Stellungnahme der DGZ/DGZMK:

Die maschinelle Wurzelkanalaufbereitung

203291-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK)

Die vorliegende Stellungnahme stellt eine Ergänzung der weiterhin aktuellen Stellungnahme der DGZMK „Wurzelkanalaufbereitung“ (11/00) dar.

Ziele der Wurzelkanalaufbereitung

Für die Wurzelkanalaufbereitung (WK) mit Hilfe maschineller Systeme gelten dieselben Ziele und Anforderungen wie für die manuelle Instrumentation [1]:

• Entfernung des vitalen oder nekrotischen Pulpagewebes

• weitestgehende Eliminierung der Mikroorganismen, wobei bei Zähnen mit einer infizierten Pulpanekrose das Wurzelkanalwanddentin als infiziert angesehen werden muss

• Beibehaltung des originären Wurzelkanalverlaufs, das heißt, der aufbereitete Wurzelkanal sollte den ursprünglichen Kanal umschließen

• der aufbereitete Wurzelkanal soll von apikal nach koronal konisch gestaltet sein, wobei die engste Stelle am apikalen Endpunkt des Wurzelkanals liegen sollte, ohne dabei durch einen übermäßigen Materialabtrag die Wurzel unnötig zu schwächen

• die apikale Konstriktion des Wurzelkanals soll erhalten bleiben

• die endgültige Aufbereitungslänge soll mit der vorher festgelegten Arbeitslänge (vergleiche Stellungnahme der DGZMK dzz 11/2004 oder zm 23/2004 Seite 49 [5] und Qualitätsrichtlinien der ESE [1]) übereinstimmen. Eine Überinstrumentierung, also ein Durchstoßen und Erweitern der apikalen Konstriktion, sollte ebenso wie eine Unterinstrumentierung bei der WK in der Regel vermieden werden.

• Ausreichende Arbeitssicherheit: Vermeidung von Instrumentenfrakturen, apikalen Blockaden, Perforationen, Veränderungen der endodontischen Arbeitslänge (Überund Unterinstrumentierung), apikales Überpressen von infiziertem Material oder Spülflüssigkeit.

Zusammenfassend stellt die Elimination von pulpalen Gewebsresten und Mikroorganismen das vordringliche Ziel der Wurzelkanalaufbereitung dar. Dieses wird durch die chemo-mechanische Aufbereitung des Wurzelkanalsystems unter Einsatz geeigneter Spüllösungen verfolgt und kann gegebenenfalls durch die gezielte intrakanaläre Anwendung antimikrobiell wirkender Medikamente unterstützt werden.

Maschinelle Wurzelkanalaufbereitung

Die Systeme zur maschinellen Wurzelkanalaufbereitung lassen sich wie folgt unterteilen:

• Maschinelle Systeme mit starrem Bewegungsablauf (Hub- und/oder Rotationsbewegung)

• Maschinelle Systeme mit modifiziertem Bewegungsablauf (flexibler Bewegungsablauf, schwingende Systeme)

• Schallvibrations- und Ultraschallsysteme

• Vollrotierende Systeme mit NiTi-Instrumenten

• Neuere nicht-instrumentelle Techniken (Laser, Endox, Vakuum-Pumpe).

Maschinelle Systeme mit starrem Bewegungsablauf

In die Gruppe der Aufbereitungssysteme mit starrem Bewegungsablauf fallen Systeme, die über einen starren, vom Winkelstück vorgegebenen Bewegungsablauf verfügen. Durch die vom Zahnarzt hervorgerufene Auf- und Abbewegung von Winkelstück und Instrument kommt bei allen maschinellen Systemen eine Hubkomponente hinzu. Die bekanntesten Vertreter dieser Gruppe sind die Giromatic (Micro-Méga, Besançon, Frankreich), der Endolift (Kerr, Karlsruhe), der Endocursor (W&H, Bürmoos, Österreich), das Racer-Winkelstück (W&H, Bürmoos, Österreich). Auch die meisten der separat diskutierten Nickel-Titan-Systeme fallen prinzipiell in diese Gruppe (Tab. 1).

