Wem eine Zinswende schadet

Wenn die Rentenblase platzt

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Im Frühjahr 2000 platzte eine gigantisch aufgeblähte Aktienblase. Als diese Börsenbaisse nicht das erwartete schnelle Ende nahm, flüchteten viele Investoren in einen sicheren Hafen – in festverzinsliche Rententitel. Nun aber droht eine Rentenblase zu platzen.

Wer sich im ersten Halbjahr des Millenniumjahres 2000 eine Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit ins Depot gelegt hatte, kassierte fortan 5,375 Prozent Zinsen. Ein Zinssatz von gut fünf Prozent auf sichere Staatsanleihen der Bundesrepublik Deutschland – das ist so unspektakulär wie der Brotpreis. Aber dennoch: Die Zinsen sanken selbst auf diesem ohnehin schon niedrigen Niveau noch weiter nach unten, bis auf derzeit rund 3,8 Prozent. (Stichtag: Ende März). Der Zinsvorteil von rund 1,6 Prozent zwischen damals und heute gleicht immerhin die deutsche Inflationsrate locker aus. Doch das Schönste am Einstieg in einen Fünf-Prozenter vor drei Jahren ist der beachtliche Kursgewinn dieser börsennotierten Bundesanleihe, der sich in der Zwischenzeit eingestellt hat: elf Prozent.

Lohn der Angst

Der Mechanismus, der diesen Kursanstieg erzeugt, ist schnell erklärt: Wer sich heute bei einer aktuellen Umlaufrendite von 3,8 Prozent für weitere sieben Jahre Zinszahlungen von 5,375 Prozent sichern will, muss für einen Anleihebetrag von 100 Euro 111 Euro zahlen. Das ist der Preis dafür, dass man rund 1,6 Prozent mehr an Zinsen kassieren will, als aktuell bezahlt werden. Man bekommt aber nur auf 100 Euro Zinsen, und am Ablauftag erhält der Anleger nicht die bezahlten 111, sondern nur 100 Euro wieder zurück. Wer die vor drei Jahren gekaufte Bundesanleihe heute verkauft, hat nicht nur im Vergleich zu heute hohe Zinsen kassiert. Er kann auch einen (immer noch) steuerfreien Kursgewinn von elf Prozent realisieren. Und das als Lohn der Angst. Denn Aktieninvestoren verloren während der zurückliegenden drei Jahre, gemessen am Deutschen Aktienindex DAX, knapp 70 Prozent ihres Geldvermögens.   

Aus Sicht der zurückliegenden 20 Jahre ist ein Zinssatz um die fünf Prozent gewiss kein Highlight. Zur Wendezeit Anfang der neunziger Jahre spendierte der Bund noch um die neun Prozent. Und Anfang der achtziger Jahre grassierte die dritte Ölkrise. Der damalige amerikanische Präsident Ronald Reagan türmte zu dieser Zeit mit Zinssätzen bis an die 15 Prozent einen gewaltigen Berg an Staatsschulden auf, um die kommunistische „Welt des Bösen“ tot zu rüsten. Damals lagen auch in Deutschland die Zinsen für Bundesanleihen bei knapp über zehn Prozent – bei einer Inflationsrate von rund acht Prozent.

Wenn festverzinsliche Staatsanleihen teuer sind, ist in der Regel ein simpler Marktmechanismus die Ursache für hohe Zinsen: Das Geld ist knapp, weil Schulden machen angesagt ist. Und wer immer knapper werdendes Geld ausleihen will, muss dafür immer höhere Zinsen bieten.

Seltene Langläufer

Heute hingegen ist reichlich Geld vorhanden. Es stammt großenteils aus (überwiegend verlustreichen) Aktienverkäufen. Es lagert zu Magerzinsen auf Festgeldkonten oder ist in Geldmarktfonds geparkt. Und wenn honorige Staaten wie auch Großkonzerne neue Anleihen auflegen, werden den Emittenten diese Neuemissionen förmlich aus den Händen gerissen. Die Essener RWE beispielsweise oder die Deutsche Telekom AG zu Bonn konnten sich kürzlich erlauben, Industrieanleihen mit 30 Jahren Laufzeit aufzulegen. Und die Investoren begnügten sich für drei Jahrzehnte mit einem Festzins von nur 4,5 Prozent. Selbst diese seltenen Langläufer waren stark überzeichnet, das heißt, die Nachfrage konnte nicht voll bedient werden. Nur weil diese Industrieunternehmen aufgrund ihrer schwächeren Bonität gegenüber einem soliden Staat ein gutes halbes Prozent mehr an Zinsen bieten mussten, waren ihre Festzinstitel so stark begehrt.  

