Zum Beschluss des Europäischen Gerichtshofs im Oktober 2003

Europarecht rettet den deutschen „Zahnarzt“

Die Zahnarztrichtlinien der Europäischen Union (EU) beinhalten einen Ausbildungsplan und eine Beschreibung des Tätigkeitsbereiches des Zahnarztes. Das ist einmalig – und dieser Umstand rettet jetzt die Bezeichnung „Zahnarzt" in Deutschland. Seit 1952 war nämlich eine unklare Formulierung im Zahnheilkundegesetz (ZHG) zwar einmütig gemäß dem ursprünglichen Sinn und zwecks Abgrenzung gegenüber staatlich anerkannten Dentisten so ausgelegt worden, dass sich nur jene Mediziner „Zahnarzt“ nennen durften, die die zahnärztliche Approbation erworben hatten. Doch im April 2001 ging ein Ruck durch die Zahnärzteschaft: Ein Verwaltungsgericht gestand einem approbierten Arzt unter anderem zu, die Bezeichnung „Zahnarzt“ zu führen. Jetzt hat der Oberbundesanwalt dem Prozess die entscheidende Wendung gegeben.

Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 5. April 2001 schreckte die Zahnärzte auf: Der gegen die Zahnärztekammer klagende Arzt dürfe die Zahnheilkunde dauernd ausüben und sich als „Zahnarzt“ bezeichnen. Das Gericht begründete sein Urteil darauf, dass an der entscheidenden Stelle im Gesetzestext von 1952 neben der zahnärztlichen auch die ärztliche Approbation erwähnt wird. Die Reaktion der Zahnärzte ließ nicht lange auf sich warten: Das sei eine grobe Irreführung der Patienten, Ärzte dürften nur in Notfällen Zahnkrankheiten behandeln (siehe zm 2001, Nr. 23, Seite 8).

Beigelegter Streit wieder aufgeflammt

Den Streit darüber, ob sich ein Arzt „Zahnarzt“ nennen dürfe, glaubte man ein für allemal erledigt. Beim Zustandekommen des ZHG 1952 hatte sich eine Gruppe von zahnärztlich und ärztlich Approbierten dagegen gewehrt, dass staatlich anerkannte Dentisten Zahnärzte mit allen Rechten und Pflichten werden sollten und gar argumentiert, nach dem neuen Gesetz dürften sich Ärzte „Zahnärzte“ nennen. Nach dem vor dem ZHG geltenden Recht durften sie es nicht. Die Ärztegruppe handelte wohl aus Verärgerung darüber, dass sie sich mit ihrem Widerstand gegen das Gesetz nicht durchsetzen konnte. Die Berechtigung des Arztes zur Führung der Bezeichnung als Zahnarzt leiteten die Gegner des ZHG daraus ab, dass, wer die Zahnheilkunde dauernd ausüben will, nach § 2 Absatz 1 Satz 1 einer Approbation als Zahnarzt „oder als Arzt“ bedarf, und im nächsten Satz steht: Die Approbation berechtigt zur Führung der Bezeichnung als „Zahnarzt“. Im Satz 2, so die Argumentation, beziehe sich „Approbation“ sowohl auf die zahnärztliche als auch auf die ärztliche Approbation.

Das wurde als Wortklauberei und Winkeladvokatentum abgetan. Satz 2 spreche nur von einer Approbation, und damit könne nur die Approbation nach dem ZHG gemeint sein. Vor allem aber schließe der Sinnzusammenhang aus, aus der ärztlichen Approbation die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung als Zahnarzt abzuleiten. Im ZHG sei an verschiedenen Stellen die Rede von der Approbation ohne Zusatz, womit immer nur die Approbation als Zahnarzt gemeint sei. Wie sich der Arzt bezeichnen dürfe, stehe in den für Ärzte maßgeblichen Gesetzen. So deutlich drückte sich Dr. Friedrich Koch, damals Ministerialrat im Bundesministerium des Innern, der maßgeblich am Zustandekommen des ZHG beteiligt war, in seinem 1955 erschienenen Kommentar „Das Berufsrecht der Zahnärzte“ aus. Danach herrschte 50 Jahre lang Friede. Ärzte enthielten sich der Ausübung der Zahnheilkunde, abgesehen von gelegentlichen Not- und Ausnahmemaßnahmen in der guten Erkenntnis, dass ihnen die ärztliche Ausbildung nicht die für die Ausübung der Zahnheilkunde erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt.

