SPD-Parteitag

Klares Votum für die „Bürgerversicherung”

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Der Ordentliche Bundesparteitag der SPD (vom 17. bis 19. November im Kongresszentrum zu Bochum) hat sich im Leitantrag fast einstimmig (lediglich eine Gegenstimme) für eine grundlegende Erneuerung der Sozialleistungssysteme auf der Basis des Modells der Bürgerversicherung ausgesprochen. Nach diesem Modell sollen alle Bürger – künftig also auch Beamte, Angehörige der Freien Berufe und Selbstständige – der gesetzlichen Versicherungspflicht sowohl in der gesetzlichen Kranken- als auch in der Rentenversicherung unterworfen werden. Zugleich soll dem Beschluss zufolge geprüft werden, wie neben den Erwerbseinkommen auch andere Einkommensarten bei der GKV-Finanzierung berücksichtigt werden müssen.

Der Parteitag änderte mit 187 zu 136 Stimmen den Vorstandsbeschlussantrag und die Empfehlungen der Antragskommission ab, sodass nicht mehr das Ob, sondern vielmehr nur noch das Wie der Einbeziehung anderer Einkunftsarten geprüft werden soll. Die SPD ließ offen, ob neben der Einkunftsart unselbständige Tätigkeit künftig auch Kapitalerträge, beispielsweise Zinsen, sowie Mieten und Pachten, und andere Einkunftsarten der Erhebungspflicht unterworfen werden sollen. Der Beschluss stellt klar, dass es nicht nur um eine Erweiterung der Versicherungspflicht und um eine Erhöhung beziehungsweise völlige Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung gehen soll, sondern vielmehr auch die gewachsenen Strukturen auf den Prüfstand der Reform gehoben werden sollen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte vor den 517 Delegierten, bei allen wichtigen innenpolitischen Reformvorhaben einen offenen Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen zu eröffnen – die Selbständigen und Freien Berufe hatten im SPD-Parteitagsplenum aber keine Lobby. Die Beschlüsse zur Renten- und Gesundheitsreform sowie zur Steuerreform zielen eindeutig gegen die Interessen der Freien Berufe und Selbstständigen, führen zu einer erneuten spürbaren Belastung. Die SPD war darum bemüht, sich künftig nicht nur als bloße Umverteilungspartei und als Interessenwahrer der „kleinen Leute“ zu gerieren. Nachhaltige Investitionen in die Bereiche Bildung, Familie und Soziale Sicherungssysteme seien lohnend. Dies sei eine entscheidende Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe. Die SPD baut unverändert auf einen starken, aber zunehmend schlanker werdenden Staat.

„Zukunftsprogramm Gesundheit“

Die Delegierten forderten ein „Zukunftsprogramm Gesundheit“, dem die Sozialdemokraten ihren Stempel aufdrücken müssten. Kanzler Schröder und der Bundeswirtschafts- und -arbeitsminister Wolfgang Clement warben dafür, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu verbessern und die Bildungsressourcen in einem rohstoffarmen Industrieland wie der Bundesrepublik Deutschland zu mobilisieren. Kurzfristig müssten die Kassenbeiträge um mindestens zwei Prozentpunkte gesenkt und der Rentenversicherungsbeitrag trotz dramatischer Demografiekomponente stabil gehalten werden.

Die Partei tut sich immer noch schwer mit einem von den Linken geforderten raschen Umbau der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und mittelfristig auch der Pflegeversicherung. Es gäbe für einen völligen Neuentwurf weder einen Anlass noch die finanziellen Möglichkeiten. Der mit nur 52,8 Prozent wiedergewählte Generalsekretär der Partei, Olaf Scholz, Hamburg, sagte, eine Steuerfinanzierung der Sozialversicherung sei nicht finanziell darstellbar. Zu einem aus dem Ruder laufenden Staatshaushalt kämen noch weitere 350 Milliarden Euro je Jahr hinzu, wenn die Finanzierungslast der Sozialversicherung auf die Steuer gepackt würde. Für die SPD gibt es zum Modell Bürgerversicherung als Reformoffensive zumindest für die Kranken- und Rentenversicherung keine praktikable Alternative. Der Weg in eine Privatisierung sei der falsche Weg. Eine Umstellung sei finanziell nicht darstellbar. Die SPD sagte dem Kopfprämienmodell à la Herzog-Kommission oder des Sachverständigen Rürup nach, es führe direkt in eine Zweiklassenmedizin, die die Einkommensschwachen vom medizinischen Fortschritt abkoppele und die Höherverdienenden und Reichen bevorteile. Bundesgesundheits- und Sozialministerin  Ulla Schmidt mahnte: Medizinisch notwendige Leistungen müssten auch in Zukunft unabhängig vom Einkommen und vom Alter allen Bürgerinnen und Bürgern zukommen und solidarisch gesichert werden.

Im Grunde ist das Bürgerversicherungsmodell, das auch von dem Ulla Schmidt-Berater Prof. Karl W. Lauterbach, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität Köln, entwickelt wurde, die Fortsetzung der Forderungen von Rudolf Dressler, dem früheren SPD-Parteivorstandsmitglied und Chefsozialpolitiker der Sozialdemokraten. Die SPD will die Bürgerversicherung mit einer erweiterten Bemessungsbasis für die Beiträge auch dadurch neu positionieren, dass die Beitragsbemessungsgrenze in der GKV angehoben wird – möglichst auf das Niveau der Rentenversicherung. Nur mit knapper Mehrheit setzte sich die Parteispitze in ihrem Votum durch, am wettbewerblichen Nebeneinander von gesetzlichen Krankenkassen und privater Krankenversicherung festzuhalten. Wenn schon die privaten Versicherungen toleriert werden sollen, so sollen sie sich einem offensiven Wettbewerb stellen. Schröder mahnte, hier keinen Konfrontationskurs zu steuern.

Anbietermonopole aufheben

Mit kartellähnlichen Strukturen im Gesundheitswesen will sich die SPD nicht weiter abmühen. „Anbietermonopole”, wie die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, müssten aufgehoben werden, heißt es im Beschluss. Während die SPD-Linke für einen raschen Übergang zur Bürgerversicherung eintrat, legten sich Schröder und Scholz dagegen auf ein behutsames Vorgehen fest, denn jetzt dürfe „kein Fehler mehr passieren”. Es müsse der Weg festgelegt werden, der beschritten werden solle. Evident ist für die SPD, dass auch die private Krankenversicherung in den umlagefinanzierten Solidarausgleich und in den Risikostrukturausgleich einbezogen werden müssten. Ulla Schmidt forderte, dass in der privaten Krankenversicherung künftig die Alterungsrückstellungen bei einem Versicherungswechsel dem Versicherten mitgegeben werden sollten. Der Parteitag empfahl eine stufenweise Ausweitung der Rentenversicherungspflicht auf alle Erwerbstätigen, also auch auf die Selbstständigen und freien Berufe. Die eigenfinanzierten und nicht steuersubventionierten Alterseinrichtungen der freien Berufe („Altersvorsorgewerke”) müssten in die gesetzlichen Alterssicherungssysteme überführt werden. Die Ausdehnung der Gewerbesteuerpflicht auf die freien Berufe, die der Parteitag für richtig hält, ist so gut wie beschlossen. Die Selbstständigen und Freiberufler wurden gebrandmarkt, sie könnten fast alle Betriebsausgaben ohnedies von der Einkommensteuer absetzen und trügen nicht solidarisch zum Steueraufkommen bei.

Dr. rer. pol. Harald CladeKreuzstraße 5650226 Frechen

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