Sich 30 Jahre lang an 4,5 Prozent Zinsen zu binden und diesem Zinssatz auch noch nachzulaufen, diese Hysterie ist vergleichbar den Abzock-Manövern vom Neuen Markt. Wie in den späten neunziger Jahren die Geldanleger viele Börsen-Frischlinge mit Internet-Appeal mit Geld förmlich zuschütteten, so investieren sich heute viele Anleihe-Käufer um Kopf und Kragen, nur weil sie nach marginal höheren Zinsen gieren.

• Vergessen ist, dass eine hoch verschuldete RWE und eine maßlos überschuldete Deutsche Telekom das Kapital der Aktieninvestoren bis auf kleine Kursruinen verbrannten.

• Unbedacht bleibt, dass beispielsweise 10 000 Euro selbst bei einer mageren Inflationsrate von zwei Prozent nach 30 Jahren nur noch rund die Hälfte ihrer ursprünglichen Kaufkraft besitzen.

• Unberücksichtigt bleibt, dass es in 30 Jahren beide Unternehmen womöglich gar nicht mehr geben könnte. Dann nämlich könnte jeder Haushalt seinen Strom aus einem Minikraftwerk mit Brennstoffzellen beziehen. Das Stromnetz der RWE wäre überflüssig. Und womöglich gibt es in 30 Jahren nur noch drahtlose Multimedia-Kommunikation in einem globalen Internet.

Das Telefonnetz der Deutschen Telekom wäre obsolet. Der Umsatzträger von heute läge brach. Vor allem aber trägt eine 30- jährige, niedrig verzinste Festzinsanleihe, ob nun von einer Regierung oder von einem Unternehmen aufgelegt, ein gewaltiges  Kursrisiko in sich. Sollte nämlich nach einer Laufzeit von nur fünf Jahren das Zinsniveau um drei Prozentpunkte angestiegen sein, beträgt der Kursverlust rein rechnerisch knapp 13 Prozent. Sind nach zehn Jahren Laufzeit die Zinsen um drei Prozent über den Emissionssatz gestiegen, steht der Anleger mit rund 21 Prozent im Minus. Ereignet sich dieser Fall nach 20 Jahren, kann der Investor gut 30 Prozent seines Kapitaleinsatzes in den Wind schreiben. Denn bei steigenden Zinsen kehrt sich der Marktmechanismus bei fallenden Zinsen einfach ins Gegenteil um.  

Kursfolter

Einziger Trost: Bei Aktien gibt es Kursverluste, die sich nie mehr aufholen lassen. Bei Anleihen erfolgt im Normalfall zum Laufzeitende eine Rückzahlung des investierten Kapitals zum Kurs von 100 Prozent. Wer jedoch zu einem Niedrigzins in die Kursachterbahn einer lang laufenden Anleihe einsteigt, dem kann es passieren, dass er die Einstiegsebene von 100 Prozent zwischenzeitlich, das heißt für zehn oder auch 30 Jahre, nie wieder sieht. Wer in solchen Zwangslagen keine Verluste realisieren will, sitzt mit seiner Anleihe bis zur 100-prozentigen Rückzahlung gleichsam in einem Anlagegefängnis. Während ein gebeutelter Aktionär nach mehreren aufeinander folgenden Baissejahren zumindest die Chance auf Kurserholung hat, bleibt der im Zinstief gierige Anleihekäufer womöglich dauerhaft „unter Wasser“.  

Fazit: Die Risiken einer Festzinsanleihe sind kalkulatorisch nicht ganz so grausam wie bei Aktien. Dafür aber muss der Renteninvestor in aller Regel viel länger die Folter eines Kursverlustes erleiden als der Aktienkäufer, zumal, wenn er zu einem falschen Zeitpunkt sein Sparkapital an einen Festzins gebunden hat. 

Die Gefahr, dass der Zeitpunkt für Rentenkäufe falsch sein könnte, rückt immer näher. Eine Zinswende wird nicht angekündigt oder gar eingeläutet. Der Markt vollzieht sie in aller Stille. Und wenn eine führende Notenbank, etwa die der USA, den Zinssatz nach vielen Absenkungen erstmals wieder leicht anhebt, ist das nur eine Bestätigung für einen bereits abgefahrenen Trend. 

Es kann sogar noch Folgendes passieren: Um nach einem demoralisierenden Irak-Krieg wieder Laune auf Konsum und Wirtschaftswachstum zu erzeugen, senkt das US-Federal Reserve Board die Leitzinsen um ein weiteres halbes Prozent auf 0,75 Prozent. Die Europäische Zentralbank folgt und senkt aus dem gleichen Grund den Zinsmaßstab von derzeit 2,5 auf zwei Prozent. In Wirklichkeit aber ist längst Feuer unterm Zinsdach ausgebrochen.

Danach sieht es derzeit aus. Denn nicht nur die marktaktuelle Rendite ist am Rentenmarkt eine entscheidende Größe, sondern vor allem der so genannte Realzins. Er errechnet sich aus der aktuellen Marktrendite minus Inflationsrate. Was danach übrig bleibt, ist die reale, echte Rendite. Die kann freilich gegen Null tendieren, wenn der Nominalzins, der als Zinseinnahme in Form von Geld kassiert wird, auch noch hoch versteuert werden muss.

