Nachruf auf Rennfahrerlegende Tony Brooks

Wie der „rasende Zahnarzt“ beinahe Formel-1-Weltmeister wurde

mg
Der Brite Charles Anthony („Tony“) Standish Brooks sollte eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten und Zahnarzt werden. Doch kurz vor seiner Abschlussprüfung an der Universität Manchester hatte er 1955 die Chance, bei einem Formel-1-Rennen zu starten. Er gewann. Dann bestand er sein Examen, doch statt zu praktizieren prägte „The Racing Dentist“ die damals lebensgefährliche Rennserie viele Jahre maßgeblich mit.

Im Mai 2022 betrauerte die Fangemeinde der Formel 1 den Tod von Tony Brooks. Der 90-Jährige lebte zwar zurückgezogen in Surrey, Südengland, war aber mit sechs Siegen in 38 Rennen und einem Vize-Weltmeistertitel eine schillernde Ikone des Motorsports, auch weil er 1961 im Alter von nur 29 Jahren seinen Abschied verkündete.

Über 60 Jahre später kursieren viele Anekdoten um Brooks. Legendenbildend ist etwa die Geschichte, wie der motorsportbegeisterte junge Mann zu seinem ersten Rennwagen kam: Seine Mutter wollte sich ein Auto zulegen und bat ihn, sich für sie nach einem geeigneten Modell umzusehen. Brooks war gern behilflich, steuerte Geld aus dem Verkauf seines Motorrads bei und kaufte für seine Mutter einen Healey Silverstone mit 106 PS – also einen offenen Sportwagen, designt für den Einsatz auf der Straße und auf Rennstrecken.

Bei den ersten Rennen fuhr er Muttis Auto

Das ideale Auto für Mama? Wohl kaum: Aus Gewichtsgründen gab es keine Stoßstangen, die vorderen Räder standen wie bei Formel-1-Rennwagen aus der Karosserie heraus und für die Teilnahme an Rennen ließen sich die Kotflügel abmontieren und die Windschutzscheibe umklappen.

Ab 1952 ging Brooks mit dem Healey bei zahlreichen Club-Sportwagenrennen in seiner Heimat an den Start und erwarb sich den Ruf als schneller Fahrer. Drei Jahre später überließ ihm sein ehemaliger Teamkollege John Riseley-Prichard, der seinen Eltern zuliebe mit dem Rennsport aufgehört hatte, seinen Formel-2-Wagen für das Crystal-Palace-Rennen bei London. Brooks belegte den vierten Platz – hinter drei Piloten, die mit Formel-1-Autos starteten.


Aufgrunds dieses Achtungserfolgs engagierte ihn Aston Martin als Werksfahrer für Sportwagenrennen und noch im selben Jahr erhielt er vom Hersteller Connaught das Angebot, auf Sizilien am nicht zur WM zählenden Großen Preis von Syrakus teilzunehmen. Brooks sagte zu, obwohl er noch nie einen Formel-1-Wagen gefahren war und auch die Strecke nicht kannte.

Im Flieger nach Syrakus paukte er für das Examen

Statt sich Sorgen zu machen, konzentrierte er sich auf seine Examensprüfungen. „Ich habe während des Fluges gelernt und nicht viel über das Rennen nachgedacht“, sagte Brooks dazu später einmal. Schließlich habe er den Rennsport damals als angenehmen Zeitvertreib und Abwechslung zur Zahnmedizin gesehen.

Entgegen allen Erwartungen lag der Zahnmedizinstudent beim Zieleinlauf 51 Sekunden vor dem damaligen Formel-1-Star Luigi Musso und holte damit den ersten Grand-Prix-Sieg eines britischen Fahrers in einem britischen Auto seit 1924. Ein Jahr später – als examinierter Zahnarzt – startete der von Pilotenkollegen und Fans „The Racing Dentist“ genannte Brooks für British Racing Motors (B.R.M) bei seinem ersten offiziellen Rennen in der Formel 1 vor heimischer Kulisse.

Statt eines Überraschungserfolgs bekam Brooks im britischen Silverstone allerdings zu spüren, wie gefährlich sein neu gewählter Beruf damals war. Als er in Runde 41 auf einem guten vierten Rang lag, raste Brooks aufgrund eines Defekts in die Streckenbegrenzung, woraufhin sich sein Wagen mehrfach überschlug. Der Zahnarzt hatte Glück im Unglück: Er wurde aus dem Wagen geschleudert und erlitt eine komplizierte Oberkieferfraktur und weitere Verletzungen, überlebte aber. Sein Wagen ging in Flammen auf und wurde vollständig zerstört. Es blieb sein einziger Start in seiner ersten Saison.

