Leitartikel

Perspektive mit Zukunft

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Koalitionsgeschachere ist zu Ende. Argwohn bleibt – nicht nur bei den Koalitionspartnern untereinander, sondern noch viel mehr beim Wähler: Der Politiker – was interessiert ihn sein Geschwätz von gestern. Denn wer im Vorwahlkampf den Weltuntergang wähnte, sieht jetzt den großen Wurf (Edmund Stoiber am 26. August: „Eine große Koalition ... wäre schlecht fürs Land“ – am 10. Oktober: „Eine große Chance zur Erneuerung des Landes.“).

Argwohn aber auch bei uns Medizinern: Wird Horst Seehofer sich fortan mit der Tiermedizin begnügen oder sich weiterhin quer über den Tisch einmischen? Und Ulla Schmidt? Ihr Ministerium ist wahrscheinlich in diesen Tagen des Auf- und Umbruchs ein Hort politischer Stabilität und Kontinuität. Doch spätestens, wenn Karl Lauterbach Zahnschmerzen bekommt, werden alle ein Problem haben: Ulla Schmidt, die Zahnärzteschaft und letztlich natürlich Karl Lauterbach. Skepsis ist angesagt.

Ulla Schmidt kann ihren Kurs à la GKVModernisierungsgesetz fortsetzen. Die vor der Wahl so forsche CDU wird den rotschwarzen Waffenstillstand hier nicht gefährden. Adenauers Kaltkriegs-Devise „Keine Experimente“ feiert fröhliche Urständ, wenn auch mit dem Ex-Feind SPD im Boot. Die FDP, früher regulierender Faktor schwarz-gelber Gesundheitspolitik, hungert jetzt am langen Arm der Opposition. Die Heilberufe werden sich auf vier weitere Jahre rötlicher Bewahrermentalität überkommener Sachleistungsstrukturen einstellen müssen. Machen wir uns nichts vor: Auch den meisten Unionspolitikern – nicht nur vom Arbeitnehmerflügel und den Herz- Jesu-Sozialisten – ist die Lust auf eine innovative Gesundheitspolitik gehörig vergangen. Ulla Schmidt macht jetzt augenscheinlich mehr Druck: Sie will ans Eingemachte der freiberuflichen Strukturen. Sie will – gemeinsam mit den Kassen – die Störer aus KVen und KZVen in ihre Schranken verweisen, ihr Terrain Stück für Stück zerfleddern.

Das Ansinnen der Ministerin ist nicht neu. Immer wieder hat sie in den vergangenen Jahren über die lobbyistischen Störenfriede gestöhnt. Ihr größter Coup ist das Recht, die Selbstverwaltung als wichtigstes Verhandlungskollektiv der Freiberufler durch Einzelverträge so zu schwächen, dass es langfristig bedeutungslos wird.

Dabei geht es nicht um ehrlichen Wettbewerb, nicht darum, dass die „Besseren“ unter uns ihre Position ausbauen können. Nein, die Kassen wollen das Bollwerk der Kollektivverträge einreißen und so die Verhandlungsposition der Selbstverwaltungen schwächen. Die Folge wäre härtestes Preisdumping. Auf der Strecke bliebe Fortschritt, Qualität, die Selbstbestimmung in Freiberuflichkeit und manche zahnärztliche Existenz. Da gilt es, dagegen zu halten.

Pikanterweise hat der Gesetzgeber ein wesentliches Gegenmittel im selben Gesetz verankert: Festzuschüsse. Was vor mehr als zehn Jahren mit der Entwicklung von Vertrags- und Wahlleistungen begann und jetzt mit der Einführung von befundbezogenen Festzuschüssen umgesetzt wird, gilt heute als ein überragender Ausweg aus der Einkaufsmodell- Heilslehre. Patienten wie Zahnärzte haben – innerhalb des gegenwärtig nicht zur Debatte stehenden GKV-Systems – die Chance auf größtmögliche Freiheit: Zugang zum zahnmedizinischen Fortschritt, Therapiefreiheit und freie Arztwahl des Patienten. Die Politik kann an dieser Stelle das System entlasten, wahrt aber trotzdem die Grundsicherung der GKV-Versicherten. Quer schlagen allenfalls die Krankenkassen, verlieren sie doch Macht und Einfluss auf das System.

Die gemeinsam von KZVen und KZBV getragenen Festzuschüsse und deren sukzessive Ausweitung auf andere Bereiche der Zahnheilkunde sind mehr denn je die realistische Umsetzung der angestammten zahnärztlichen Ziele. Sie sind die klare Antwort auf alle Fragen, die sich in einem schwachen, aber politisch konsolidierten Sachleistungssystem stellen.

Gibt es bei Festzuschüssen etwas zu kaufen, dann nicht von den Kassen, sondern sinniger- und logischerweise von unseren Patienten. Da schließlich gehört die Kaufentscheidung auch hin! Die Grundleistung wird keinem Einzelvertrag so schnell anheim fallen – im Gegenteil: Sie ist die starke, im Kollektivvertrag erhältliche Basis.

Und das sollen daher auch alle wissen, nicht nur Ulla Schmidt, Karl Lauterbach und Horst Seehofer: Eine Zahnärzteschaft, die übrigens den Weg aus der GKV seit Jahren nicht gehen will, wird nicht so schnell in die Einzelvertragsfalle tappen. Sie kennt den Wert der Sachleistung – als (Kollektiv-)Vertragsleistung und als Grundlage für das individuelle und spezifische Verkaufsmodell von zusätzlichen Leistungen.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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