Gastkommentar

Kein Zurück nach Lahnstein

Rot-Grün und die Union müssen auf einander zugehen, wenn die überfälligen Reformen durchgesetzt werden sollen. Zwischen den Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat gibt es ein Patt. Das zwingt zur Zusammenarbeit, auch bei der Gesundheitsreform.

Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist

Ohne Kompromiss geht nach den Wahlerfolgen der CDU in Hessen und Niedersachsen kaum noch etwas. Rot-Grün braucht die Unterstützung der Union immer dann, wenn es um die Verabschiedung von Gesetzen geht, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Es bleibt Rot-Grün also nur die Möglichkeit, entweder nichts zu tun, oder mit der Union zu kooperieren.

Da sich eine Regierung nicht handlungsunfähig erklären kann, bleibt nur der mühsame Weg des Kompromisses. Diese Lage ist nicht neu. Fast ist es die Regel, dass in den Gesetzgebungsorganen die Mehrheiten parteipolitisch gegeneinander stehen. Das führt oft zu langwierigen und wenig zielführenden Verhandlungen. An deren Ende stehen dann meist untaugliche Kompromisse, die sich in schlechten Gesetzen niederschlagen, oder notwendige Reformen scheitern. Als Beispiel für das Scheitern eines insgesamt vernünftigen Gesetzes lässt sich Waigels Steuerreform anführen, die der SPD-Vorsitzende Lafontaine 1997/98 über den Bundesrat zu Fall brachte. Seehofers Gesundheitsstrukturgesetz wurde dagegen 1992 im parteiübergreifenden Kompromiss beschlossen; es wäre wohl besser gescheitert.

Doch nichts schätzen Bürger, Medien und meist auch Politiker mehr, als wenn unpopuläre politische Entscheidungen im Konsens der Parteien getroffen werden. Seehofers Kompromiss wurde Anfang Oktober 1992 in Lahnstein beschlossen. An den mehrtägigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen waren CDU, CSU, FDP und SPD beteiligt. Das große und entscheidende Wort führten damals Seehofer (CSU) und Dreßler (SPD); die anderen Beteiligten waren kaum mehr als Statisten.

Wenn jetzt einige Politiker dazu raten und Medien den Lahnsteiner Kompromiss als Ausweg aus dem politischen Patt empfehlen, so muss daran erinnert werden, was vor, in und nach Lahnstein passierte. Anfang 1992 verbot Kanzler Kohl auf Drängen des Ministerpräsidenten Teufel seiner Gesundheitsminsterin Hasselfeldt, sich trotz dramatisch steigender Defizite vor den Wahlen in Baden-Württemberg mit Reformvorschlägen vorzuwagen. Das Ergebnis: Nach dieser Wahl im April 1992 wurde Frau Hasselfeldt, die Kohls Anweisung respektiert hatte, abgelöst und Seehofer als neuer Minister inthronisiert. Er musste handeln. Nach längerem Tauziehen, auch mit dem Koalitionspartner FDP, wurden im Sommer „Eckpunkte“ für eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung und etwas später auch erste Gesetzentwürfe vorgelegt. Aber Seehofer brauchte die Unterstützung der SPD im Bundesrat; und er hoffte, mit Hilfe von SPD und FDP auch den Widerstand mächtiger Gruppen politisch neutralisieren zu können. So verständigte er sich mit seinem Gegenspieler Dreßler auf Verhandlungen, zu denen es dann in den ersten Oktobertagen des Jahres 1992 in Lahnstein kam. Dort wurde mit einigen nicht unwichtigen Änderungen Seehofers Konzept beschlossen und durch die Gesetzgebung gepeitscht.

Lahnstein war Gipfelpunkt der seit 1977 betriebenen Kostendämpfungspolitik. Das überholte Sachleistungssystem wurde durch staatliche und bürokratische Regulierung zementiert. Ausgaben- und Verordnungsbudgets, gesetzliche Preisdiktate und Honorarstopps, Regresse und Zulassungssperren für Ärzte, die verfassungswidrige Mehrbelastung der freiwillig versicherten Rentner und die Einführung des ausufernden Risikostrukturausgleichs bleiben mit „Lahnstein“ verbunden.

Entlastung hat das alles nur kurzfristig gebracht; die Gesetze mussten seit 1993 ständig nachgebessert werden. Jetzt steht die Politik wieder einmal hilflos da. Den Weg zurück nach Lahnstein sollte jedoch niemand gehen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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