Der wissenschaftlichen Literatur zufolge werden diese Systeme überwiegend skeptisch bis ablehnend bewertet, da sie insbesondere die Anforderungen hinsichtlich des Erhaltes des originären Kanalverlaufes nicht ausreichend erfüllen. Vielfach werden auch Defizite in der Reinigungswirkung und der Arbeitssicherheit beschrieben [4, 6].

Angesichts neuerer Erkenntnisse und Entwicklungen entsprechen diese Systeme nicht in vollem Umfang den aktuellen Anforderungen an eine Wurzelkanalaufbereitungstechnik.

Systeme mit nicht starrem Bewegungsablauf

In dieser Gruppe finden sich Systeme wie der Canal-Finder (SET, Marseille, Frankreich), Canal-Leader 2000 (S.E.T., Olching), Excalibur (W&H, Bürmoos, Österreich), der Endoplaner (Microna, Spreitenbach, Schweiz) und das EndoFlash-Winkelstück (KaVO, Leutkirch) (Tab. 2).

Diese Winkelstücke arbeiten mit begrenzt variablen Kombinationen aus Hubund/ oder Rotationsbewegungen (Canal-Finder, Canal-Leader, Endoplaner) oder niedrigfrequenten lateralen Schwingungen (Excalibur). Da diese neueren Systeme mehrheitlich mit einem integrierten Spülsystem ausgestattet sind, erreichten sie in In-vitro-Studien teilweise deutlich bessere Resultate hinsichtlich der Reinigung der Wurzelkanalwände von Debris und Smear Layer als Systeme mit starrem Bewegungsablauf oder sogar als die Handaufbereitung. Bezüglich der Formgebung des Wurzelkanals erzielten sie hingegen keine optimalen Ergebnisse, häufig traten Längenverluste und unerwünschte Begradigungen des Kanalverlaufes auf.

In einzelnen Studien und Falldarstellungen wird aber über den erfolgreichen Einsatz einiger dieser Endodontie-Winkelstücke, insbesondere Canal Finder und Canal Leader 2000, zur initialen Erschließung enger und stark gekrümmter Wurzelkanäle, Entfernung metallischer Fremdkörper aus dem Wurzelkanal sowie der Entfernung von Guttapercha im Rahmen endodontischer Revisionen berichtet.

Insgesamt lassen die vorliegenden klinischen und experimentellen Studien keine oder nur geringe Vorteile gegenüber den „starren“ Systemen erkennen [4, 6].

Schall- und Ultraschallsysteme

Schall- und Ultraschallsysteme (Tab. 3) arbeiten auf der Basis von Vibrationen unterschiedlicher Frequenzen und erzeugen longitudinale Wellen.

Während die Resultate bezüglich der Formgebung des Wurzelkanals bei Anwendung von Schallsystemen sehr uneinheitlich ausfallen, überwiegen für die Ultraschallsysteme Berichte über ein hohes Risiko von Begradigungen gekrümmter Kanäle. Auch Feilenfrakturen werden beschrieben. Die Vorteile bei Anwendung von Ultraschallsystemen scheinen in der durch das schwingungsinduzierte „acoustic streaming“ verbesserten Reinigungs- und Desinfektionswirkung zu liegen. Der ultraschallgestützten Wurzelkanalspülung wird unter anderem die Fähigkeit einer verbesserten Entfernung von Debris und Smear Layer sowie einer Steigerung der direkten antibakteriellen Wirkung der Spüllösung zugeschrieben [2]. Abschließend sind Ultraschallsysteme somit als hervorragende Hilfsmittel in der zusätzlichen Reinigung des Kanalsystems nach Aufbereitung zu bewerten, von einer Aufbereitung des Wurzelkanals mittels Ultraschall ist aufgrund starker Begradigung und der Gefahr der Stufenbildung abzuraten.