2001 wurde der Friede durch das Darmstädter Urteil jäh zerrissen, ohne dass das Verwaltungsgericht sich vertieft mit der Materie beschäftigt hätte. Dem Gericht genügten seine philologischen Kenntnisse, um aus den Worten „Approbation als Zahnarzt oder als Arzt“ und „ ... bedarf der Approbation“ abzuleiten, gemeint seien beide Approbationen.

Zum Bundesverwaltungsgericht

Natürlich legte die Zahnärztekammer Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein, und zwar sowohl gegen die Feststel-lung, der Arzt sei zur dauernden Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt als auch gegen die weitere, er dürfe sich als Zahnarzt bezeichnen.

Man durfte erwarten, dass das Bundesverwaltungsgericht sich nicht mit philologischen Spitzfindigkeiten (sind zwei oder einer gemeint, wenn man nach „oder“ mit einem fortfährt?) abgeben, sondern den Sinnzusammenhang erforschen und dem Arzt nicht erlauben werde, sich Zahnarzt zu nennen. Weniger sicher war die Erwartung, es werde aussprechen, der Arzt dürfe nicht die Zahnheilkunde ausüben, da steht doch klipp und klar im Gesetz steht, dass er es darf.

Wer geglaubt hatte, das Bundesverwaltungsgericht werde es bei dem 50-jährigen Frieden belassen, dem Arzt die Bezeichnung als Zahnarzt versagen und seine Berechtigung zur Ausübung der Zahnheilkunde nicht in Frage stellen, sah sich enttäuscht. Man hätte mit der Entscheidung, der Arzt dürfe sich nicht Zahnarzt nennen, leben können, denn ohne diesen Ausweis gegenüber der Öffentlichkeit hätte er ohnehin nicht generell die Zahnheilkunde ausüben können.

Aber das Bundesverwaltungsgericht wollte ganz anders entscheiden: Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei in vollem Umfang zu bestätigen, das heißt: Der Arzt dürfe sich Zahnarzt nennen und unter dieser Bezeichnung die Zahnheilkunde ausüben. Diese Auffassung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts zeigt wieder einmal, dass Gerichtsverfahren eine enge Verwandtschaft zum Glücksspiel haben.

Das entscheidende Argument

Aber wie ein deus ex machina kam der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht ins Spiel. Er ist dazu bestellt, das öffentliche Interesse in Gerichtsverfahren, die sich sonst meistens ohne ihn nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits abwickeln, zur Geltung zu bringen. Er stellte nicht in Frage, dass ein Arzt gelegentlich die Zahnheilkunde ausüben darf. Infrage stellte er aber, ob der Arzt das generell tun dürfe. Der klagende Arzt hatte zwar nur die Feststellung verlangt, dass er, wie das Gesetz sagt, dauernd tätig sein dürfe. Er hatte aber mit seinem Verlangen, sich als Zahnarzt bezeichnen zu dürfen, zu erkennen gegeben, dass er die Ausübung zu seinem Beruf machen, also generell die Zahnheilkunde ausüben wollte. Das Berufsrecht des Arztes steht dem nach Meinung des Oberbundesanwalts entgegen. Er dürfe auf dem Gebiet der Zahnheilkunde nur die Tätigkeiten ausüben, die er nach seiner Ausbildung beherrsche. Die Ausbildung als Arzt vermittele aber nicht die Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur generellen Ausübung der Zahnheilkunde erforderlich sind.

Hatte das Bundesverwaltungsgericht das nicht bedacht, als es zu erkennen gab, das Urteil des Verwaltungsgerichts bestätigen zu wollen?