Zum Ende der Saison wechselte Brooks zum Team Vanwall, für das er in der Formel-1-Saison 1957 in Monaco Platz zwei belegte – eine Sensation. Beim britischen Grand Prix in Aintree teilte er sich den Sieg mit seinem Teamkollegen Stirling Moss, da er seinen Wagen an Moss weitergegeben hatte, um ihm nach dessen technischem Defekt wichtige Weltmeisterschaftspunkte zu ermöglichen. Brooks startete 1957 auch beim 24-Stunden-Rennens von Le Mans, verunfallte jedoch erneut und erlitt schwerste Hautabschürfungen, die ihn in der Folge stark behinderten.


In der Saison 1958 galten Moss und Brooks dann als WM-Titel-Aspiranten, weil ihre Wagen den Ferraris technisch überlegen waren. Nachdem Luigi Musso beim Großen Preis von Frankreich tödlich verunglückt war, gewann Brooks die Großen Preise von Italien, Belgien und Deutschland. Beim Rennen auf dem Nürburgring kam Brooks Landsmann Peter Collins nach einem Überholmanöver von der Strecke ab. Sein Wagen überschlug sich, Collins wurde aus dem Wagen geschleudert und zog sich schwere Kopfverletzungen an einem Baum zu. Er starb später im Krankenhaus, wodurch Ferrari nach 1957 einen weiteren Fahrer durch einen tödlichen Unfall verlor.

Auch Vanwall blieb nicht von schweren Unfällen verschont. Beim Saisonfinale in Marokko kollidierte Brooks Teamkollege Stuart Lewis-Evans mit mehreren Bäumen, wodurch eine Kraftstoffleitung an seinem Wagen brach und der Wagen Feuer fing. Lewis-Evans rettete sich aus dem Cockpit, lief aber aufgrund seines Schocks vor den Hilfskräften davon. Er starb sechs Tage später an den Folgen seiner schweren Verbrennungen. Mike Hawthorn wurde in dem Jahr für Ferrari Weltmeister.

Zur Saison 1959 wechselte Brooks zu Ferrari. Wieder gehörte er mit Jack Brabham und Stirling Moss zu den Titelanwärtern und gewann sowohl den Grand Prix von Frankreich in Reims als auch den Großen Preis von Deutschland, der in diesem Jahr das einzige Mal auf der „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße“ AVUS in Berlin ausgetragen wurde – obwohl die Hochgeschwindigkeitsrennstrecke den damaligen Sicherheitsstandards nicht mehr entsprach: Sie bestand nur aus zwei langen Geraden, einer als gefährlich geltenden Steilkurve im Norden und einer 180-Grad-Wende im Süden.

Brooks gewann nach zwei Stunden und fünf Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 237 Kilometern pro Stunde. Wegen der mangelhaften Sicherheitsstandards und mehrerer schwerer Unfälle am Rennwochenende fand danach nie wieder ein Formel-1-Rennen auf der AVUS statt.

Brooks wechselt ins Team Vorsicht und überlebt

Vor dem letzten Rennen der Saison 1959, dem Großen Preis der USA in Sebring, hatte Brooks noch Chancen auf den Titelgewinn. Seine Konkurrenten waren der Australier Jack Brabham und Stirling Moss. Doch in der ersten Runde wurde sein Ferrari von seinem Teamkollegen Wolfgang von Trips gerammt.

Da er Schäden befürchtete und nicht bereit war, sein Leben zu riskieren, fuhr er in die Box, um den Wagen untersuchen zu lassen. Als geklärt war, dass es keinen sicherheitsrelevanten Schaden gab, fuhr er weiter und belegte am Ende den dritten Platz. In der Folge hieß es, seine Vorsicht habe ihn möglicherweise den Weltmeistertitel gekostet. Brooks betonte jedoch immer wieder, die Entscheidung zum Boxenstopp nicht bereut zu haben. Er habe zu viele Motorsport-Freunde und -Kollegen bei Unfällen verloren und sei selbst zweimal nur knapp mit dem Leben davongekommen.

Als Vizeweltmeister verließ er zum Saisonende überraschend Ferrari. Er fuhr noch zwei Jahre weiter, gewann nach der Saison 1959 aber nie wieder einen Grand Prix. Im Alter von 29 Jahren ging er in den Ruhestand als Rennfahrer und zog mit seiner italienischen Frau Pina zurück nach Großbritannien, wo er erfolgreich ein Autohaus betrieb und sich dem Restaurieren von historischen Rennwagen widmete.

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