Gastkommentar

Mit Vernunft aus der Sackgasse

Die von allen Beteiligten als längst überfällig bezeichnete Reform des BEMA gestaltet sich schwierig. Ursache sind die extrem unterschiedlichen Vorstellungen, von denen sich die Vertreter auf Seiten der Krankenkassen wie der Zahnärzteschaft leiten lassen. Hat die moderne Zahnheilkunde noch eine Chance?

Klaus Heinemann
Ressortchef Sozialpolitik „Rheinische Post“ Düsseldorf

Wer wollte der Analyse des Referatsleiters Zahnärzte im AOK-Bundesverband, Winnefoet, widersprechen, der zufolge die jetzige zahnärztliche Vergütungsstruktur in wesentlichen Bereichen nicht mehr zum tatsächlichen Arbeitsaufwand der Zahnärzte passt? Die Forderungen, die er aus dieser einer Studie des Instituts für Funktionsanalyse entnommenen Erkenntnis schließt, lassen allerdings das Schlimmste befürchten. Zum einen wird von Kassenseite der durchsichtige Versuch unternommen, den Berufsstand zu spalten. Bewirken soll dies der dezente Hinweis auf extrem unterschiedliche Honorierungen für konservierend-chirurgische auf der einen und kieferorthopädische Leistungen auf der anderen Seite. Daran gekoppelt ist die andere Seite der Strategie, nämlich durch bloße Umschichtung im Versorgungssystem den Budgetrahmen unverändert zu lassen.

Vom Patienten ist in diesem Zusammenhang keine Rede. Er soll gefälligst in der umsorgenden Obhut seiner Kassenfunktionäre weiterhin Objekt einer Zuteilungsversorgung sein. Das ist bequem, sichert Macht und bedient alle wohlfeilen Vorurteile. Das bei vorurteilsfreier Betrachtung einzig sinnvolle Konzept, durch befundorientierte Festzuschüsse die Souveränität des Patienten zu stärken, das Verhältnis von Arzt und Patient in eine faire Partnerbeziehung zu überführen, ist für Funktionäre ein Graus, weil es einer Selbstentmachtung gleichkäme. An dieser Stelle wird erneut deutlich, wie überfällig es ist, die Rolle der Krankenkassenverbände in einer Strukturreform neu zu definieren. Sie sollen Sachwalter der Versicherteninteressen sein und nicht eitle Großspieler auf der politischen Bühne, fremdbestimmt durch Gewerkschaftsideologien.

Um die mit dem Vorschlag von Festzuschüssen verbundene Vorstellung einer intensiveren Arzt-Patienten-Beziehung von vornherein zu denunzieren, versteigen sich eben jene Ideologen zu abenteuerlichen Unterstellungen: Hierdurch eröffneten sich den Zahnärzten „glänzende Verdienstmöglichkeiten“, moderne Zahnmedizin würde „ohne jede Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskontrolle direkt mit dem Patienten zu Honorarsätzen von mehr als 200 Euro pro Arbeitsstunde überteuert abgerechnet“ werden können. Wie es auf der Grundlage derartig divergierender Vorstellungen zu einer vernünftigen Einigung kommen soll, entzieht sich jeglichen gedanklichen Zugangs. Kein Wort über die notwendige Stärkung der Prävention, kein Hinweis auf den dramatischen Honorarverfall der budgetierten zahnärztlichen Leistungen in den vergangenen Jahren. Motivation: Ehrensache!

Allein an diesem vergleichsweise geringen Problem zeigt sich die ungeheure Komplexität einer grundlegenden Reform im Gesundheitswesen. Diese tiefgehende strukturelle Reformunfähigkeit wurzelt im Kern in handfesten Machtinteressen. Diese politisch aufzubrechen kommt einer Herkulesaufgabe gleich. Runde Tische sind zur Lösung derartiger Fragen ungeeignet. Das hat das von der amtierenden Ministerin ins Leben gerufene Gremium nachhaltig unter Beweis gestellt; unliebsame Themen, selbst wenn sie auf der Basis in sich schlüssiger Konzepte vorgelegt wurden, kamen nicht einmal auf die Tagesordnung. Da eine der großen Volksparteien offenkundig zu schwach ist, diese Diskursunfähigkeit allein zu durchbrechen, zugleich stets damit rechnen muss, in einem der kommenden Wahlkämpfe vom politischen Gegner vorgeführt zu werden (siehe 1998), wird nur eine große Koalition der Vernunft aus der Sackgasse führen. Eine derartige, die Kräfte der politischen Mitte bündelnde Konstellation ist auch deswegen angezeigt, weil Deutschland sich insgesamt in einem desolaten Zustand befindet. Ob Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial- oder Bildungspolitik, – wir spielen in der zweiten Liga und kämpfen auch dort inzwischen erkennbar gegen den weiteren Abstieg. Als Hoffnung bleibt, dass auch der Patient ein Wähler ist, zumindest jener Patient sich dessen bewusst wird, der schmerzlich hohe Beiträge zahlt und dafür einen sich stetig verringernden Gegenwert erhält.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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