Kaugummisteuer statt Umweltschmutz

Das unerwünscht lange Leben von Kaugummi

Sie kleben auf der Straße, an Schuhsohlen, unter Tischen und Stühlen. Es gibt sie als Streifen, Dragees oder Kugeln in allen erdenklichen Farben. Der Klassiker schmeckt nach Pfefferminz, andere Kreationen nach Zimt, Orangen oder Limonen. So groß ihre Vielfalt auch ist, eines haben sie gemeinsam: Sie sind biologisch schlecht abbaubar.

Spuckt ein 14-Jähriger seinen fad gekauten Kaugummi auf den Boden, bleibt dieser jahrelang dort liegen. Die plattgetretenen grauen Flecken sehen nicht nur unschön aus, sondern lassen sich auch kaum wieder entfernen.

Die Reinigung derart befleckter Straßen, U-Bahnstationen und Denkmäler ist entsprechend aufwändig und kostet große Städte Millionen. Aus diesem Grund wird in England über die Einführung einer Kaugummi-Steuer von 1,5 Cent pro Kaugummi-Packung diskutiert. Die Steuereinnahmen sollen die landesweit anfallenden Reinigungskosten von schätzungsweise 218 Mio. Euro senken. Irland hatte im vergangenen Herbst als erstes Land weltweit die Einführung einer Kaugummi-Steuer in Erwägung gezogen.

Einige englische Lokalpolitiker würden gerne noch einen Schritt weiter gehen: Sie wollen den weltweit führenden Kaugummihersteller Wrigleys zur Kasse bitten. Das Unternehmen hat in England über 90 Prozent Marktanteile, in Deutschland sind es über 80 Prozent. Die einen wünschen sich eine finanzielle Beteiligung an den Reinigungskosten, andere eine Finanzspritze für die Forschung an biologisch abbaubarem Kaugummi. Denn, so wird der Umweltpressesprecher der liberalen Demokraten, Mike Tuffrey, in verschiedenen britischen Medien zitiert: „Wenn man Menschen auf dem Mond und Sonden auf dem Mars landen lassen kann, muss man auch einen biologisch abbaubaren Kaugummi entwickeln können.“

Kaugummi für die Ewigkeit

Aber genau das scheint nicht so einfach zu sein. Ein Kaugummi besteht aus Zucker oder Zuckeraustauschstoffen, Aromen, Fruchtund Pflanzenextrakten, Weichmachern und der Kaumasse – der wichtigsten und problematischsten Zutat. Denn die Kaumasse macht einen Kaugummi erst zum Kaugummi, und gerade sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht so leicht verrottet. „Je schneller sich ein Kaugummi auf der Straße abbaut, desto schneller zersetzt er sich auch im Mund“, erklärt Marie Dubitsky, Geschäftsführerin des Kaugummi-Verbandes in Deutschland, „und für Kaugummihersteller und Konsumenten ist der Maßstab aller Dinge die gute Kaubarkeit eines Kaugummis.“

Chemisch betrachtet besteht die Kaumasse aus künstlichen Polymeren, die lange, miteinander verzweigte Molekülketten bilden. Dieses „Gumminetz“ ist äußerst resistent und übersteht stundenlanges Kauen bei 37 Grad Körpertemperatur. Auch Bakterien und UV-Strahlung, neben der Wärme die Faktoren, die andere Lebensmittel geschwind zersetzen, können der Kaumasse wenig anhaben. Bei gleichbleibenden Temperaturen braucht es etwa fünf Jahre bis ein ausgespuckter Kaugummi sich zersetzt. Einzig und allein Kälte macht dem Kaugummi zu schaffen. Weswegen die Tiefkühltruhe auch die schnellste Hilfe für Kaugummigeplagte ist: Hose oder Schuh einige Stunden einfrieren und schon ist die klebende Masse steif und brüchig geworden und lässt sich problemlos abkratzen.

Darauf zu hoffen, die Menschen könnten den Spaß am Kauen von Spearmint, Air-waves, Bubblegum und Konsorten verlieren, ist vergebens. Denn ein Ende des auf den ersten Blick sinnfrei erscheinenden Zeitvertreibs ist nicht in Sicht, der Markt für klebrige Kaumasse ist seit Jahren stabil.

Hundert Streifen pro Jahr

Im Durchschnitt schiebt sich jeder Deutsche 100 Streifen pro Jahr in den Mund, Engländer 124 und die Amerikaner sind Spitzenreiter mit jährlich 179 Streifen pro Kopf.

Ein Blick in die Vergangenheit verrät außerdem, dass das Kauen gummiartiger Substanzen eine lange Tradition hat: Der älteste Kaugummi der Welt ist 9 000 Jahre alt und bestand aus Birkenharz und Honig. Die Griechen der Antike und die Indianer Nordamerikas kauten ebenfalls Baumharz, während die Mayas aus Mittelamerika Chicle kauten, den natürlichen Gummi des Sapotillbaumes, der lange Zeit für die Herstellung von Kaugummis verwendet wurde.

Kaugummi: orales Bedürfnis und Prophylaxe

Fragt sich nur, was Menschen dazu bringt, stundenlang auf einem unverdaulichen Stück Gummi herumzukauen? Neben dem reinen Spaßeffekt und der entspannenden Wirkung gibt es auch ganz praktische Gründe, wie die Reinigung der Zähne oder der Wunsch nach frischem Atem.

Tatsache ist, dass die Medizin dem Kaugummi den Rücken stärkt: Das Kauen von zuckerfreiem Kaugummi ist gut für die Zähne, vor allem nach dem Essen. Auch Menschen, die sich das Rauchen abgewöhnen wollen, finden im Kaugummi eine wichtige Stütze. Manche Studien belegen gar, dass das Kauen von Kaugummi die Konzentrationsfähigkeit fördere, weil durch das Kauen die Durchblutung im Kopfbereich besser sei – also ein Hoch auf die zähe Masse? Tatsächlich ist gegen Kaugummi wenig einzuwenden – wären da nicht die Kaugummifans, die ihre geschmacklos gekaute Gummimasse in hohem Bogen entsorgen. In England hofft man nun auf die Wirkung erzieherischer Werbekampagnen, die zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Süßigkeiten aufrufen.

Kauer – ab in den Knast

Singapur, die sauberste Stadt der Welt, hat das Problem auf eine andere Weise gelöst: 1992 wurden die Herstellung sowie der Import von Kaugummi verboten. Beim Kauf oder Kauen der verbotenen Ware drohte ein Gefängnisaufenthalt. Seit letztem Jahr gibt es Kaugummi wieder zu kaufen – allerdings nur in Apotheken und nur gegen Angabe des Namens und der Passnummer.

Juliette IrmerMerzhauserstraße 157c79100 Freiburgjirmer@gmx.de

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