Gastkommentar

Zwei-Klassenmedizin

„Modernisierung und Wettbewerb, das System bezahlbar machen und patientenfreundlich gestalten“ – so heißt es im Vorwort der „Formulierungshilfe“ für den Reformgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Das hört sich gut an. Vom Inhalt des Gesetzentwurfs allerdings werden diese Forderungen nicht gedeckt.

Rainer Vollmer
Gesundheitspolitischer Fachkorrespondent in Berlin

Im Entwurf für das Gesundheitsmodernisierungsgesetz stehen die Grausamkeiten, die Widerwärtigkeiten wieder einmal zwischen den Zeilen. Zugegeben: Die Zahnärzte können sich ein wenig freuen. Es scheint, als ob sie halbwegs gut berücksichtigt aus der Reform hervor gehen können. Tatsächlich sind aber Veränderungen vorgesehen, die auch auf die Zahnärzteschaft durchschlagen. Denn: Trotz aller anderer Aussagen wird das Gesundheitswesen bürokratischer, für den Patienten so gut wie keine Einsparungen bringen und zu einer eindeutigen Zwei-Klassen-Medizin führen.

Das beginnt bei den vermeintlichen Einsparungen. 23 Milliarden Euro sollten es anfänglich werden. Diese Summe wurde von Woche zu Woche inflationär nach unten getrieben. Derzeit rechnen Regierung und Koalitionsfraktionen nur noch mit 8,5 Milliarden Euro, die zusätzlich in die Kassen der Krankenkassen fließen. Der Versicherte wird der Zahlemann bleiben. Jahrelang hat die SPD weitere Zuzahlungen neben dem Beitrag als Teufelswerk gebrandmarkt. Jetzt werden diese erheblich angehoben, alle Rentner müssen Beiträge zahlen, einige Leistungen verschwinden ganz aus dem Leistungskatalog. Und für das Krankengeld muss der Versicherte die Beiträge allein aufbringen.

Auch die Ausweitung der Bürokratie ist folgerichtig, vor allem in der Medizin, bei den Kollegen der Zahnärzte. Die haben jahrelang die Entwicklung verschlafen. Nun müssen sie alle fünf Jahre die Teilnahme an unabhängigen Fortbildungsveranstaltungen nachweisen, sich rezertifizieren lassen. Sie müssen die Organisationsstruktur der KVen nach dem Primat der Politik verändern, weil sie selbst erst jetzt eigene Vorstellungen über eine Weiterentwicklung der KVen vorgelegt haben. Dass das Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin ein bürokratisches Monster wird, ist bekannt. Aber: Wer zu spät auf notwendige Änderungen reagiert, den bestraft die Politik mit überdrehten Veränderungen.

Das alles wäre noch hinnehmbar. Tatsächlich aber wird mit dem Reformgesetzeswerk von den Sozialdemokraten die Zwei-Klassen-Medizin sanktioniert. Es hat etwas damit zu tun, dass die Ärzteschaft selbst 13 Jahre lang nicht in der Lage war, die Spannungen zwischen Haus- und Fachärzten abzubauen. Letztendlich werden die Zahnärzte mit darunter zu leiden haben. Die Hausarzt-KV wird sanktioniert, die Fachärzte werden langsam aber sicher hinaus gedrängt. Die Krankenkassen sollen für die fachärztliche Behandlung den Sicherstellungsauftrag übernehmen und Einzelverträge abschließen. Im Hausarztsystem darf der Facharzt nur noch auf Überweisung tätig werden. Oder der Patient zahlt 15 Euro Praxis-Straf-Gebühr.

Die Folgen: Der Facharzt wird auf Dauer keine finanzielle Grundlage mehr in freier Praxis haben, wird an die Krankenhäuser abwandern. Oder an neu einzurichtende Gesundheitszentren. Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung – wenig verdienende Arbeitnehmer, Rentner, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose – werden sich in ein Hausarztsystem einschrieben lassen. Sie zahlen dann nur noch die Hälfte der Zuzahlungen für Arzneimittel und Verbandsmaterial und brauchen keine Praxisgebühr zu entrichten. Dafür geben sie die freie Arztwahl auf. Wer ausreichend Einkommen hat, wird diese Knebelungsmasche nicht mitmachen, sondern weiterhin den Arzt seiner Wahl, auch den Facharzt aufsuchen. Und zahlen. Und dann auch als Patient Ansprüche stellen.

Das Ergebnis wird sein, dass sich nur wenige Fachärzte in freier Praxis halten können. Wenn nicht ins Krankenhaus, gehen sie als Angestellte in die neuen Gesundheitszentren. Diese müssen von den Krankenkassen zusätzlich finanziell gefördert werden. Und wenn dann die Gesundheitszentren etabliert sind, wird es über kurz oder lang auch Zahnärzte geben, die dort arbeiten. Und dann sind die Zahnärzte von einer Entwicklung eingeholt, die heute kaum einer erkannt hat, weil das Reformgesetz davon nicht spricht.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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