Leitartikel

Keine Überversorgung in der Kieferorthopädie feststellbar

Wolfgang Eßer
Gerne wird von Teilen der Politik und der Krankenkassen die Behauptung aufgestellt, es gebe in der Zahnmedizin an bestimmten Stellen eine Überversorgung. Dies natürlich immer mit der immanenten Aussage, diese Überversorgung gehe zulasten der Beitragszahlerinnen und -zahler der Gesetzlichen Krankenversicherung und müsse daher abgestellt, sprich es müssten Kosten gespart werden.

So haben beispielsweise verschiedene Gutachten in den vergangenen Jahren immer wieder die Frage nach der Evidenzbasierung der Kieferorthopädie aufgeworfen. Insbesondere der Bundesrechnungshof hat im Jahr 2018 nach einer entsprechenden Prüfung eine angeblich intransparente Datenlage zur kieferorthopädischen Versorgung angemahnt, die dann in der Folge in Medien und Öffentlichkeit breit diskutiert wurde. Auch ein weiteres, im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstelltes Gutachten des IGES-Instituts zum Nutzen kieferorthopädischer Behandlungsmaßnahmen kam zu dem Schluss, dass mit weiteren Untersuchungen die Evidenz kieferorthopädischer Behandlungen und der tatsächliche Versorgungsbedarf in Deutschland ermittelt werden müssten.

Mit der Aufnahme des Forschungsprojekts „Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Kindern“ (KFO-Modul) in die sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS 6) ist die KZBV der politischen Forderung nach einer nationalen epidemiologischen Untersuchung nachgekommen und hat mit einem äußerst ambitionierten Studiendesign den medizinisch-kieferorthopädischen Versorgungsbedarf durch das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) wissenschaftlich neutral bestimmen lassen. Zahnfehlstellungen und Kieferanomalien bei Kindern waren in diesem Umfang seit mehr als 30 Jahren nicht mehr flächendeckend ermittelt worden. Von Januar bis März 2021 hat das IDZ dazu an 16 verschiedenen Orten in Deutschland mehr als 700 Kinder im Alter von acht und neun Jahren wissenschaftlich untersucht. Wichtigster Partner war dabei die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO). Sie hat einerseits einen maßgeblichen Anteil an der Finanzierung der Studie geleistet und andererseits die Leitlinie zum idealen Behandlungszeitpunkt kieferorthopädischer Anomalien und die damit verbundene Darstellung der Evidenzbasierung kieferorthopädischer Therapien auf höchstem Evidenzlevel erarbeitet.

Die Studienergebnisse zeigen, dass der kieferorthopädische Behandlungsbedarf von Kindern und Jugendlichen von etwa 40 Prozent über viele Jahre konstant geblieben ist. Zudem sehen wir eine gleichbleibende Verteilung in den kieferorthopädischen Indikationsgruppen. Die Ergebnisse zur Frühbehandlung und der Vergleich mit weiteren Abrechnungsdaten belegen, dass es in der kieferorthopädischen Versorgung – anders als behauptet – keine Überversorgung gibt. Unsere Analysen haben zudem gezeigt, dass bei einem kieferorthopädischen Versorgungsbedarf häufig auch eine Einschränkung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität mit Schwierigkeiten beim Kauen von Nahrung einhergeht. Kinder mit einem kieferorthopädischen Behandlungsbedarf weisen einen deutlich höheren Anteil an kariösen Zähnen auf als Kinder ohne kieferorthopädischen Behandlungsbedarf (44,7 Prozent versus 37,1 Prozent).

Die Kieferorthopädie ist und bleibt daher essenzieller Bestandteil einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, die seit vielen Jahrzehnten ebenso konsequent wie erfolgreich von der Zahnärzteschaft umgesetzt wird. Dieser präventionsorientierte Versorgungsansatz führt zu einer tendenziell konstanten, in Teilen sogar rückläufigen Morbidität und weniger Folgeerkrankungen. Nicht zuletzt führt diese positive Entwicklung zu weniger Folgekosten und seit Jahren auch zu einem rückläufigen Anteil der Ausgaben für die vertragszahnärztliche Versorgung an den Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt.

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