Diskussion um Seniorenbehandlung

Schlechtere Versorgung für alte Kranke

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In den letzten Wochen kochte – parallel mit den Verhandlungen zur Gesundheitsreform – eine heftige Diskussion in den Medien über die medizinische Versorgung im Alter hoch. Losgetreten hatten dies zwei Professoren mit ihrer Extrem-Meinung, dass Leistungen für sehr alte Menschen drastisch abgespeckt werden sollten. Ministerin Ulla Schmidt konterte sofort, die Ärzteschaft reagierte mit harscher Kritik.

„Man muss Ross und Reiter nennen“, sagte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) der Bild-Zeitung am 2. Juli. So argumentierte sie gegen die Vorwürfe, dass ältere Patienten von Ärzten medizinisch schlechter versorgt würden als junge Patienten. „Man kann nicht alle Ärzte unter Generalverdacht stellen.“ Aber sie räumte ein, dass „manchmal zu wenig, manchmal zu viel oder manchmal das Falsche für den Patienten getan wird.“ Das aber betreffe alle Menschen.

Damit reagierte die Ministerin auf die Sendung von Report Mainz vom 30. Juni. „Alt und abgeschrieben? Der Streit um die Medizin im Alter“ war das Thema. Zu Wort kam da die Bremer Soziologieprofessorin Hilke Brockmann, die von wissenschaftlicher Seite her kritische Fragen aufwarf. Sie hat jahrelang AOK-Daten ausgewertet und eine Studie dazu erstellt, Titel: „Why is less money spent on health care for the elderly than for the rest of the population. Health care-rationing in German hospitals 2002“ (nachzulesen in Social Science and Medicine 55:4, Seite 593 – 608.)

Dazu die Professorin in Report: „Diese Daten zeigen, dass ältere Menschen eine weniger aufwändige Behandlung im Krankenhaus erhalten, als jüngere Patienten. Und die Daten zeigen auch, dass Ärzte ganz wesentlich diese Entscheidung für die Patienten treffen.“

In die gleiche Kerbe schlugen zwei weitere Hochschulprofessorren. Sie kamen am 2. Juni in dem Report-Beitrag „Keine Medizin für Alte?“ zu Wort und sorgten für flächendeckende Aufregung im Gesundheitswesen. Professor Friedrich Breyer, Lehrstuhlinhaber für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Universität Konstanz, vertrat die Meinung, dass ab 75 Jahren lebensverlängernde Behandlungen nicht mehr bezahlt werden sollten, aber „Leistungen, bei denen es um die Schmerzlinderung geht – darum etwa, ein Leiden erträglicher zu machen – die würden weiter finanziert.“

Sein Kollege Joachim Wiemeyer, Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Bochum, stellte die Frage nach der Verteilung der knappen Gesundheitsleistungen, die besser für jüngere Patienten bereit stehen sollten, und nicht für jede lebensverlängernde Maßnahme für sehr alte Menschen eingesetzt werden sollten. „Dass man dann, wenn man vielleicht als Betroffener oder als Angehöriger vor einer konkreten Situation steht, das anders einschätzt, ist sicherlich dann klar, aber die Gesellschaft muss eben für solche Fragen entsprechende Regeln festlegen.“

Aufschrei der Ärzteschaft

Ein Aufschrei kam von Seiten der Ärzteschaft. Diese provokanten Überlegungen, die schon vor der Sendung bekannt waren, wurden von ihnen sofort – noch vor der Ausstrahlung - unisono abgelehnt. „Die Einführung von Altersgrenzen für medizinische Behandlung erinnert an Euthanasie unter anderen Vorzeichen. Wenn wir hier nicht unmissverständlich über die Gefahren für eine dem Humanismus verpflichtete Gesellschaft aufklären, verkommt die Würde des Menschen zum bloßen Konjunktiv“, mahnte Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. Ärzte seien dem Leben verpflichtet, der Wiederherstellung und Erhaltung der Gesundheit und der Linderung von Schmerzen. „Wir werden uns nicht in einen Ökonomisierungswahn des Gesundheitswesens hineinziehen lassen“, betonte Hoppe. „Dass diese Diskussion so möglich geworden ist, zeigt, in welcher ethischen Schieflage wir uns bereits befinden.“

