Stammzellen aus Milchzähnen machens möglich
Als der Bonner Wissenschaftler Prof. Dr. Oliver Brüstle als einer der ersten in der Bundesrepublik seine dokumentierten Ergebnisse der Stammzellforschung öffentlich machte, ging ein Aufschrei durch die Medien und durch die Bevölkerung. Kirche, Politiker und Wissenschaftler kamen zu Wort. Monatelang wurde das Thema nicht nur in der von Gerhard Schröder etablierten Ethikkommission diskutiert. Die Argumente waren und sind immer noch stark kontrovers. Grund der allseitigen Kritik: die embryonale Stammzelle.
Denn, so Dr. Shi: „Die Stammzellen werden aus postnatalem Material gewonnen!“
Nach dem Verlust des Milchzahnes, mit einer Kühlung von vier Grad plus – es reicht der Haushaltskühlschrank – bleiben die omnipotenten Zellen für mehrere Stunden am Leben. Shi, der im Overnight-Transport bereits von einigen Patienten diese Zähne erhält, isoliert mit dem von ihm entwickelten Verfahren die Zellen, die dann schließlich, so der Wissenschaftler im Gespräch mit den zm, in der Lage sind, genau das Gewebe nachwachsen zu lassen, in das sie eingebracht werden. Die genetische Information der Nachbarzellen „schult“ also diese inserierten Stammzellen und nutzt so ihre Omnipotenz. Shi berichtete in Mainz darüber, dass Pulpa-Stammzellen, aus Milchzähnen gewonnen, in der Lage sind, Schmelz-, Dentin- und Pulpagewebe zu erzeugen, sich aber auch in Osteoblasten, ja sogar in Nervenzellen zu „verwandeln“. Ebenso sei es seinem Team gelungen, so der seit 15 Jahren in den USA forschende Japaner, Stammzellen aus Parodontal-Ligamenturen zu gewinnen, um hiermit parodontaltherapeutisch operieren zu können. Diese Methode stellt einen Weg dar, um die ethischen Diskussionen elegant zu umschiffen. Nun stellt sich die Frage, wenn diese Methode einmal „state of the art“ werden sollte, was dann mit der Zahnheilkunde in der derzeitigen Form geschieht. Wird die Stammzelle der sechsjährigen Tochter dem Vater oder Großvater einmal das erforderliche Implantat ersetzen helfen? Wird es sinnvoll werden, Milchzahnbanken einzurichten, die dann im Jahre X als spätere „Omnipotenzquelle“ in punkto Zahnbehandlung dienen? Diese Frage lässt diverse Spekulationen offen, sorgt für genügend Diskussionsstoff und kann – zumindest die spätere Generation der Zahnärzte – existenziell beunruhigen.
Welchen Verlauf diese Entwicklung tatsächlich gehen wird, werden die ersten klinischen Ergebisse zeigen. Denn Dr. Shi steht, ebenso wie einige andere mit ihm zusammen arbeitende Zentren, mit dem Fuß in der Tür zu klinischen Untersuchungen am Menschen. Derzeit fehlt es noch am geeigneten Patientengut – aber das wird sich schon richten lassen.
Nicht nur Dr. Shi hat mit seinen Untersuchungen eine Revolution angetreten, auch einem Düsseldorfer Kardiologenteam ist es gerade aktuell gelungen, aus Knochenmark im autologen Verfahren Stammzellen zu isolieren, die mittels eines Herzkatheters in infarktgeschädigtes Gewebe eingebracht, dort die Intima und den geschädigten Herzmuskel zu reparieren vermögen. Wenn diese Erkenntnis später im Routineverfahren große Herzoperationen überflüssig machen wird, warum könnten dann nicht auch Stammzellen aus dem Kindermund einmal die gesamte Zahntechnik, Prothetik sowie Teile der Parodontologie, Zahnerhaltung und mehr außer Schach setzen?