Vollrotierende Nickel-Titan-Systeme

Neuere maschinelle Aufbereitungssysteme arbeiten mit Wurzelkanalinstrumenten aus Nickel-Titan-Legierungen und einer 360°-Vollrotation. Sie bestehen zu etwa 55 Massen-Prozent (m%) aus Nickel und 45 m% aus Titan (so genanntes 55-Nitinol) beziehungsweise zu 60 m% aus Nickel und 40 m% aus Titan (60-Nitinol). Der Elastizitätsmodul dieser Legierungen beträgt lediglich ein Fünftel des entsprechenden Wertes für Chrom-Nickel-Stahl. Darüber hinaus besitzen Nickel-Titan-Legierungen ein pseudoelastisches Verhalten, das heißt, sie zeigen nach Belastung, die bei Edelstählen bereits zur plastischen Deformation führt, eine rückstellbare Verformung von mehreren Linearprozent (%lin) durch Kristallgitterumwandlung [8]. Aufgrund dieser Eigenschaft können WK-Instrumente aus Nickel-Titan im Gegensatz zu solchen aus Edelstahl oder Titan-Aluminium zur maschinellen Wurzelkanalaufbereitung mit vollrotierend angetriebenen Aufbereitungshilfen eingesetzt werden. Design und Funktionsweise dieser neuartigen Wurzelkanalinstrumente unterscheiden sich deutlich von denen konventioneller Handinstrumente (Tab. 4).

Zu den neuen Designmerkmalen dieser Instrumente gehören nicht-schneidende Instrumentenspitzen, seitliche Führungsflächen, variierende Konizitäten, verkürzte Arbeitsspitzen und andere mehr. Der Einsatz dieser Instrumente unter maschinell generierter Vollrotation bedingt eine weitestgehend passive Arbeitsweise, überwiegend die Anwendung der Crown-down-Technik sowie eine exakte Drehzahlkontrolle und Drehmomentbegrenzung. In zahlreichen In-vitro-Studien wurde übereinstimmend die gute Erhaltung der Kanalkrümmung auch in gekrümmten Wurzelkanälen beschrieben, widersprüchliche Studien liegen jedoch zum Grad der erzielten Kanalsauberkeit vor [9]. Da die Antriebssysteme für die vollrotierende Arbeitsweise nicht mit permanenter Spülung ausgestattet sind, wird zu intensiver Spülung und zur Anwendung einer Chelatorpaste bei der Aufbereitung geraten. Klinische Untersuchungen zur Erfolgsquote von Wurzelkanalbehandlungen mit NiTi-Aufbereitung liegen bislang noch nicht vor. Aus der Literatur ergeben sich zahlreiche Hinweise auf ein erhöhtes Frakturrisiko der Instrumente, insbesondere bei nicht konstanter oder zu hoher Drehzahl und unzureichender Drehmomentkontrolle.

Bei Verwendung vollrotierender Systeme ist daher generell auf eine exakte Einhaltung der vorgegebenen Drehzahlen, Kontrolle der Anwendungshäufigkeit des einzelnen Instrumentes, sowie eine passive Arbeitsweise (drucklos) zu achten. Es sollte ein Antriebssystem mit Drehmomentbegrenzung verwendet werden.

Neue Antriebssysteme

Seit kurzem stehen verschiedene Antriebssysteme speziell zur Anwendung mit vollrotierend betriebenen NiTi-Instrumenten zur Verfügung. Zumeist handelt es sich um auf bestimmte NiTi-Systeme abgestimmte Spezialmotoren mit vorprogrammierten Drehzahlen und Drehmomenten. Über automatischen Linkslauf, das Einsetzen von Rüttelbewegungen oder Motorstillstand bei Erreichen eines vorprogrammierten Grenzdrehmoments wird die starre Vollrotation partiell aufgehoben. Es deutet sich an, dass mit Hilfe dieser Antriebssysteme das Frakturrisiko bei Anwendung von NiTi-Instrumenten deutlich gesenkt werden kann. Da Ermüdungsfrakturen bei zu häufigem Einsatz weiterhin nicht ausgeschlossen sind, müssen die Anwendungshäufigkeit der NiTi-Instrumente sorgfältig kontrolliert und die Herstellerangaben zur Benutzungshäufigkeit beachtet werden.

