Umfrage zu den Arbeitsbedingungen angestellter Ärzte

Berufswechsel nicht ausgeschlossen

Ein düsteres Bild des Arbeitsalltags angestellter Ärztinnen und Ärzte zeichnet der neue Monitor des Marburger Bundes (MB). Personelle Engpässe, viel zu viel Bürokratie und eine nutzerunfreundliche Digitalisierung bringen sie an ihre Grenzen. Was fehlt? Zeit für Gespräche mit den Patienten und mehr Wertschätzung der Arbeit. Ein Viertel denkt über einen Berufswechsel nach.

Ein Viertel der angestellten Ärztinnen und Ärzte denkt angesichts immer belastenderer Arbeitsbedingungen im Praxisalltag darüber nach, aus dem Beruf auszusteigen. Mehr Arbeit, zu wenig Personal, kaum Zeit für Gespräche mit den Patienten und die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit – so beschreiben viele ihre Arbeitsbedingungen. Das geht aus dem MB-Monitor hervor. An der vom Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) durchgeführten Online-Befragung beteiligten sich in der Zeit vom 20. Mai bis zum 19. Juni 2022 bundesweit 8.464 angestellte Ärztinnen und Ärzte aus allen Bereichen des Gesundheitswesens. Knapp 90 Prozent der Befragten arbeiten in Akutkrankenhäusern und Reha-Kliniken, sechs Prozent in ambulanten Einrichtungen.

An der Befragung nahmen mehr weibliche (53 Prozent) als männliche (47 Prozent) Mitglieder teil. Die Hälfte hat das 40. Lebensjahr noch nicht überschritten. Jeweils etwa ein Fünftel der Befragten gehört der Altersgruppe 41 bis 50 Jahre und 51 bis 60 Jahre an. Nur sieben Prozent sind 61 Jahre und älter. Die wichtigsten Ergebnisse des MB-Monitors:

Teilzeit ist ganz oft gar nicht Teilzeit

Gegenüber vorherigen Befragungen ist der Anteil der Ärztinnen und Ärzte mit einem Teilzeit-Vertrag gestiegen. 31 Prozent der Befragten geben an, ihre vertraglich vereinbarte regelmäßige Wochenarbeitszeit reduziert zu haben, im Herbst 2019 lag der Teilzeit-Anteil noch bei 26 Prozent, 2013 bei 15 Prozent. Sechs von zehn Teilzeitbeschäftigten reduzieren ihre wöchentliche Arbeitszeit (ausgehend von 40 Stunden) um bis zu zehn Stunden.

Obendrauf kommen dann aber wieder die Überstunden und Bereitschaftsdienste. Durch Teilzeit stellen Beschäftigte also oft nur sicher, dass sie wenigstens einen Tag in der Woche regelmäßig frei haben, heißt es in der Befragung.

Die tatsächliche Wochenarbeitszeit inklusive aller Dienste und Überstunden liegt im Mittel deutlich über 50 Stunden: Ein Fünftel der Befragten hat sogar eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 Stunden und mehr.

Die Diskrepanz zur bevorzugten Wochenarbeitszeit könnte laut Monitor nicht größer sein: 92 Prozent der Ärzte wünschen sich eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden. Nur acht Prozent der Befragten bevorzugen eine Wochenarbeitszeit von durchschnittlich mehr als 48 Stunden inklusive aller Dienste und Überstunden.

Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Die hohe Anzahl an Überstunden und 24-Stunden-Diensten, der ökonomische Druck seitens der Arbeitgeber sowie die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie lässt einen Teil der Ärztinnen und Ärzte darüber nachdenken, den Beruf zu wechseln. Auf die Frage „Erwägen Sie, Ihre ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben?“ antworteten 25 Prozent der Befragten mit „ja“, 57 Prozent mit „nein“ und 18 Prozent mit „weiß nicht“.

In den vergangenen zwei Jahren hat eine Reihe von Krankenhäusern trotz Personalmangel offenbar Stellen gestrichen. Auf die Frage „Gab es in den zurückliegenden zwei Jahren der Pandemie einen Abbau ärztlicher Stellen in Ihrer Einrichtung?“ entgegneten 34 Prozent der Befragten „ja“ und 48 Prozent „nein“. 18 Prozent wussten es nicht. In den privaten Krankenhäusern ist der Anteil sogar noch höher, wie Detailanalysen zeigen.

