzulande ein fester Bestandteil des Leistungskatalogs ist und den Versicherten ein sehr breites Leistungsspektrum auf hohem Niveau garantiert. Gleichzeitig sei aber auch die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen in Deutschland höher als in den meisten anderen Ländern, was auf den hohen Abdeckungsgrad zurückgeführt wird.

In der Zahnmedizin schneidet Deutschland besonders gut ab

Zum Vergleich: Die meisten Länder in Europa haben eine zahnärztliche (Grund-)Versorgung für Kinder und Jugendliche. So sind zahnärztliche Leistungen unter anderem in Dänemark, den Niederlanden, Norwegen, der Schweiz und Lettland bis zum 18. Lebensjahr durch den öffentlichen Krankenversicherungsschutz gedeckt. Für Erwachsene variiert der Leistungsumfang in der Regel. Zum Beispiel in Italien ist die zahnärztliche Versorgung generell ausgeschlossen (Kinder nur bis 16 Jahre), abgesehen von Personen in finanziellen und gesundheitlichen Notlagen. Nur teilweise übernommen werden die Behandlungen für Erwachsene etwa in Dänemark, Schweden und Österreich. Der Abdeckungsgrad dort ist den Autoren zufolge weitaus begrenzter als in anderen Bereichen, was auf eingeschränkte Leistungskataloge und eine höhere private Kostenbeteiligung zurückzuführen sei.

Nur in drei der betrachteten Länder – Deutschland, Slowakei und Tschechien – werden nach Angaben der Studie mindestens die Hälfte der Gesamtausgaben für die zahnärztliche Versorgung von der öffentlichen beziehungsweise obligatorischen Krankenversicherung bezahlt. In Griechenland und Spanien werden die Kosten von Erwachsenen, die keinen besonderen Anspruch haben, nicht übernommen. Ähnliches gilt in der Schweiz. Dort sind zahnärztliche Behandlungen nur gedeckt, wenn sie im Zusammenhang mit schweren nicht vermeidbaren Erkrankungen stehen.

Ein großes Plus im deutschen Gesundheitswesen sehen die Autoren in der geringen Kostenbeteiligung für Patienten. So seien hierzulande im haus- und im fachärztlichen Bereich keine Zuzahlungen zu leisten. Darüber hinaus deuteten die teilweise geringen Deckungsraten des öffentlichen Krankenversicherungsschutzes darauf hin, dass in vielen Ländern Gesundheitsleistungen gänzlich privat gezahlt werden müssten (Tabelle). In den vergangenen Jahren hätten die Kostenbeteiligungen in vielen Ländern noch zugenommen. 

Die freie Arztwahl ist in vielen Ländern nicht selbstverständlich

Als weiteren Pluspunkt fürs deutsche Gesundheitswesen führt die Studie die hohe Wahlfreiheit und damit eine große Patientensouveränität in der ärztlichen Versorgung an. Im Unterschied zu vielen Ländern sei es in Deutschland selbstverständlich, einen Haus- oder Facharzt seiner Wahl aufzusuchen. Auch die Pflicht zur Registrierung bei einem Hausarzt existiere in Deutschland nicht. Dagegen sei in vielen europäischen Gesundheitssystemen die Einschränkung der Wahlfreiheit des Patienten eine institutionalisierte Zugangshürde. Auch wenn das Patientenwahlrecht in vielen Ländern ausgeweitet wurde, sei ein „Gatekeeping“ in Verbindung mit einer verpflichtenden Registrierung bei einem bestimmten Hausarzt nach wie vor weit verbreitet.

Wartezeiten stellen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern kein signifikantes Problem dar. Vor allem in einheitlich organisierten Gesundheitssystemen – etwa in Estland, Großbritannien oder Schweden – seien diese dagegen eine echte Hürde. Und anders als in anderen Ländern scheinen Einkommensunterschiede in Deutschland kaum ein relevanter Faktor zu sein. Bei der Digitalisierung liegen viele Gesundheitssysteme zurück. Einfache Ansätze wie Video-Sprechstunden, eine E-Mail-Kommunikation oder der Online-Abruf von Ergebnissen seien teilweise noch nicht umfassend etabliert. Auch in Deutschland könnten diesbezüglich noch Potenziale gehoben werden.

Zudem haben Patienten im deutschen Gesundheitssystem europaweit den schnellsten Zugang zu innovativen Arzneimitteln. In anderen europäischen Ländern seien nicht alle neuen Medikamente verfügbar oder kämen erst viel später in die Versorgung. Ein weiterer Punkt: die geringe Quote von Menschen mit privater Zusatzversicherung: In Belgien hatten 2020 insgesamt 98 Prozent der Bevölkerung solche Policen, in Frankreich 95,5 Prozent, in Deutschland nur 24,9 Prozent.

Fazit der WIP-Studie: Kollektiv finanzierte Gesundheitssysteme bieten keinen Schutz vor Versorgungsunterschieden. Das deutsche duale Gesundheitssystem dagegen biete allen Versicherten ein hohes Versorgungsniveau, die im europäischen Vergleich größte Wahl- und Therapiefreiheit und einen vergleichsweise kaum beschränkten Zugang zu ärztlichen Leistungen und Innovationen. Zudem hätten die Patienten kurze Wartezeiten. Den Autoren zufolge bieten Einheitssysteme keinen besseren, sondern gerade für einkommensschwache Bevölkerungsschichten einen schlechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung als das duale Gesundheitssystem in Deutschland.

In der WIP-Untersuchung betrachtet wurden die Länder Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. 

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.