Kinderzahnheilkunde

Spezifische Therapiekonzepte für Problempatienten

Heftarchiv Zahnmedizin
Die Jahrestagungen der Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde und Primärprophylaxe (GKP) bestätigen jedesmal aufs Neue ihre Bedeutung für die Förderung wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihrer Nutzbarmachung für die Zahnarztpraxis.

So auch Ende September 2002 in Stuttgart, wo in enger Zusammenarbeit mit dem Zahnmedizinischen Fortbildungszentrum Stuttgart (ZFZ) die 9. Jahrestagung der GKP stattfand. Hauptthemen waren „Therapiekonzepte bei Risikopatienten“ und „Innovationen in der Kinderzahnheilkunde“.

In seinem Grußwort verwies Priv.-Doz. Dr. Norbert Krämer, Vorsitzender der GKP, auf die positive Entwicklung der GKP: In den letzten Wochen habe die Mitgliederzahl die Schallgrenze von 1 000 überschritten. Dies sei nicht zuletzt Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins um die Notwendigkeit einer

sachgerechten Versorgung der Problempatienten – immerhin etwa 15 bis 20 Prozent eines Jahrgangs.

Erfreulicherweise fänden sich auch zunehmend Kolleginnen und Kollegen in der wissenschaftlichen Gesellschaft GKP, die bereit wären, sich diesen neuen  Anforderungen durch Fort- und Weiterbildung zum Spezialisten für Kinderzahnheilkunde zu stellen.

Dr. Udo Lenke, Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg, lobte in seinem Grußwort, dass sich die bisherigen Bemühungen aller an der zahnmedizinischen Prophylaxe Beteiligten gelohnt hätten und Deutschland wegen des erfreulichen Kariesrückgangs bei Kindern in die europäische Spitzenliga aufgestiegen sei.

Ebenso wie Dr. Krämer verwies auch er auf den konstanten Anteil an Jugendlichen mit erhöhtem Kariesrisiko. Diesem Patientenkreis und Risikopatienten ganz allgemein gelte aus gesamtmedizinischer und restaurativer Sicht eine besondere Aufmerksamkeit, eine Auffassung, der sich auch Prof. Dr. Heinz Weber, Präsident der DGZMK, anschloss. Die GKP habe hier eine wichtige Aufgabe!

Innovationen – manchmal nur eine neue Verpackung

Der Tagungspräsident Prof. Dr. Johannes Einwag beleuchtete in seinem Grußwort das zweite Hauptthema: „Innovationen in der Kinderzahnheilkunde“. Mit Schlagworten wie Neuigkeit, Aktualität, Modernität, Kreativität und besondere Qualität würde eine Überlegenheit der Innovationen gegenüber Althergebrachtem suggeriert, eine Wirkung, die Marketingstrategen nur allzu gerne ihren Produkten zuschreiben, um sie dann als besonders innovativ den Konsumenten zu präsentieren. Solche Charakterisierungen wögen besonders im sensiblen Gesundheitswesen schwer, denn wer möchte nicht nach dem aktuellen Kenntnisstand der Wissenschaft betreut werden, wer nicht das wirkungsvollste und zugleich nebenwirkungsärmste Medikament erhalten,

und wer will nicht mit dem funktionell besten, dauerhaftesten und ästhetisch ansprechendsten Füllungsmaterial versorgt werden?

Doch Erfahrungen aus neuerer Zeit ließen berechtigte Zweifel an derartig ausschließlich positiven Bewertungen zahlreicher Innovationen aufkommen.

Auf der Basis weniger In-vitro-Studien und unter Hinweis auf laufende klinische Studien an bekannten Universitäten würden als innovativ charakterisierte Materialien oder Strategien vielfach verfrüht auf den Markt geworfen – die eigentliche klinische Studie führe der niedergelassene Zahnarzt an seinen Patienten durch, nicht immer mit positiven Ergebnissen.

Er erwarte sich von den Referenten der Tagung hier kompetente und unabhängige Aussagen – so Prof. Einwag.

Therapiekonzepte bei Risikopatienten

In seinem Hauptreferat „Der Risikopatient unter allgemeinmedizinischen und anästhesiologischen Aspekten“ hob Prof. Dr. Gerhard Wahl, Bonn, hervor, dass man grundsätzlich jeden Risikopatienten als Einzelfall betrachten müsse. Individuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen oder physiologische Besonderheiten könnten zu therapiebedingten Zwischenfällen, wie Unverträglichkeiten der Anästhesie, führen, was eine individuell abgestimmte, differenzierte Lokalanästhesie bis hin zur Intubationsnarkose oder sogar bis zur totalen intravenösen Anästhesie nötig machen könnte.

Weitere Risiken ergäben sich durch Tumore – immerhin seien Malignome die zweithäufigste Todesursache bei Kindern! Dem Zahnarzt komme hier in der Rolle eines Frühdiagnostikers eine besondere Bedeutung zu, da solche Erkrankungen sich auch durch Veränderungen im Mundbereich manifestierten! Nekrosen, blasse Mundschleimhaut, Gewebsvermehrung der Gingiva, UK aktiv an Hämatoporese beteiligt, gerötete Bezirke – all dies könnten Anzeichen sein, die den dringenden Kontakt zum Pädiater erforderten.