Die Dokumentation raubt Zeit für die Patienten

Viel Zeit für die Patientenversorgung geht laut Monitor durch administrative Tätigkeiten verloren. Der Zeitaufwand für Verwaltungstätigkeiten – wie etwa Datenerfassung und Dokumentation, OP-Voranmeldung – die über rein ärztliche Tätigkeiten hinausgehen, liegt im Mittel bei drei Stunden pro Tag. Ein Drittel der angestellten Ärztinnen und Ärzte schätzt den Zeitaufwand dafür auf mindestens vier Stunden täglich. Hier geht es unter anderem um Datenerfassungen, die häufig auch von Schreibdiensten oder Stationssekretariaten erledigt werden könnten. Darüber hinaus könnten viele Tätigkeiten, beispielsweise Dokumentationen, durch eine bessere IT-Ausstattung der Krankenhäuser erleichtert werden, heißt es in der Befragung.

Erstmalig wurden die Ärztinnen und Ärzte gefragt, wie zufrieden sie mit der IT-Ausstattung an ihrem Arbeitsplatz sind. Zwei Drittel aller Befragten sind „eher unzufrieden“ beziehungsweise „unzufrieden“, wobei die Zufriedenheit in ambulanten Einrichtungen größer ist. Der Grad der Digitalisierung wird mehrheitlich als „eher gering“ (39 Prozent) oder „gering“ (16 Prozent) eingestuft. 

Der Frust mit der IT

Ärztliche Anforderungen werden bei der Anschaffung neuer Software in der Regel nicht berücksichtigt. Auch dieser Umstand wird demzufolge ein Grund für die Probleme bei der Anwendung diverser Programme sein: Die Hälfte der Befragten gibt an, dass Mehrfacheingaben identischer Daten „gelegentlich“ vorkommen, bei rund einem Drittel (32 Prozent) ist das sogar „häufig“ der Fall, bei 18 Prozent „selten“.

Wie aus der Befragung auch hervorgeht, werden die Ärzte mit den Produkten und Prozessen rund um die IT weitgehend allein gelassen: Nur 18 Prozent der Befragten geben an, dass regelmäßige Schulungen für IT-gestützte Arbeitsabläufe stattfinden, drei Viertel verneinen dies; acht Prozent wissen es nicht.

Große Bedeutung messen die Befragten dem Schutz von personenbezogenen Daten in ihrem Arbeitsbereich bei: 41 Prozent halten den Datenschutz für „sehr wichtig“ und 43 Prozent für „eher wichtig“. Für 15 Prozent der Befragten ist er „eher unwichtig“ beziehungsweise „unwichtig“. Weitgehend zufrieden sind die Ärztinnen und Ärzte mit den Maßnahmen zum Schutz vor Cyber-Angriffen. Zwei Drittel beurteilen die Datensicherheit in ihrer Einrichtung als überwiegend gut.

Antworten der Ärzte

  • „Man kommt sich vor als Teil einer Maschinerie, die sich durch bestimmte äußere Vorgaben in die falsche Richtung bewegt. Als kleinstes Zahnrad fühle ich mich so als könnte ich nichts verändern und muss deshalb das System verlassen, wenn ich das System nicht mehr vertreten kann.“

  • „Es sind gar nicht die Überstunden. Es ist die Belastung im Dienst. Man arbeitet für zwei Personen. Man hat nie Pause. Man hetzt von einer zur nächsten Aufgabe und priorisiert ständig neu, da laufend neue Tätigkeiten zur To-do-Liste hinzukommen. Am Ende des Tages habe ich weder getrunken, noch gegessen und bin ausgelaugt.“

  • „Immer mehr Bürokratie, immer engere Zeittaktung, enorme Arbeitsverdichtung, immer mehr Reglementierung durch nicht-ärztliche Vorgesetzte, immer weniger ärztliche Qualität wegen immer mehr nicht-ärztlicher Arbeit.“

  • „Kostendruck und Kommerzialisierung im Gesundheitswesen auf Kosten der Patient:innen und der Gesundheitsfachberufe. Der Patient steht nicht mehr im Zentrum, sondern die Gewinnmaximierung.“

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