Ein Beispiel: Zehnjährige Bundesanleihen bringen derzeit knapp vier Prozent Zinsen. Nach einer Versteuerung dieses Ertrags zum Höchststeuersatz verbleiben rund zwei Prozent netto. Das ist aber noch nicht die Realrendite. Wird hiervon auch noch die amtliche, aktuelle Euro-Inflationsrate von 2,3 Prozent abgezogen, ergibt sich ein realer Vermögensverlust.

Minizinsen

Mit anderen Worten: Wer heute Bundesanleihen nachläuft, also dem Bundesfinanzminister sein Sparkapital zu Minizinsen anvertraut, um es am Aktienmarkt womöglich vor Verlust zu schützen und wenigstens noch vier Prozent zu verdienen, verliert in Wirklichkeit Geld. Wenn ein Rentenmarkt, der im langen Durchschnitt mit einer Realverzinsung von immerhin gut drei Prozent aufwarten kann, jetzt die Wasserscheide zum Minus überschreitet, wird es kritisch. 

Das heißt: Der Rentenmarkt ist überspannt, die Rentenblase kann platzen. Denn: Kluge, gut informierte und entschlossene Rentenanleger realisieren, sofern vorhanden, jetzt ihre Kursgewinne. Die nämlich drohen nach einer Zinswende zu schmelzen wie Schnee in der Sonne.

Die Anleger, die rechnen können, geben bestehende, unrentabel gewordene Festzins-Engagements auf und halten bei Neuemissionen die Taschen zu. So wird verfügbares Sparkapital knapp und immer knapper. Es kann nur noch zu höheren Zinsangeboten locker gemacht werden. Die Zinsen steigen. Und wenn sie einmal steigen, dann gewöhnlich für lange.  

Und danach sieht es derzeit aus. Als am 20. März der Irak-Krieg begann, brachen weltweit die Aktienbörsen in Jubel aus. Sie spekulierten auf ein schnelles Ende und den damit verbundenen Konjunkturumschwung. Zugleich aber sprangen, mehr oder minder hinter den Kulissen, weltweit in einem Satz die Zinsen für gut bonierte Staatsanleihen um gut 25 Basispunkte (0,25 Prozent) in die Höhe. Der Hintergrund: Die Amerikaner müssen diesen Krieg bezahlen. Er dürfte zwischen 90 und 200 Milliarden US-Dollar kosten. Mit allen Folgekosten könnte er im Extremfall mit bis zu zwei Billionen USDollar zu Buche schlagen.  

Dabei sind die Vereinigten Staaten von Amerika bereits hoch verschuldet. Allein das Haushaltsdefizit schlägt derzeit rund 320 Milliarden Dollar zu Buche. Beim Amtsantritt von Präsident George W. Bush im Januar 2001 waren noch gut 200 Milliarden Dollar Überschuss in der Staatskasse. Der bisherige Rekord ist mit dem aktuellen Defizit gebrochen. Er lag 1992 (als Präsident Bush senior wegen seiner erfolglosen Wirtschaftspolitik abgewählt wurde) bei 290 Milliarden Dollar. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt von gigantischen 10,4 Billionen Euro (das ist die Gesamtleitung der amerikanischen Volkswirtschaft) beläuft sich das Defizit auf über drei Prozent. Damit stünde auch das stolze Amerika (wie Deutschland und Frankreich) auf der Ächtungsliste der Europäischen Zentralbank EZB. Denn nach dem Stabilitätspakt von Maastricht fördert ein Staatsdefizit von über drei Prozent den Zinsauftrieb und damit die Inflation. Es muss daher abgemahnt und bestraft werden.  

Nun weiß alle Welt: Die unvergleichlich mächtige Wirtschaftsnation USA, fast dreimal so stark wie Japan und fünfmal so groß wie Deutschland (um nur den Zweit- und Drittplatzierten auf der Größenskala der internationalen Volkswirtschaften zu nennen), ist der Schrittmacher bei so wichtigen Wirtschaftsfaktoren wie Konjunktur-, Zins- oder Aktientrends. Und wenn der amtierende, für Wirtschaftsfragen nicht sonderlich aufgeschlossene US-Präsident George W. Bush auch die eingeplante Steuerreform auf Pump finanzieren will, dann provoziert er ein Staatsdefizit von über zehn Prozent. Das heißt: Auf 100 Dollar volkswirtschaftliche Leistung entfallen 10 Dollar Staatsdefizit – den Irak-Krieg mit seinen Folgekosten noch außen vor gelassen. Ein unvorstellbarer Fall von Misswirtschaft, der seinen Preis fordern wird: Massiv steigende Zinsen.

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