Vorteile der NiTi-Systeme liegen in einer besseren Formgebung bei der Präparation gekrümmter Wurzelkanäle und einer möglichen Erhöhung der Aufbereitungsgröße ohne unerwünschte Abweichungen vom originären Kanalverlauf. Daraus resultieren vermehrter Abtrag infizierten Dentins, Optimierung der Querschnittsform des aufbereiteten Kanals, verkürzte Arbeitszeit und erleichterte Präparation.

Die Anwendung vollrotierender Nickel-Titan-Wurzelkanalinstrumente scheint bei sorgfältiger Einhaltung der systemspezifischen Arbeitsrichtlinien geeignet, die Aufbereitungsqualität, insbesondere bei der Präparation stärker gekrümmter Wurzelkanäle, deutlich zu verbessern. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass viele Aspekte der maschinellen Aufbereitung mit NiTi-Systemen noch nicht ausreichend geklärt sind (Reinigungswirkung, Dichtigkeit der WKF bei veränderter Konizität der Aufbereitung). Den bislang vorliegenden Studien zufolge ist ein Allergisierungsrisiko durch Nickel-Bestandteile der Instrumente nicht gegeben.

Bei allen Systemen muss berücksichtigt werden, dass auch bei nachgewiesener Qualität bezüglich Reinigungsbeziehungsweise Desinfektionswirkung, Formgebung und Arbeitssicherheit ihre Anwendung nur in einem antimikrobiell ausgerichteten Behandlungskonzept die Qualität und damit die Prognose einer Wurzelkanalbehandlung verbessern kann.

Weitere Systeme zur Wurzelkanalaufbereitung

Neben den „klassischen“, auf dem Einsatz unterschiedlichster Feilensysteme und Techniken basierenden Wurzelkanalaufbereitungstechniken wird die Anwendung weiterer Technologien und Instrumente diskutiert. Hierzu gehören:

• Lasersysteme Excimer, Nd:Yag, Ho:Yag, Er:Yag

• Hochfrequenzchirurgie-Systeme Endox

• „Nicht-Instrumentelle Technik“ (NIT) Vakuum-Pumpe n. Lussi

• Depotphorese

Eine Wertung dieser Systeme findet sich in der gemeinsamen Stellungnahme von DGZMK und DGZ zur Wurzelkanalaufbereitung [7].

Zusammenfassung

Auf der Basis der gegenwärtig vorliegenden Erkenntnisse und klinischen Erfahrungen lässt sich eine Empfehlung zum generellen Einsatz maschineller Systeme für die Wurzelkanalaufbereitung nicht abgeben. Bislang scheint keines der auf dem Markt erhältlichen Systeme in der Lage zu sein, alle Anforderungen in Bezug auf Reinigungswirkung, Formgebung und Arbeitssicherheit gleichermaßen ausreichend zu erfüllen. Dies gilt allerdings ebenso für die Techniken der manuellen Aufbereitung.

Der indikations- und situationsbezogene Einsatz einzelner maschineller Systeme als Hilfsmittel für bestimmte Schritte der Therapie ist sinnvoll und empfehlenswert (Tab. 5).

Prof. Dr. Detlef HeidemannZentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkundedes Klinikums der Johann WolfgangGoethe-Universität FrankfurtPoliklinik für ZahnerhaltungTheodor-Stern-Kai 760569 Frankfurt am Main

Prof. Dr. Michael HülsmannZentrum Zahn-, Mund- und Kieferheilkundeder Universität GöttingenAbt. für Zahnerhaltung, Präventive Zahnmedizinund ParodontologieRobert-Koch-Str. 4037075 Göttingen

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung aus dzz 8 vom 15. August 2005

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