Risiken von Körperschmuck

Submentale Lymphadenitis nach Piercing

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Kasuistik

Bei einer 19-jährigen Patientin war innerhalb weniger Wochen eine klinisch recht eindrucksvolle (Abbildung 1), derbe, nicht druckdolente, im Laufe der Zeit langsam progrediente submentale Schwellung aufgetreten. Klinisch lag eine gering unter zwei Zentimeter durchmessende noduläre Raumforderung knapp ventral des Hyoids. Sonographisch zeigten sich bis 1,5 Zentimeter im größten Durchmesser ausgedehnte, minimal kompressible, echoarme Lymphknoten. Der auffälligste Lymphknoten wies einen fast kreisrunden nodulären Anteil auf (Abbildung 2). Eine unmittelbare Beziehung zum Hyoid als Hinweis auf eine mediane Halszyste stellte sich sonographisch nicht dar. Die gruppierte Anordnung deutete auf eine reaktive Lymphadenitis hin. Es ergaben sich keine Hinweise auf eine dentogene oder im Bereich der Nasennebenhöhlen gelegene Entzündungsursache. Allerdings war vor einigen Monaten ein Zungenpiercing (Abbildung 3) angelegt worden. Die sublinguale Schleimhaut zeigte im Eintrittsgebiet des Körperschmuckes eine diskrete reaktive Hyperkeratose. 

Therapeutisch wurde zunächst eine antibiotische Therapie ex juvandibus eingeleitet und nach fehlender klinischer und sonographischer Rückbildung die diagnostische Entfernung des Befundes in ITN vorgenommen. Auf der Schnittfläche des größten Lymphknotens zeigten sich eine unregelmäßige fokal noduläre Binnenstruktur (Abbildung 4). Histologisch ergab sich der Befund einer unspezifischen Lymphadenitis mit fokaler Abszedierung.

Diskussion

Mit der zunehmenden Verbreitung von gewebepenetrierendem Körperschmuck auch im oralen Bereich häufen sich die Mitteilungen über Schadensereignisse. Im Vordergrund stehen vor allem akute und chronische infektiöse Komplikationen aber auch über relevante Blutungen und Schädigung der Zahnhartsubstanz wurde bereits berichtet [Krause et al. 2000]. Obwohl die Hypothese einer durch das Piercing bedingten Lymphadenitis letztendlich den Charakter einer Ausschlussdiagnose hat, spricht im vorliegenden Fall der zeitliche Zusammenhang und vor allem das Fehlen anderer ursächlicher Pathologien sehr für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Lymphadenitis und Zungenpiercing.

In der zahnärztlichen Praxis stellt sich vor dem Hintergrund einer oft hohen emotionalen Bedeutung des Körperschmuckes vor allem die Aufgabe einer umfassenden Aufklärung der zumeist jugendlichen Patienten, wobei aus medizinischer Sicht vordringlich auf die Risiken der akuten periinterventionellen Infektionen, auf Virusinfektionen (HIV/Hepatitis B/C) und auf hypertrophe Narbenbildungen, aus zahnärztlicher Sicht insbesondere auf die mechanische Schädigung der Zahnhartgewebe, hingewiesen werden sollte [Bethke und Reichart 1999]. Die systemischen gesundheitlichen Folgen chronisch irritativer Effekte von Körperschmuck sind bislang wenig untersucht. Im vorliegenden Fall ergab sich aus der Persistenz des schmerzlosen Befundes unter antibiotischer Therapie und dem Fehlen typischer adäquater Entzündungsursachen letztendlich die Indikation zur diagnostischen LK-Entnahme zum Ausschluss einer Systemerkrankung.

Ebenfalls nicht abschließend geklärt ist die rechtliche Einordnung des Eingriffs [Stra-metz und Püschel 2001] und die Frage der Leistungspflicht der Kostenträger im Gesundheitswesen bei medizinischen Komplikationen der Anlage von transkutanem Körperschmuck, die bislang in jedem Falle außerhalb des vertragsärztlichen oder auch vertragszahnärztlichen Behandlungsspektrums erbracht werden.

PD Dr. Dr. Martin KunkelPD Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes-Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 2, 55131 Mainz

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