Auch banal erscheinende Infektionskrankheiten wie die Masern (= meldepflichtig!) verlangten ein sorgfältiges Vorplanen. Bei schwerwiegenden Verlaufsformen müsse mit dem behandelnden Pädiater die Belastbarkeit der Kinder, eine eventuelle notwendige Begleit- oder Prämedikation, die  Notwendigkeit eines anästhesiologischen „Stand-by“ oder auch die Überweisung in eine Klinik abgesprochen werden.

Für Risikopatienten spezielle Kariesprogramme

Traditionelle Strategien der Kariesprophylaxe versagen ganz offensichtlich bei der „Betreuung von Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko“, die Umsetzung neuer Konzepte wird erforderlich, wie Dr. Francesca Agostini, Berlin, darstellte: Frühzeitige Aufklärung der Mütter, frühzeitige Diagnose des individuellen Kariesrisikos, gegebenenfalls antibakterielle Therapie bereits in der Schwangerschaft, intensive Ernährungsanamnese und -beratung seien erforderlich.

Eine altersgemäß abgestimmte Form der Fluoridprophylaxe sei in jedem Fall als Basisprophylaxe indiziert. Grundsätzlich ließen sich dauerhafte Erfolge aber nur dann erzielen, wenn die Bereitschaft und Motivation der Eltern/Erzieher zur aktiven Mitarbeit über Jahre hinweg aufrecht erhalten werden könne.

Innovative Trends

Mit seinem Hauptreferat „Trends in der Kariesdiagnose“ widmete sich Prof. Dr. Karl-Heinz Kunzelmann, München, vor allem den Möglichkeiten und Grenzen der Frühdiagnostik und stellte verschiedene Möglichkeiten (teilweise noch im experimentellen Stadium, zum Teil bereits in der klinischen Erprobung, siehe Abb. 1 und 2) vor: Übliche visuelle und radiologische Untersuchungen seien grundsätzlich nur für eine qualitative und semiquantitative Befundung geeignet.

Quantitative Aussagen, wie die Laserfluoreszenz oder die Impedanzmessung, seien ein echter Fortschritt. Ihr besonderer Vorteil läge in der Möglichkeit des objektiven Kariesmonitoring. Positive Entwicklungen seien durchaus zu verzeichnen: die digitale faseroptische Transillumination (DiFOTI), Auflichtverfahren

mit weißem Licht, Light scattering monitor (LSM) und deren quantitative Variante QLSM, sowie die quantitativen Fluoreszenzverfahren QLF (quantitative lichtinduzierte Fluoreszenz) bis hin zu Diagnodent. Letzteres sei grundsätzlich positiv zu bewerten; die sehr weit gefassten Therapieempfehlungen

seien jedoch wissenschaftlich bislang nicht belegt.

Adhäsivtechnik

Priv.-Doz. Dr. Roland Frankenberger widmete sich in seinem Beitrag „Aktuelle Aspekte der Adhäsivtechnik“ dem weiten Feld der Adhäsivtechnik und  erwies auf die Diskrepanz in der Akzeptanz zwischen a) durch Phosphorsäureätzung generierte Schmelzhaftung einerseits und b) der noch immer kritischen  Haltung gegenüber Dentinhaftung.

Die Grundlagen der Adhäsivtechnik und die kompromisslose Beachtung der Lösungsmittel-Philosophie böten heute die Möglichkeit, „Wet bonding“ einfach und sicher zu praktizieren. Für die bleibende Dentition seien unverändert Mehrflaschensysteme der so genannten vierten Generation (siehe Abb.) am besten geeignet – auch hier hätten alle Weiterentwicklungen bei den Dentinadhäsiven nur in punkto Handlingeigenschaften greifbare Verbesserungen gezeigt, nicht jedoch bezüglich ihrer Effektivität.

Im Milchgebiss stelle sich die Situation bei der adhäsiven Füllungstherapie anders dar, hier seien zum Beispiel stopfbare Glasionomerzemente von Vorteil. Denn bei der Adhäsivtechnik sei immer ein Mindestmaß an Kooperation des Patienten unabdingbar, und diese sei bei ambulanter Behandlung nicht immer möglich.

Aufgaben und Herausforderungen.

Im seinem Hauptreferat „Innovations in padiatric dentistry – future aspects“ setzte sich Prof. Dr. Franklin Garcia-Godoy, Fort Lauderdale, mit aktuellen und zukünftigen Aufgaben der Kinderzahnheilkunde auseinander: die frühzeitige Diagnostik, die adäquate und zeitlich abgestimmte Kariesbehandlung, die Betreuung von Kindern mit hohem Risiko, die Füllungsmaterialien der Zukunft einschließlich endodontischer Verfahren im Milchgebiss sowie die Ausbildung in der Kinderzahnheilkunde.

Ähnlich wie seine Vorredner betonte er, dass bereits viele gute Ansätze vorlägen. Diese müßten jedoch – angefangen von Speicheltests bis hin zur  Lasertherapie noch klinisch evaluiert und auf ihren tatsächlichen Nutzen überprüft werden. Ergänzt wurden die Themenbereiche der Hauptreferate durch Kurzvorträge, moderierte Posterdemonstrationen und ein Praktikerforum mit Fallpräsentationen angehender Spezialisten.

Erstmals in der Geschichte der Jahrestagungen wurde auch ein spezifisches Programm für Praxismitarbeiter angeboten. Seminare zur intensiven Wissensvermittlung rundeten das Fortbildungsangebot ab.

Dr. Christian I. Koschnitzke

Herdweg 59

707174 Stuttgart

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