Tag der Freien Berufe 2002 in Berlin

Nichts Neues vom Kanzler

Ausbildungsplätze und Wachstum im Dienstleistungsbereich: Das sind Ziele, die der derzeitige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den Freien Berufen gemeinsam hat. Dabei, so wurde auf dem Tag der Freien Berufe 2002 am 24. April in Berlin klar, lässt er es allerdings bewenden. Denn über Wege dorthin und einzuleitende Maßnahmen blieb Uneinigkeit. Auf die konkreten Forderungen der Freiberufler zur Abstellung der Missstände reagierte der Kanzler auch am Ende der Legislaturperiode mit der Zusage, darüber „reden“ oder „nachdenken“ zu wollen.

Der Auftritt des Kanzlers vor vollem Kongresssaal im „Haus der Kulturen der Welt“ als diesjährigem Domizil des „Tages der Freien Berufe“ brachte weder konkrete Zusagen noch neue Erkenntnisse. Die Erhöhung der Gebührenordnung für Anwälte, avisiert noch für diese Legislaturperiode, sei gemeinsam mit dem Bundesrat zu regeln, in dem Rot-Grün nach dem Wahldebakel in Sachsen-Anhalt noch weniger als zuvor zu sagen hat. Dass Gerhard Schröder hier etwas tun will, die Novellierung der Anwalt-Gebührenordnung auch Beispiel für die anderer Freier Berufe (Ärzte und Zahnärzte) sei, schwächte er mit Hinweis auf die eigene Machtlosigkeit im Ländergremium ab. Dafür habe man mit der Steuerreform, so der Kanzler, etwas für die Freiberufler getan. 2005, so das Versprechen, komme es zur spürbaren Entlastung. Und über die Beteiligung des Dienstleistungsbereichs am Bündnis für Arbeit, so der Kanzler, „müssen wir nachdenken“.

Wenig hatte Schröder angesichts der konkreten Forderungen der Freiberufler zu bieten, die der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB), Dr. Ulrich Oesingmann, aufstellte: In Sachen Anpassung „unserer Gebührenordnungen“ sei „das Ende der Fahnenstange längst überstiegen“. Ärzte wie Zahnärzte warten, so der BFB-Präsident, bereits über zehn Jahre auf eine Angleichung. Überfällig sei auch die Anpassung der Gebühren in den neuen Bundesländern. Deutliche Nachwuchssorgen zeugten von der „Vergewerblichung unserer Berufe“, klagte Oesingmann und mahnte Rechtssicherheit für die Freien Berufe an. Dass sich dieser Einsatz lohnt, verdeutlichte er anhand von Zahlen: 76 000 selbständige Freiberufler, 22 000 mehr als im Vorjahr, beschäftigen knapp zwei Millionen Menschen, davon 157 000 Auszubildende. Diese Gruppe erwirtschafte immerhin beachtliche acht Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes.

Trotz EU-Vorstoß kein Verzicht auf Körperschaften

Größere Bewegungsfreiheit für diese Berufsgruppen und Mut zu neuen Wegen forderten auch die Fraktionsvorsitzenden der Oppositionsparteien Wolfgang Gerhardt (FDP) und Friedrich Merz (CDU). Gerhardt: „Wir haben ein Gesundheitssystem, das die Leistungserbringer stranguliert.“ In den letzten Jahren habe man die Freiberufler, „das Rückgrat unserer Gesellschaft, vernachlässigt. Das müssen wir ändern,“ forderte Merz. Einig waren sich die Diskutanten, dass man trotz Anfeindung des Prinzips der Verkammerung seitens der EU auf die Selbstverwaltungskörperschaften nicht verzichten könne. „Meine Fraktion wird sich gegen Europas Vorgehen wehren,“ sicherte selbst Peter Struck als Fraktionsvorsitzender der SPD den Freiberuflern zu. Doch während die Oppositionspolitiker mit der Forderung nach mehr Liberalität, Eigenverantwortung und Auswegen aus dem maroden Gesundheitssystem Bereitschaft zu grundlegenden Veränderungen zeigten, machten Struck wie auch der Verbraucherschutzstaatssekretär Matthias Berninger (Bündnis 90/Die Grünen) kein Angebot für wirkliche Reformen.

Dafür hatten die Freiberufler selbst, die in vier Workshops zu den Themen „Notwendige wirtschaftliche Rahmenbedingungen“, „Herausforderung Europa“, „Verantwortung in Ausbildung und Arbeitsmarkt“ sowie „Qualitätssicherung in Eigenverantwortung“ das Leistungsniveau der Freien Berufe und deren Mut und Willen zur Veränderung herausarbeiteten, konkrete Ideen vorzuweisen. Trotz mangelhafter Rahmenbedingungen, so hoben zum Beispiel die Workshop-Teilnehmer „Qualitätssicherung in Eigenverantwortung“ hervor, seien die Anstrengungen für eine hohe Qualität der beruflichen Leistungen weiter gestiegen. „80 Prozent unserer Arbeit ist im Wesentlichen Bestandteil der Qualitätssicherung,“ betonte Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, die Leistung des Berufsstandes, das Ziel der Mundgesundheit in der Bevölkerung voranzutreiben.

Hinderlich sei, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen keinen Raum für die mit den Qualitätsfortschritten auch wachsenden Anforderungen lassen: „Dass Qualitätssicherung Geld kostet, wird von der Politik nicht anerkannt.“ Aufschlussreich war für die Teilnehmer des Workshops der Blick über den berufsspezifischen Tellerrand. Einen „Heckenschnitt in Sachen Qualitätssicherung für alle freien Berufe“, so Oesterreich, dürfe es angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen nicht geben.

Zu wünschen bleibt, dass der auf dem Tag der Freien Berufe erneut geäußerten Einsicht des Kanzlers, er habe verstanden, endlich entsprechende Taten folgen.

 

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