Für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fand der zweite Vorsitzende, Dr. Leonhard Hansen, klare Worte: „Die Vorschläge von Friedrich Breyer lehnen wir kategorisch ab. Sie sind unethisch, widersprechen dem Geist der solidarischen Krankenversicherung und dem Selbstverständnis der deutschen Ärzteschaft. Die Thesen setzen voraus, dass man zwischen wertem und unwertem Leben unterscheidet. Uns möchte er zum Vollstreckungsgehilfen machen. Dafür stehen wir Ärzte jedoch nicht zur Verfügung.“

Doch bei der Versorgung von alten Kranken liegt in Deutschland trotzdem einiges im Argen. Beispiel: Palliativmedizin. Genau drei Wochen nach der Report-Sendung erschien im „Spiegel“ (26/03) ein Bericht über Menschen im Berliner Hospiz Ricam, in dem sehr deutlich wurde, dass es mit der Schmerzlinderung sterbender Patienten in Deutschland besser sein könnte. Prof. Dr. Eberhard Klaschik, seit Jahren engagierter Palliativmediziner und Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhles für dieses Fach, weiß, dass die Medizin helfen kann. „Seit wir den sterbenden Menschen als Patienten entdeckt haben und seine Symptome erforschen, macht die Medizin ernorme Fortschritte. Schmerz ist in der Sterbephase kein relevantes Problem mehr, da können wir sehr gut helfen.“

Aber die Zahlen der Morphiumverordnung sprechen eine eindeutige Sprache, dass es damit in Deutschland nicht zum Besten steht. Um Schmerzen ausreichend zu lindern, müssten 80 Kilogramm pro eine Million Einwohner verordnet werden. In Deutschland sind es 18 Kilogramm. Der Norweger Prof. Stein Husebø, Wien, international bekannter Palliativmediziner und Leiter eines europaweiten Forschungsprojektes, legt ganz dezidiert den Finger in die Wunden. Er sagte in Report am 30.Juni: „Werden Sie nicht dement. Werden Sie nicht alt. Bekommen Sie keine chronische Herz- und Lungenerkrankung. Dann bekommen Sie am Ende Ihres Lebens wenig Aufmerksamkeit. Und man stirbt grausam, wenn man die falsche Diagnose hat und das falsche Alter.“

Auch einer der Chefberater der Ministerin, der Kölner Gesundheitsökonom Professor Karl Lauterbach, räumte in der Sendung ein, dass es unnötige Rationierungen gäbe. Allerdings auf Grund von Verschwendung auf anderer Seite.

Justiz pocht auf Meinungsfreiheit

Inzwischen waren beim Koblenzer Generalstaatsanwalt Norbert Weise einige Strafanzeigen gegen Joachim Wiemeyer und Friedrich Breyer eingegangen. Weise äußerte großes Verständnis für die Kritik an den Rationierungsüberlegungen, aber es sei kein strafrechtlicher Tatbestand. Die Professoren hätten nur von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht.

Ulla Schmidt hatte bereits die Leser in der Bild-Zeitung beruhigt. Aber es kam noch eine weitere Aktion hinzu, vielleicht sogar als zusätzliche Beruhigungspille. Vor kurzem startete die Werbekampagne für die Gesundheitsreform. Auf zwei vierfarbigen Seiten ist ein riesiger geöffneter Mund mit einer Pille auf der Zunge zu sehen, darin ein recht kleiner Kasten mit Text. Darin werden auf drei Zeilen mehr Effektivität, mehr Transparenz, mehr Wettbewerb und mehr Qualität versprochen. Und dass jeder unabhängig von Alter und Einkommen die medizinische Versorgung bekommt, die er braucht. Und überhaupt: „Dass jeder Euro im System effektiv eingesetzt wird.“

Barbara HünnighausenAm Engelsgraben 5153757 St. Augustin

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