Der Zahnarzt in Europa

Der Oberbundesanwalt brachte außer Argumenten aus dem innerdeutschen Recht aber nach Europarecht ins Spiel: „Insbesondere die Anerkennung von Diplomen aus dem Europäischen Wirtschaftsraum beruht darauf, dass sich die Mitgliedstaaten auf inhaltliche Mindestanforderungen für die jeweilige Ausbildung geeinigt haben (vgl. Artikel 1 der Richtlinie 78/687/ EWG) ... Ein Studium der Medizin, das nicht die spezifischen zahnärztlichen Inhalte aufweist, kann somit nicht als gleichwertig anerkannt werden ... Daraus ergibt sich, dass systemgerecht § 1 Abs. 1 Satz 1 so auszulegen ist, dass eine Approbation als Arzt nicht zur umfassenden zahnärztlichen Berufstätigkeit berechtigt.“

Zu diesen Ausführungen konnte es kommen, weil in den Zahnarztrichtlinien der EU ein Ausbildungsplan und eine Beschreibung des Tätigkeitsbereichs des Zahnarztes enthalten sind. Das ist einmalig. In keiner anderen Richtlinie finden sich ein Ausbildungsplan und eine Beschreibung des Tätigkeitsbereichs. Es hat sich bezahlt gemacht, dass der Zahnärztliche Verbindungsausschuss zur EU hierauf bestanden und die Vorarbeit hierfür geleistet hat, nicht zuletzt nach dem Vorbild des deutschen ZHG. Die von der BZÄK gestellten Vertreter im Verbindungsausschuss und der von der EU-Kommission herbeigezogene deutsche Sachverständige hatten einen wesentlichen Anteil daran, dass die Richtlinien eine den Interessen der Zahnärzte entsprechende Form gefunden haben.

„Dauernd” oder „generell”

Die Intervention des Oberbundesanwalts führte dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorlegte, ob es mit EURecht vereinbar sei, dass Ärzten generell die Ausübung der Zahnheilkunde gestattet werde, ohne dass diese über die in der EURichtlinie geforderte und durch ein entsprechendes Diplom nachgewiesene zahnärztliche Ausbildung verfügen. Das Bundesverwaltungsgericht ersetzte die Frage, ob der klagende Arzt dauernd zur Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt sei, durch die die vom Oberbundesanwalt gefundene Frage nach der generellen Tätigkeit.

Die beklagte Zahnärztekammer hatte vorgetragen, der Arzt sei nach EU-Recht überhaupt nicht zur dauernden Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt. Offensichtlich setzte sie dauernd und generell gleich. Das ist aber nicht gleich. Dauernd kann man auch gelegentlich Teile der Zahnheilkunde ausüben, wie der Arzt, wenn er eine Untersuchung des Kauorgans vornimmt und nach Nr. 6 seiner Gebührenordnung abrechnet (Vollständige körperliche Untersuchung mindestens eines der folgenden Organsysteme: ... das stomatognathe System ...).

Auch das ist Ausübung der Zahnheilkunde im Sinne des ZHG, zählt doch nach § 1 Abs. 3 ZHG auch die Feststellung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten zu ihrer Ausübung. Nach § 6 der Gebührenordnung für Ärzte dürfen Chirurgen und Hals-Nasen-Ohrenärzte Leistungen nach der Gebührenordnung für Zahnärzte abrechnen, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit stehen, etwa Entzündungen im Mund behandeln oder kranke Kiefer operieren, und sie dürfen das dauernd tun.

Haltung der Ärztekammer

Weil das infrage stünde, wenn man die dauernde Tätigkeit verbieten würde, hat die zum Rechtsstreit beigeladene Ärztekammer die Abweisung der Klage nur insoweit beantragt, als es um die Bezeichnung als Zahnarzt ging. Sie blieb aber auf der Linie, auf der der Friede zwischen Ärzten und Zahnärzten hergestellt worden war. Der klagende Arzt hatte für den Fall, dass ihm die Bezeichnung „Zahnarzt“ nicht gestattet werde, den Hilfsantrag gestellt, eine Bezeichnung führen zu dürfen, die erkennen lasse, dass er zur Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt sei. Das wollte auch die Ärztekammer nicht dulden und forderte Abweisung dieses Antrags. Sie gab damit zu erkennen, dass sie den Arzt zwar zur dauernden, nicht aber zur generellen, gegenüber der Öffentlichkeit als Beruf ausgewiesenen Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt hält. Ihr war offensichtlich klar, dass das Wort „dauernd“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 nur gebraucht ist, um eine Abgrenzung gegenüber der „vorübergehenden“ Ausübung vorzunehmen, für die nach Satz 3 eine jederzeit widerrufliche Erlaubnis genügt. Klar war ihr offensichtlich auch, dass die Worte „Ausübung der Zahnheilkunde“, für die man eine Approbation oder Erlaubnis braucht, nicht nur die generelle Tätigkeit, sondern auch die einzelne Behandlungsmaßnahme erfasst. So macht sich ein Zahntechniker strafbar, wenn er Zahnersatz eingliedert, auch wenn er das nur im Einzelfall tut, ohne es zu seinem Beruf zu machen.

