Europäischer Gesprächsabend in Brüssel

Alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden

Im Spannungsfeld zwischen Gemeinwohl und Binnenmarkt stecken die Freien Berufe in Europa. Ein Gesprächsabend von Ärzten, Zahnärzten und Apothekern mit Politikern in Brüssel zeigte: Wer sich von alten Denkmustern trennt, gewinnt gute Chancen, die europäische Gesundheitspolitik aktiv im freiberuflichen Sinne mitzugestalten.

Die Latte der Handlungsfelder im Gesundheitswesen auf europäischer Ebene ist lang, wie Gastgeber Folker Schreiber, Leiter der NRW-Landesvertretung bei der EU anlässlich eines gemeinsam von Ärzten, Zahnärzten und Apothekern am 2. März in Brüssel organisierten Gesprächsabends skizzierte. Im Prinzip gehe es darum, an der Konvergenz der Gesundheitssysteme mitzuarbeiten und das Spannungsverhältnis zwischen Binnenmarkt und Gemeinwohl aufzuheben. „Wir müssen die europäische Gesundheitspolitik selbst gestalten und steuern“, appellierte er sowohl an die Politik wie auch an die Selbstverwaltung.

Dass europäische Gesundheitspolitik zunehmend in nationale Systeme eingreift, wird immer deutlicher. Der Gesprächsabend in Brüssel, organisiert von den Spitzenvertretern von Ärzten, Zahnärzten und Apothekern, trägt der Tatsache Rechnung, dass auf europäischer Ebene ein gemeinsames Vorgehen sinnvoll und wirksam ist. Denn: Allianzenbildung ist gefragt, will man bei den EU-Institutionen Gehör finden. Der Zulauf zum Abend tat kund, dass die Organisatoren mit ihrer Themenwahl ins Schwarze getroffen hatten. Rund 80 Repräsentanten aus der europäischen Gesundheitspolitik, aus Kommission und Parlament, aus der Welt der Heilberufe wie auch der Freien Berufe waren zusammengekommen, um gemeinsam zu diskutieren und sich angesichts aktueller Ereignisse auszutauschen. Im Mittelpunkt standen vor allem:

• der neue Vorschlag zur Dienstleistungsrichtlinie der EU-Kommission (siehe Kasten),

• die Diskussionen um Wettbewerb und Binnenmarkt und die Rolle der Freien Berufe darin.

Beide Themen sollten zwar getrennt untersucht werden, werden aber de facto immer wieder vermischt. Dies machte Dr. Michael Frohn, Fachbeamter der EU-Kommission, deutlich, der an der Erarbeitung des Richtlinienentwurfs maßgeblich beteiligt war. Bei dem ersten Block gehe es um die Erleichterung grenzüberschreitender Dienstleistungen und den Abbau staatlicher Behinderungen. Beim zweiten Block gehe es um die Überarbeitung nationaler Berufsregeln in den Mitgliedsstaaten, die aus Sicht der Kommission wettbewerbsbehindernd seien.

Tradierte Strukturen überdenken

Alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden – dieses Votum zog sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung und wurde auch Prof. Dr. Ulrich Becker, Dozent für ausländisches und internationales Sozialrecht und Direktor am Max-Planck-Institut in München, in seinem Gastvortrag betont: „Der Zugriff des Wettbewerbs dient dazu, tradierte Strukturen zu überdenken.“ Hier seien die Mitgliedstaaten gefordert, gemeinsam nachzudenken. Für die Freiberufler müsse dies zum Schaden nicht sein.

Becker sieht die Freien Berufe in einem Spannungsfeld zwischen Regulierung und dem Binnenmarkt. Felder nationaler Regulierung gerieten als potentielle Hindernisse der Marktentfaltung fast zwangsläufig in Konflikt mit den europäischen Binnenmarktregeln. Bei der Bestimmung möglicher Konflikte sei nach Art der Beschränkungen zu unterscheiden, insbesondere zwischen Marktzugang und Marktverhalten. Gegenüber einer Besonderheit bei den Freien Berufen, nämlich der Autonomie von Berufskammern, sei das Gemeinschaftsrecht weitgehend „blind“.

