Onkologie

Chemotherapie gegen den häufigsten Hirntumor

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Eine neuartige Chemotherapie ergänzt erstmals das Therapiespektrum beim häufigsten Hirntumor, dem Glioblastom. Bislang befanden sich im therapeutischen Arsenal lediglich der neurochirurgische Eingriff sowie die postoperative Bestrahlung. Zuvor betrug die mittlere Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten ab dem Zeitpunkt der Diagnose ein Jahr. Nach Anwendung der neuen Medikamente hat einer von vier Patienten die Chance, nach zwei Jahren noch zu leben.

Auf einer Pressekonferenz Anfang Juli in München sprachen die vortragenden Onkologen von einem echten Paradigmenwechsel. Diese Einschätzung wird durch Daten einer internationalen Studie der European Organisation for Research and Treatment of Cancer Brain Tumor and Radiotherapy Groups (EORTC) gestützt, die unter Federführung der Lausanner Gruppe unter Roger Stupp an 573 Patienten erarbeitet wurden.

Deutliche Lebensverlängerung

Angesichts der bislang nur spärlichen Therapieerfolge beim Glioblastom und der insbesondere an quälenden Kopfschmerzen leidenden Patienten machen die quantitativ eher mäßigen Fortschritte durch die Einführung von Temozolomid (Temodal) die Euphorie der behandelnden Ärzte verständlich. Der Neurologe Michael Weller aus Tübingen beschrieb das Behandlungsergebnis bei den zusätzlich mit Temozolomid behandelten Patienten folgendermaßen: „Die Patienten haben nun die Chance einer von vieren zu sein, der zwei Jahre nach der Diagnosestellung noch lebt. Im Vergleich dazu hatten die gleichen Patienten vor Verfügbarkeit von Temozolomid gerade einmal die Wahrscheinlichkeit, einer von zehn Patienten zu sein, der dieses Ziel erreicht“. Abbildung 1 illustriert diesen Befund mit einer Grafik aus der EORTC-Studie.

Gleichzeitig verbesserte sich auch die Dauer bis zum ersten Rückfall durch Einsatz von Temozolomid, also das sogenannte progressionsfreie Überleben. Wie die Abbildung 2 zeigt, die ebenfalls aus dieser Studie stammt, „hat sich nun die Wahrscheinlichkeit um den Faktor drei erhöht, dass ein Patient ein Jahr nach Stellung der Diagnose noch ohne ein Rezidiv leben kann“, so wiederum Prof. Weller in seiner Erläuterung.

Die Studiendaten

In die Studie wurden nur Patienten eingeschlossen, bei denen ein Glioblastom frisch diagnostiziert worden war. Die Patienten wurden nach einer gewichteten Zufallsverteilung folgenden Gruppen zugeteilt: Die erste Gruppe erhielt eine standardisierte Bestrahlung über sechs Wochen, wobei an fünf Tagen der Woche pro Tag fokal fraktioniert fünf Gy eingesetzt wurden, bis zu einer Maximaldosis von 60 Gy. Die zweite Gruppe erhielt ebenfalls eine Radiotherapie nach dem selben Schema und zusätzlich die Chemotherapie mit Temozolomid. Diese wurde während der Bestrahlung kontinuierlich in einer Dosis von 75 mg pro m2 verabreicht. Vier Wochen nach Beendigung der Bestrahlung wurden diese Patienten weiter behandelt. Sie wurden über sechs 28-Tage-Zyklen auf eine höhere Temozolomid-Dosis von 150 bis 200 mg pro m2 eingestellt, die an den ersten fünf Tagen des Zyklus verabreicht wurde. Der primäre Endpunkt der Studie war die Überlebenszeit der Patienten. 85 Kliniken beteiligten sich an der Studie und randomisierten 573 Patienten. Das mittlere Alter der Patienten war 56 Jahre – das Glioblastom ist also kein „Alterskrebs“. Die mittlere Beobachtungszeit der Studie betrug 28 Monate, was allein schon auf einen Erfolg des Verums hinweist, da die mittlere Überlebenszeit vor der Chemotherapie-Ära ja zirka zwölf Monate betrug. Die mittlere Überlebenszeit der Patienten unter Bestrahlung betrug 12,1 Monate, unter Bestrahlung und Verum 14,6 Monate. Die Zwei-Jahres-Überlebensrate erhöhte sich von 10,4 Prozent auf 26,5 Prozent. Diese Ergebnisse waren statistisch hoch signifikant. Schwere Nebenwirkungen, die auf das Chemotherapeutikum zurückgingen, erlitten sieben Prozent der Patienten. Es handelte sich vor allem um Blutungskomplikationen.

Therapieerfolg bald voraussagbar

Das Geheimnis des Erfolges der neuen Substanz besteht offensichtlich darin, dass sie in der Lage ist, gerade jenes Enzym O6-Methylguanidin-DNA-Methyltransferase (MGMT) zu hemmen, das die sich schnell teilenden Tumorzellen eigentlich vor dem Angriff des Medikaments auf die eigene genetische Substanz schützen sollte. Dieser Angriff, ist „Substanz-verbrauchend“, wie die Biochemiker formulieren, das heißt, Temozolomid bindet an die MGMT-Moleküle und inaktiviert sie auf diese Weise. Nun haben Grundlagenforscher wie Ulrich Bogdan von der Universität Regensburg herausgefunden, dass es Patienten gibt, die durch einen genetischen Defekt kaum in der Lage sind, MGMT zu bilden. Das Enzym ist also auch in den Tumorzellen nur in geringen Mengen vorhanden. Die Hypothese dieser Forscher war nun, dass diese Patienten auch besonders gut auf die neue Chemotherapie reagieren müssten, da die wenigen MGMTMoleküle bereits durch geringe Konzentrationen von Temozolomid unschädlich gemacht werden können, so dass die Tumorzell-DNA kaum geschützt dem alkülierenden Einfluss des Chemotherapeutikums ausgesetzt sein müsste.

Seit es nun einen wenn auch komplexen Test auf die genetische MGMT-Aberration gibt, lag es nahe, die vorliegenden Studiendaten nochmals danach zu sichten und zu analysieren, ob die Patienten mit einem solchen genetischen Defekt einen Therapievorteil hatten.

Genau dies scheint der Fall zu sein. Diese Patienten haben gegenüber den Patienten mit einem Normaltyp-Enzymspiegel eine nochmals um den Faktor zwei verbesserte Therapieprognose. Das heißt konkret, dass sie eine Wahrscheinlichkeit von 48 Prozent besitzen, das zweite Jahr nach Diagnosestellung noch zu erleben. Daher könnte, so Prof. Bogdan, bei diesen Patienten Temozolomid ganz gezielt eingesetzt werden, so bald eine breit einsetzbare Testform auf die MGMT-Aberration verfügbar ist.

Außerdem meint der Neurologe, dass der Einsatz von Temozolomid noch optimiert werden kann. So gibt es klinische Hinweise darauf, dass bei guter Verträglichkeit die Dauer der Chemotherapie auf mehr als sechs Zyklen nach Beendigung der Strahlentherapie verlängert werden könnte. Es seien bereits Einzelfallkasuistiken veröffentlicht worden, bei denen die Patienten unter verlängerter Dauertherapie eine Überlebenszeit von mehr als fünf Jahren erreichen konnten.

Till Uwe Keil

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