Stomatologen in Europa

Mit dem Verbot genereller Ausübung scheint nicht vereinbar zu sein, dass „Stomatologen“ tätig sein können. Als „Stomatologen“ bezeichnet die Ärzterichtlinie 93/16/EWG Fachärzte ohne zahnärztliches Diplom mit einer dem EU-Recht entsprechenden dreijährigen Weiterbildung. Mit dieser Weiterbildung erhalten sie aber eine gesetzlich geregelte Weiterbildung, so dass sie nicht mit Ärzten ohne eine solche Weiterbildung verglichen werden können. Eine selbstbeschaffte Bildung ohne die gesetzlichen Garantien, wie sie sich der Kläger angeblich verschafft hatte, genügt nicht.

Endlich Klarheit

Die Ausführungen des Oberbundesanwalts veranlassten das Bundesverwaltungsgericht, die Sache dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Er sollte klären, ob EU-Recht eine nationale Regelung zulässt, die Ärzten ohne die in der Zahnarzt-Richtlinie geforderte und durch ein entsprechendes Diplom nachgewiesene zahnmedizinische Ausbildung generell die dauernde Ausübung der Zahnheilkunde gestattet. Der Gerichtshof hat die Frage mit Beschluss vom 17. Oktober 2003 ohne jedes Wenn und Aber verneint. „Die Richtlinie 78/687/EWG ... zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes ... ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die Ärzten, die nicht die nach Artikel 1 der Richtlinie erforderliche Ausbildung absolviert haben, generell die Tätigkeiten des Zahnarztes gestattet; dies gilt unabhängig davon, unter welcher Bezeichnung die Tätigkeiten ausgeübt werden“, lautet der Tenor des Beschlusses. Man kann dies als ein grundlegendes Urteil über die Rechtsstellung des Zahnarztes in den Ländern der EU ansehen, in seiner Bedeutung vergleichbar dem Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs vom 20. Mai 1958 (zm 1958 Seite 564), mit dem dieser die Ausübung der Zahnheilkunde, insbesondere die Prothetik, allein den Zahnärzten vorbehielt, was auch nach dem In-Kraft-Treten des ZHG noch bestritten worden war.

Die deutschen Zahnärzte können der EU-Kommission, die die Zahnarzt-Richtlinien nach guter Kooperation mit dem Zahnärztlichen Verbindungsausschuss und seinen deutschen Mitgliedern vorgeschlagen hat, dem Rat der Union, der sie entsprechend der Vorlage beschlossen hat und dem Europäischen Gerichtshof, der sie vorzüglich ausgelegt hat, nur dankbar sein. Das Bundesverwaltungsgericht wird nun im Sinne des Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs den Rechtsstreit abschließen. Das Bundesverwaltungsgericht hat erklärt, wenn der Europäische Gerichtshof zu dem Ergebnis komme, dass § 1 Absatz 1 ZHG mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei, so könnte und müsste dem durch eine gemeinschaftskonforme Auslegung dieser Bestimmung Rechnung getragen werden. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts Darmstadt und die vom Bundesverwaltungsgericht angedeutete Auffassung, der Arzt dürfe generell die Zahnheilkunde ausüben und sich Zahnarzt nennen, lässt sich mit EU-Recht nicht vereinbaren; die Gerichte müssen zu der wohlbegründeten Auffassung, der Arzt dürfe sich nicht Zahnarzt nennen, zurückkehren. Einen Antrag, aus dem zu erkennen ist, dass ein Arzt generell die Zahnheilkunde als Beruf ausüben will, müssen sie abweisen. Der Wortlaut des ZHG steht dem nicht entgegen.

Dr. Heribert PohlEuskirchener Straße 950937 Köln

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