Zur Ausmessung des Spannungsfeldes sei es erforderlich, dass sich die Freien Berufe verschiedenes vor Augen führten: Marktfreiheiten einerseits und Regelungen für Freie Berufe andererseits seien auf unterschiedlichen Ebenen verankert, ohne dass diese austauschbar wären. Die Besonderheiten der Freien Berufe gingen nicht vollständig in den Sonderregeln für bestimmte öffentliche Einrichtungen auf.

Große Sorge

„Der Grund, weshalb wir uns hier zusammengefunden haben, ist eine große Sorge“, sagte der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Wolfgang Sprekels, und richtete seinen Appell an die EU-Politik (siehe auch den Leitartikel in diesem Heft). „In Brüssel haben Politiker und Beamte aufgrund übergeordneter Sichtweisen einen Prozess in Gang gesetzt, der irreparable Kollateralschäden an bestehenden und sinnvollen Strukturen verursachen könnte.“ Wenn insbesondere aus der Generaldirektion Wettbewerb den Freien Berufen eine viel zu hohe Regelungsdichte, ein überbordendes Regulierungsniveau und kartellrechtlich problematische berufsständische Organisationsstrukturen und Gebührenordnungen unterstellt werden, so werde dies dem Zweck und der Sinnhaftigkeit der Kammern in Deutschland nicht gerecht. Sprekels wies darauf hin, dass das deutsche Modell einer freiberuflichen Selbstverwaltung dem von der EU geforderten Prinzip der Förderung demokratischer Partizipation in geradezu idealtypischer Weise entspreche. Sein Wunsch an die EU-Politiker: „Ziehen Sie die Heilberufler zur Lösung von Problemen hinzu!“ Hans-Günter Friese, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, vertrat die Auffassung, dass gerade im Wettbewerbsbereich die Gemeinwohlverpflichtungen der Heilberufe bei der Beurteilung von angeblichen Wettbewerbshindernissen eine angemessene Berücksichtigung finden müssten. „Die national gewachsenen Strukturen stellen fein austarierte Systeme dar, die einen Ausgleich der verschiedenen Interessen – Markt und Gemeinwohl – ermöglichen.“ Hier müsse man bei einer Bewertung eher ganzheitlich vorgehen und nicht lediglich Einzelaspekte herausgreifen. Die deutschen Apotheker akzeptierten ihre Rolle im Binnenmarkt und füllten diese auch aus. Sie forderten aber, ihre Tätigkeit weiter als freien Heilberuf ausüben zu können.

Soziale Dimension

„Gesundheitsversorgung ist mehr als ein Geschäft“, betonte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe.

„Es ist wesentlich, die soziale Dimension der Staatengemeinschaft endlich anzuerkennen.“ Die Kommission liege falsch, wenn die gesundheitliche Versorgung nur als Marktsegment betrachtet und die soziale und individuelle Dimension außer Acht gelassen werde. „Wir Ärzte sind keine Gewerbetreibende, wir haben keine Kunden, an denen wir Wertschöpfung betreiben“. Hoppe plädierte für eine gesunde Rolle der Selbstverwaltung, das heißt Selbstregulation durch Engagement in Körperschaften des Öffentlichen Rechts. Diese Dimension der Partizipation sei auf europäischer Ebene noch nicht ganz verstanden worden.

Der CDU-Europaabgeordnete und rechtspolitische Sprecher der EVP-ED-Fraktion im Europäischen Parlament, Klaus-Heiner Lehne (siehe auch das Interview in zm 3/2004, Seite 18), stärkte den Freiberuflern den Rücken. Das Europäische Parlament hatte sich vor kurzem in einem Entschließungsantrag zur Rolle der Freien Berufe ausgesprochen und hierbei äußerst positive Aussagen zur Schaffenskraft des Berufsstandes getätigt. Was die neue Dienstleistungsrichtlinie angehe, dürfe man die Freien Berufe nicht behandeln wie den Supermarkt um die Ecke, sondern man müsse deren soziale Funktion berücksichtigen, meinte Lehne. Es sei erforderlich, nationale Berufsordnungen hinsichtlich deren Liberalisierung auf den Prüfstand zu stellen. Es gebe durchaus verzichtbare Regelungen. Hier gelte es, alte Zöpfe abzuschneiden.

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